Das Wartezimmer der Praxis in der Bad Brückenauer Altstadt, am Eingang zur Ludwigstraße, ist noch einmal voll am vergangenen Freitagmittag. Wobei die meisten der „ Patienten “ kerngesund sind. Und die „Behandlung“ besteht nicht aus Ah-Sagen oder Lunge-Abhorchen, sondern aus guten Gesprächen, Sekt, Kuchen.
Kaffee mit dem Doktor
Dr. Helge Zimmermann und seine Frau Adelheid hatten zu „Kaffee mit dem Doktor“ geladen. Viele frühere und bis vor kurzem noch aktuelle Patienten kamen, dazu Bekannte, Freunde, der Bürgermeister und – das freute den Allgemeinmediziner besonders – Kollegen, für die er in all den Jahren die Vertretung übernommen hatte. Und die ihn selbst vertraten.
Die Geschichte der Arztpraxis Dr. Zimmermann: Sie ist eine so typisch für die Wirrungen des deutschen Gesundheitssystems. Eine vom Eigentlich-längst-aufhören-wollen, dann doch Weitermachen, weil sich kein Nachfolger findet. Und eine der Sorge, ob und wo die eigenen Patienten künftig unterkommen.
Kundenstamm von Josef Fischer
Als die Zimmermanns 1979 ihre Praxis im eigenen Haus eröffneten, waren sie froh, dass sie den Kundenstamm von Dr. Josef Fischer aus der Ernst-Putz-Straße übernehmen konnten. „Das war damals ganz günstig, weil es schwierig war, eine Praxis ohne Patientenstamm zum Laufen zu bringen, sagt Adelheid Zimmermann .
Nur noch kleine Besetzung
Jetzt hätten sie und ihr Mann keine Probleme gehabt, einem Nachfolger alle Patienten zu überlassen – wenn einer gekommen wäre. Am konkretesten schien das Interesse eines Allgemeinarztes aus Kassel, der am 1. November 2022 in der Praxis anfangen sollte. Er erschien nicht.
Danach machten Helge und Adelheid Zimmermann weiter, weil gewisse Kosten für die EDV bis Ende März anfielen. Zunächst arbeitete das komplette Praxisteam bis kurz nach dem Jahresende, in den vergangenen Wochen nur noch die Zimmermanns als „Minibesetzung“, unterstützt durch die Brasilianerin Anna Coutinho-Leyh. „Hier gab es immer hohes medizinisches Niveau und große Empathie“, lobt diese.
25.000 Patienten in 44 Jahren
Nach einem Nachfolger gefahndet hatte das Ehepaar, das dieses Jahr 50. Hochzeitstag feiert, schon, seitdem Helge Zimmermann mit 64 Jahren aufs Rentenalter zusteuerte. Größere Dringlichkeit erfuhr die Suche, als der gebürtige Bad Brückenauer mit schlesischen Wurzeln vor zwei oder drei Jahren einen großen gesundheitlichen Warnschuss erhielt.
Ärzte nach Bad Brückenau locken ist schwierig
„In all der Zeit hat sich nichts ergeben“, muss Adelheid Zimmermann zugeben. Obwohl verschiedenste Kanäle und Portale bemüht wurden. Jemand von außerhalb nach Bad Brückenau zu locken, sei schwierig; bei einem Kandidaten habe es einfach zeitlich nicht gepasst.
Heute ist Helge Zimmermann 77 Jahre alt, seine Frau nur wenige Jahre jünger. 25.000 Patienten haben die Beiden über die Jahre in ihrer Praxis empfangen, hat sie ausgerechnet. Bei einer Frau aus Oberleichtersbach, die selbst die kompletten 44 Jahre Patientin war, hat ihr Mann schon die Eltern behandelt.
Abschied von Praxis fällt schwer
Dem Arzt aus Leidenschaft fällt der Abschied schwer. „Ich bin traurig, dass man ganz aufhört. Da hänge ich sehr dran. Aber das wird sich begeben“, sagt er. Helge Zimmermann wird sich nun mehr der Musik widmen; er spielt Querflöte. Er wird lesen, gärtnern, die großen Kakteen im Wintergarten pflegen. Und seine Olivenbäume beim Blühen bewundern.
Seine Frau Adelheid will ihre kleine politische Karriere fortführen, noch einmal für den Bezirkstag kandidieren. Für den Bad Brückenauer Stadtrat oder als Kreisrätin tritt die Freie Demokratin aber nicht mehr an. „Da ist jetzt die Jugend dran.“
Mittelfristig keine Arzträume mehr
Die gebürtige Würzburgerin will das schriftlich hinterlassene Erbe ihrer Mutter aufarbeiten, dazu die fotografische Arbeit ihres Vaters, eventuell etwas von all dem veröffentlichen. Und natürlich wollen Beide viel reisen. In ihrer aktiven Zeit bleiben dafür übers Jahr gesehen nur die wenigen Wochen pro Jahr, in denen die Praxis geschlossen war. Nächstes Ziel könnte Helge Zimmermanns in New York lebende Bruder sein, der ein Ferienhaus in Mexiko besitzt.
In die Praxisräume der Zimmermanns in der Altstadt wird wohl mittelfristig kein Arzt mehr ziehen. Angedacht ist ein Umbau zu Wohnungen. Oder Büros. Das Ehepaar selbst wohnt seit 1984 nicht mehr in Helges Elternhaus, hat ein eigenes im Süden von Bad Brückenau .
Andere Mediziner übernehmen Patienten
Das Ehepaar ist froh, dass andere örtliche Ärzte die Patienten , die überwiegend aus Bad Brückenau stammten, übernommen haben. Das gilt besonders für rund 80 Bewohner des Pflegeheims in Römershag. „Jemand hat sie mit dem Jahresende 2022 übernommen“, so Helge Zimmermann.
In den Wochen vor der Schließung schauten einige Patienten noch einmal vorbei, die eigentlich schon ihre Akte für die Suche nach einem neuen Hausarzt mitbekommen hatten. Wenn der abschied da ist, fällt er ganz schön schwer.
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