Leon Dreher hat mit zehn Jahren beschlossen, von zuhause wegzugehen und ein Regensburger Domspatzen zu werden. Heute ist er ausgebildeter Tenor, hat eine CD herausgebracht und mehrere Nachwuchsmusikpreise gewonnen. Im August tritt er im Rossini-Saal auf. Im Sommerinterview haben wir mit dem 19-Jährigen darüber gesprochen, was einen echten Domspatzen ausmacht, wie er die Schule im Hinblick auf den Missbrauchsskandal wahrnimmt und warum er kein Profimusiker werden möchte.
Herr Dreher, wie wird ein kleiner Junge aus Bad Kissingen zu einem Regensburger Domspatz?
Leon Dreher: Ich habe in Kissingen meine ersten zehn Jahre verbracht und bin in die Sinnberg-Grundschule gegangen. Gesang war für mich damals aber immer Mädchensache, das hat mich gar nicht größer interessiert. Geändert hat sich das bei meinem Religions-Lehrer Thomas Menzel . Da hatte ich anscheinend viel Spaß beim Singen.
Es gibt bestimmt viele Kinder, die Spaß beim Singen haben. Nur werden die wenigsten zum Domspatzen...
Mein Reli-Lehrer kam nachmittags nach dem Gottesdienst auf uns zu und hat uns gefragt, ob schon klar ist, wie es nach der Grundschule für mich weitergeht. Meine Mutter hat verneint. Daraufhin hat er gesagt, dass er schon eine Idee hätte. Er hat vorgeschlagen, dass ich auf das Internat der Domspatzen gehe. Das war der Auslöser, warum ich dort hingegangen bin.
Dafür, dass Gesang Sie zunächst nicht sonderlich interessiert hat, scheinen Sie es ja ganz gut gekonnt zu haben.
In dem Alter geht es mehr darum, die richtigen Grundlagen in sich zu haben. Da ist noch keiner auf einem hohen Niveau. Da ist es wichtiger, der Musik gegenüber aufgeschlossen zu sein, begeistert für sie zu sein. Das ganze andere entwickelt sich.
Mit zehn von zuhause weg auf ein Internat zu gehen, war bestimmt kein leichter Schritt für sie und ihre Eltern. Wieso haben Sie sich alle darauf eingelassen?
Meine Mutter sah es erst kritisch. Mein Vater stand von Anfang an dahinter und hat vor allem die positiven Dinge gesehen. Und ich war auch sehr begeistert. Ich war dabei als mein Lehrer den Vorschlag gemacht hat und das hat mich alles sofort interessiert. Als ich dann die Aufnahmeprüfung gepackt hatte, stand für mich fest, dass ich es mache. Ich bin froh, dass mich meine Eltern da schon frei haben entscheiden lassen, dass sie mir das Vertrauen gegeben haben, auch schon in meinen jungen Jahren.
Mehr als 500 Chorknaben wurden nach 1945 bei den Regensburger Domspatzen missbraucht. Die meisten Taten wurden in den 1960er und 70er Jahren begangen, von körperlicher Gewalt wurde bis Anfang der 90er berichtet. Wie haben Sie die Schule wahrgenommen?
Es ist leider so, dass die Domspatzen da in der Öffentlichkeit in keinem guten Licht stehen. Aber die Fälle werden konsequent aufgearbeitet, da hat sich viel getan. Die Aufarbeitung machen sie mit großem Respekt vor den Opfern und mit Einfühlungsvermögen. Ich denke, bei der Transparenz heute, sind solche Vorfälle gar nicht mehr denkbar. Für mich ist es eine der besten Schulen, die es gibt. Durch die musikalische Ausbildung werden einem viele Werte und Fähigkeiten neben dem Abitur vermittelt. Das macht die Domspatzen einzigartig.
Was heißt es, ein echter Domspatz zu sein?
Man ist noch kein Regensburger Domspatz, nur weil man vor Ort ist. Da entwickelt man sich erst im Lauf der Zeit dazu. Wenn man die Ausbildung gut verinnerlicht, sich damit identifiziert, sein Talent nutzt und versucht, Menschen mit Musik positiv zu bereichern, dann ist man ein Domspatz.
Hatten Sie Zweifel, dass sie die anspruchsvolle musikalische und schulische Ausbildung nicht packen?
Ein gewisses Maß an Disziplin wird abverlangt. Schule und Chor sind aber gut miteinander vernetzt, sonst sind die täglichen Herausforderungen nicht machbar. Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich es schaffe, aber die ersten Jahre waren sehr hart für mich. Ich hatte oft Heimweh. Meine Eltern hatten mir angeboten, ich könne jederzeit wieder herkommen, aber ich wollte es packen.
Heute sind Sie ausgebildeter Tenor und haben mit 19 Jahren mehrere Nachwuchspreise gewonnen.
Die Domspatzen sind erst einmal ein Chor und man ist ein Teil des Ganzen. Erst später zeigt sich, wo man stimmlich steht. Vor dem Stimmbruch bekam ich erste, kleine Solopassagen, mit 16 begann dann die Sologesangsausbildung. Ich hatte das Glück in die Hände von Bernhard Mayer zu kommen. Da habe ich mich stimmlich gut entwickelt.
Sie haben mit ihrem Klavierpartner Alexander Feih eine CD herausgebracht und erste Berufserfahrung gesammelt. Träumen Sie von der großen Musikkarriere oder haben Sie Angst, dass es nicht klappt?
Ich habe mir nie überlegt, was ich mache, wenn es nicht klappt. Und zwar weil ich nie Berufssänger werden wollte. Da identifiziere ich mich nicht damit. Ich habe bewusst die Zeit nach dem Abitur genutzt, damit sich die Dinge etwas festigen. Die CD ist gewissermaßen das Ergebnis aus den vergangenen neun Jahren. Das wollte ich fertigstellen.
Heißt das, Sie hängen die Musik an den Nagel?
Nein. Die Musik liegt mir am Herzen und die werde ich pflegen. Das lässt sich auch nebenbei ambitioniert gut betreiben. Musik wird weiter eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen.
Was gibt es auf Ihrer CD "Impressionen" zu hören?
Wir wollten einen umfassenden Eindruck geben, zu was wir beiden Musiker in den vergangenen zwei Jahren gearbeitet haben. Wir haben uns keinen Rahmen gesetzt, sondern uns gefragt, was verkörpern wir am besten, was vermittelt einen authentischen Eindruck? Wir bieten eine breite Spanne an Kunstliedern von Barock bis Romantik, von Schubert über Grieg bis Brahms und Wolf.
Was ist Ihnen beim Singen wichtig?
Es geht darum, ein Klangbild zu erzeugen, das ich selbst als angenehm empfinde. Man singt und hört sich selbst zu und wenn es einem gefällt hat man seine Aufgabe gut erledigt.
Jetzt treten Sie im Rossini-Saal auf. Was haben sie für eine Beziehung zu Bad Kissingen ?
Ich bin natürlich nicht jedes Wochenende hierhergefahren, aber Bad Kissingen ist meine Heimat. Ich fühle mich hier wohl, auch wenn ich die Stadt mit zehn verlassen habe. Die Stadt ist eine Metropole für klassische Musik. Es ist für mich eine Ehre hier singen zu dürfen, weil sie eine besondere Position im klassischen Bereich hat. Es ist schön, Musik und Heimat verbinden zu können.
Was erwartet die Besucher bei dem Konzert?
Es ist ein Liederabend, die Gattung ist das Kunstlied. Es ist ein Programm, das viele Facetten der Musik beleuchtet und aus vielen Klangfarben besteht. Und natürlich sind es zwei junge Künstler, die die Musik auf andere Art und Weise verkörpern. Kilian Langrieger und ich sind gute Freunde. Wir haben zusammen Abitur gemacht. Eigentlich wollten wir immer Freundschaft und Beruf - also Musik - trennen. Aber wir haben gemerkt, dass wir uns gut ergänzen, haben dann ein Programm auf uns abgestimmt und freuen uns darauf, zu spielen.
Das Gespräch führte Benedikt Borst.