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Bad Kissingen
Kurz vor Eröffnung des Kissinger Sommers: Dirigent erkrankt
Dirigent Tugan Sokhiev fällt Sonntag aus. Es wurde Ersatz gefunden - und was für einer. Markus Poschner, Bruckner-Experte, dirigiert spontan am Sonntag. Was er bis dahin noch lernen muss.
Dirigent Markus Poschner       -  Dirigent Markus Poschner ist Bruckner-Experte - und dirigiert am Sonntag eine Symphonie von Bruckner.
Foto: kaupo kikkas | Dirigent Markus Poschner ist Bruckner-Experte - und dirigiert am Sonntag eine Symphonie von Bruckner.
Susanne Will
 |  aktualisiert: 02.07.2024 02:43 Uhr

Es muss der Albtraum sein, so kurz vor der Eröffnung des Kissinger Sommers: Dirigent Tugan Sokhiev, einer der ganz großen Stars ist erkrankt, musste sein Gastspiel in der Kurstadt für Sonntag, 23. Juni 2024, absagen. Doch Intendant Alexander Steinbeis ist hervorragend vernetzt und das erwies sich wieder als absolutes Glück: Statt Dirigent Tugan Sokhiev wird Markus Poschner das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin dirigieren.

Poschner wurde ausgezeichnet für seinen Bruckner-Symphonien-Zyklus

Poschner ist ausgewiesener Bruckner-Experte. Auf dem Programm am Sonntagabend steht neben Clara Schumanns Klavierkonzert a-Moll (Jean-Frédéric Neuburger am Klavier) die Symphonie Nr 4 E-dur, die „Romantische“, mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin .  Und Markus Poschner hat mit dem „ Bruckner Orchester Linz “, dessen Chefdirigent er ist, den begehrten „International Classical Music Award 2024“ gewonnen – für seinen Bruckner-Symphonien-Zyklus.

Intendant Alexander Steinbeis: „Die krankheitsbedingte Absage von Tugan Sokhiev kam wie ein Schock. Man plant und konzipiert das Programm über ein Jahr im Voraus – da ist man traurig, wenn so etwas dazwischenkommt. Aber glücklicherweise konnten wir uns schnell mit dem Deutschen Symphonie Orchester Berlin abstimmen und uns war klar: Wir wollen das Programm halten.“ Denn: Die beiden Werke, die vorgesehen sind und waren, sind „Herausforderungen“, so Steinbeis.

Das Festival brauchte einen Experten

„Das Klavierkonzert von Clara Schumann ist eine Rarität. Das kennt nicht jeder und das kann auch nicht jeder spielen oder dirigieren.“ Und für Bruckners Symphonie Nr 4, ein monumentales Stück der Spätromantik, braucht das Festival auch einen Experten.

Alexander Steinbeis: „Als wir das Netz ausgeworfen haben auf der Suche nach Dirigentinnen oder Dirigenten, die an diesem Tag noch frei sind, stießen wir auf Markus Poschner . Er ist Chefdirigent des Bruckner-Orchesters in Linz – und damit absoluter Experte. Wir sind glücklich, vor allem, weil wir nun das Programm in Gänze übernehmen können. Es gibt im Publikum viele, die Schumann und Bruckner hören wollten – genial, dass wir das einhalten konnten.“

Dem erkrankten Tugan Sokhiev wünscht Alexander Steinbeis „gute Besserung – und ich hoffe, dass wir seinen Auftritt in Bad Kissingen nachholen können“.

Seit seinem Auftritt als Chefdirigent des Bruckner Orchester Linz 2017 begeistern Markus Poschner und das österreichische Spitzenensemble gleichermaßen das Publikum und die internationale Presse, heißt es auf Poschners Homepage.  Dafür stünde beispielhaft Poschners Vision, in der Bruckner-Interpretation völlig eigene Wege zu gehen.

Es bleibt also spannend am Sonntagabend, wie Poschner Bruckners „Romantische“ umsetzen wird. Viel Zeit bleibt ihm allerdings nicht.

Herr Poschner, Sie sind um 6 Uhr nach Berlin geflogen zur ersten Probe, nur fünf Tage vor dem Auftritt. Wie war’s?

Sehr beglückend! Es ist einfach ein tolles Orchester, aber es bleibt für mich immer besonders und aufregend, ein Orchester zum ersten Mal zu dirigieren. Und es ist ein bisschen schicksalhaft, denn: das ist auch mein vorgezogenes Debüt beim DSO.

Wie meinen Sie das?

Nächstes Jahr wäre ich dort als Gast-Dirigent ohnehin geplant gewesen. Nun lerne ich das Orchester heute schon kennen.

Kommt es häufiger vor, dass Sie einspringen sollen?

Durchaus! Man kriegt viele Anfragen, ob man einspringen kann, dann rast man zum Flughafen und fliegt zum Beispiel nach Paris oder eben Berlin. Ich konnte es kaum glauben, dass mich dieser Anruf aus Bad Kissingen ausgerechnet jetzt ereilt hat – es hätte nicht besser in meinen Plan passen können.

Und das Repertoire?

Für mich ist das ein absoluter Glücksfall, dass es genau um dieses Programm geht. Das Orchester hat eine große Bruckner-Tradition – insofern ist es für mich sehr spannend zu hören, was es für eine Idee und was für einen Klang hat. Als Dirigent und Orchester tastet man sich bei der ersten Begegnung ja zunächst ab. Und das gerade bei Bruckners magischer Vierten - ein absolutes Highlight.

Zur Recherche habe ich sie mir angehört. Meine Augen wurden feucht. 

Das verstehe ich. Dieses Stück hat eine unglaubliche Aura, die einen ergreift.

Ja, die fühlt man auch als Laie. 

Und genau das ist es: Erst, wenn wir ergriffen werden, dann verstehen wir Musik. Natürlich kann ich als Profi das Stück handwerklich analysieren. Aber das, was mit uns durch die Musik geschieht, das ist eine Welt hinter der sichtbaren Welt – eine Welt der Emotionen und die können wir kaum beschreiben. Wir sind ergriffen – und das ist eigentlich der einzige Weg zum wahren Verstehen von Musik.  

Sind Sie nervös?

Man ist immer gespannt und müsste sofort aufhören, wenn einen das alles kaltlassen würde. Die Situation vor einem Orchester hat ja etwas sehr Fragiles. Denn man gibt sein Innerstes preis, auch, um einen Zugang zu seiner innersten Gefühlswelt herzustellen. Und damit ist man auch verletzlich, weil es eben so persönlich ist. Natürlich, als Dirigent muss ich stets klare Vorstellungen haben und dementsprechend Entscheidungen fällen. Aber genau hier treffe ich mit dem DSO auf ein wunderbares Orchester, das so viel mitbringt, weil es eben in diesem Repertoire auch zu Hause ist.

In vier Tagen stehen Sie auf der Bühne. Das heißt, die Fußball-EM kommt bei Ihnen sehr kurz, wenn überhaupt?

(lacht) Ich ziehe mich jetzt im Hotel zurück und studiere Clara Schumanns Klavierkonzert a-Moll. Damit gehe ich heute Abend ins Bett, das ist mein Job. Glücklicherweise kannte ich das Stück und hatte die Partitur zuhause. Jetzt ist noch genug Zeit, um das selten gespielte Wert zu studieren. Ich bin schon sehr gespannt auf den Solisten, den lerne ich auch erst morgen kennen. Es ist sehr aufregend, wenn man sich in der Kürze der Zeit aufeinander einlassen muss.

Walküre in Abu Dhabi

Nach dem Studium in München und Assistenz bei Sir Roger Norrington und Sir Colin Davis wirkte Poschner zunächst als 1. Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin. Von 2007 bis 2017 war er Generalmusikdirektor der Bremer Philharmoniker . Seit 2015 ist er außerdem Chef des „Orchestra della Svizzera Italiana“ in Lugano/Schweiz. Das Bayreuther Festspielorchester dirigierte er erstmals bei dessen außergewöhnlichem Gastspiel 2019 in Abu Dhabi mit Wagners „Walküre“. Zuletzt eröffnete Markus Poschner mit „Tristan und Isolde“ die Bayreuther Festspiele 2022 und dirigierte diese Produktion auch im vergangenen Jahr. Ab der Spielzeit 2025/26 wird Markus Poschner außerdem Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel.

 
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