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Bad Kissingen
Urban Priol: Die Welt ist schlecht
Nach drei Stunden Dauerbeschuss hatte Urban Priol sein Publikum in den Zustand der euphorischen Trauer versetzt.
Die Erleuchtung des (schein)heiligen Urban oder: Ein Mömlinger entlarvt die Welt. Foto: Ahnert       -  Die Erleuchtung des (schein)heiligen Urban oder: Ein Mömlinger entlarvt die Welt. Foto: Ahnert
| Die Erleuchtung des (schein)heiligen Urban oder: Ein Mömlinger entlarvt die Welt. Foto: Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 19:10 Uhr
Den Pater Leppich hat man einmal das "Maschinengewehr Gottes" genannt. Kein schlechtes Bild, wenn man einmal davon absieht, was für Unsinnssalven aus seinem Mund herauskamen. Dies berücksichtigend, ist es gar nicht so falsch, den Urban Priol als ein Maschinengewehr des Kabaretts zu bezeichnen, denn er feuert eine Breitseite nach der anderen auf seine Zeitgenossen aus Politik und Wirtschaft ab und erlegt dabei sein Publikum.
Urban Priol muss man aushalten. Er ist, wenn man sich in der Kabarettszene etwas umschaut, im Moment wohl der politisch und rhetorisch Stärkste unter seinen Kolleginnen und Kollegen. Er ist einer, aus dem die Weltsicht erbarmungslos nach außen dringt, der, wenn er sich aufs Gleis gestellt hat, gnaden- und pausenlos reden kann, ohne Rücksicht auf sich und andere, dem es völlig egal ist, wenn der Pausensekt allmählich warm wird. Er macht erst Pause, wenn sein Magazin leer geschossen ist, wenn er nachladen muss. Wer sich auf Urban Priol einlässt, braucht Kondition.


Im Trommelfeuer der Rhetorik

Er braucht sie auch deshalb, weil er aufpassen muss wie ein Schießhund - da sind wir schon wieder im Bild - damit er nichts verpasst, denn der Mömlinger (nach Omborch (Obernburg) und dann rechts) ist ein phonetisches Genie, der nicht nur eine Menge von Dialekten beherrscht, sondern auch viele Volksrednerinnen und -redner so imitieren kann, dass eine Namensnennug überflüssig ist. Und der in Sekundenbruchteilen umspringen kann von Seehofer zum Stammtisch, dass die gegenseitigen Abhängigkeiten überdeutlich werden. Allerdings ist sein untermainischer Mutterdialekt nicht erst seit dem "Blauen Bock" ein Sinnbild einer gewissen Erdung.


Dreistündiger Parforceritt

An das Wie des Urban Priol könnte man sich ja gewöhnen, aber nicht an das Was. Denn seine kabarettistische Tour d'horizon ist ein dreistündiger Parforceritt durch die Niederungen der Politik. Futter für seinen Gaul findet er dabei mehr als genug: "Was waren denn die Aufreger in diesem Jahr?" fragt er. Zum Nachdenken hat man keine Zeit. Die Wahl von Donald Trump spielt noch nicht die große Rolle - "Jetzt haben die Amerikaner ihr zweites Nine/Eleven". Den Schock hat wohl auch er noch nicht ganz verdaut, muss sich erst noch sprachlich auf ihn einschwingen. Dazu ist ja auch noch Zeit.

Aber er hat ja auch seine Lieblinge, und da teilt er nach allen Seiten aus. Parteilichkeit kann man ihm bestimmt nicht nachsagen. Über allen schwebt natürlich Angela Merkel, "unsere Marionette der Wirtschaft", der er vorwift, das s sie seit zehn Jahren die Stagnation verwaltet, dass von ihren eigentlich guten Ansätzen nichts mehr geblieben ist, dass sie ihr Mäntelchen in den Wind hängt. Oder Horst Seehofer, der "Spaltpilz". Oder Winfried Kretschmann, der "grüne Oberpriester, der Angela Merkel in sein Nachtgebet einschließt", weil er die weitverbreitete Meinung vertritt, dass nursie den "Laden Euopa zusammenhalten kann". Ja, und natürlich Günter Öttinger, dessen Skandal nicht seine "Schlitzaugenrede" war, sondern dass er überhaupt nach Brüssel kommen konnte. Oder Erdogan ... Oder Jeroen Dijsselbloem, der Chef der Euro-Gruppe, der als Finanzminister in seinem Heimatland dafür gesorgt hat, dass ausgerechnet die Niederlande zum übelsten Paradies für Steuersünder wurden.
Es ist seine unverblümte Art, die Menschen, die er fokussiert, beim Wort zu nehmen und ihre Aussagen weiterzudenken, sie zu hinterfragen. Das Hinterfotzige dabei ist, dass er nicht einfach behauptet, sondern seine Behauptung, so salopp sie auch klingen mögen, gesichert belegt. Priol entlarvt die Verschleirungstaktiken die die Politik beherrshen, und er nennt Fakten: von den 220 Milliarden für Rettungspakete sind fünf Prozent an die Bedürftigen in Europa gegangen. Den Rest haben die notleidenden Banken unter sich verteilt.


In der Kulinarisierungsfalle

Man wird als Zuhörer ein bisschen atemlos, eion bisschen schwindelig im Laufe des Abends, weil man nichts verpassen, alles selber nach-denken will. Und man merkt dabei gar nicht, wie man in eine Zwickmühle gerät, in eine Art "Kulinarisierungsfalle". Denn man muss nicht Mitglied irgendeiner Partei sein, um immer wieder festzustellen, dass Urban Priol recht hat. Man könnte es vielleicht etwas milder sagen, aber man muss ihm zustimmen, weil er in hohem Maße nicht nach politischen, sondern nach moralischen Kriterien urteilt.

Man müsste eigentlich höchst empört und mit geballten Fäusten in den Hosentaschen den Großen Saal verlassen und die ersten Spontandemonstrationen planen. Aber man tut es nicht, weil man sich hat ablenken lassen von den Pointen eines großen kabarettistischen Pumuckl, der über die Bühne springt und dem der Friseur schon den Gegenwind auf den Kopf modelliert hat.


Bruder Pessimist

Man ist plötzlich dem Priolschen Pessimisten ganz nahe, der darüber jammert, dass "die Welt so schlecht geworden ist, dass sie schlechter nicht mehr werden kann." Und den der Optimist tröstet: "Doch, das geht schon noch."

Aber dann kommt man doch noch ins Grübeln: Wie hätte Urben Priols weiterer Abend ausgesehen, wenn er sein Programm in Bodrum oder Ankara oder Istanbul erzählt hätte?
 
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