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Euerdorf/Bremen
Die Sehnsucht nach dem Weltraum
Julia Back
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:56 Uhr

Ich wollte immer eine Pionierrolle im Weltraum spielen“, erzählt Tina Büchner da Costa. Zwar ist sie von ihrem Traum abgerückt, die erste Frau auf dem Mars zu sein. Aber der Wunsch nach der Reise ins All brennt immer noch in ihr.

„Sterne gucken, Astronomie und Raumfahrt“, diese Themen haben Tina Büchner da Costa aus Euerdorf (Lkr. Bad Kissingen) schon immer interessiert. „Aber ich wusste gar nicht, dass man das überhaupt studieren kann“, erzählt die 38-Jährige im Rückblick auf ihre Abizeit. 20 Jahre später hat die Unterfränkin, die in Bremen wohnt, die große Chance, die erste deutsche Frau im Weltall zu werden – und damit die Pionierrolle einzunehmen, von der sie immer geträumt hat.



Video von der Facebook-Seite "Die Astronautin"

Unter den letzten 30 Kandidatinnen

Die Diplom-Ingenieurin für Luft- und Raumfahrttechnik ist unter den letzten 30 Bewerberinnen im bundesweiten Projekt „Die Astronautin“

: Bis 2020 soll die erste deutsche Frau ins All geschickt werden. Sollte sich Tina Büchner da Costa gegen ihre 29 Konkurrentinnen durchsetzen, wird sie sich auf eine Reise zur Internationalen Raumstation (ISS) aufmachen. Anfang Dezember hat sie die psychologischen Tests beim Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum durchlaufen. Nun entscheidet sich, ob sie es unter die letzten zehn Kandidatinnen schafft und der Reise ins All wieder ein Stückchen näher gekommen ist.

Zwar hat sie als kleines Kind noch nicht von fernen Galaxien geträumt, aber sie wollte schon damals ganz genau wissen, wie die Welt funktioniert. „Mein Vater ist Bauingenieur und hat mein Interesse an Technik gefördert“, erzählt sie. Doch vor den Raketen kamen erst einmal die Flugzeuge. „Mit acht Jahren habe ich in einer Cessna einen Rundflug über Bad Kissingen gemacht, und mir konnte es nicht wild genug gehen“, sagt sie. In ihrer Kindheit fliegen noch viele Jets über ihre Heimat Euerdorf. Jedes Mal rennt sie in den Garten und schaut hinauf zum Himmel.

Top Gun als Faszination

Dann kommt Tom Cruise. „Top Gun war der erste Film, der mich total begeistert hat“, sagt sie. „Als ich den im Kino gesehen habe, wollte ich unbedingt auch so einen Jet fliegen.“ Sie verfolgt ihr Ziel und besucht in Schweinfurt eine Ausstellung der Bundeswehr: „Ich wollte keine Waffen abwerfen, aber ich habe gefragt, was ich machen muss, um Jets zu fliegen.“ Die Antwort, dass Frauen bei der Bundeswehr entweder zum Musikkorps oder zum Sanitätsdienst gehen, ist niederschmetternd. „Ich war frustriert, weil ich verstanden habe, dass ich in meinem Leben wahrscheinlich niemals meinen Hintern in so einen Jet reinkriege.“

Die Sehnsucht, einmal in ihrem Leben einen Jet zu fliegen, begleitet die zweifache Mutter bis heute: „Wenn das nicht so teuer wäre, hätte ich das schon längst gemacht.“ Sollte sie nicht die erste deutsche Frau im Weltall werden, dann will sie sich als „Trostpreis“ diesen seit ihrer Jugend gehegten Wunsch erfüllen.

„Apollo 13“ schreckt nicht ab

Hoffnung gab ihr dann Tom Hanks, der Hauptdarsteller des zweiten Films, der sie bis heute geprägt hat: „Apollo 13“. „Dieser Film hat mich tief berührt“, so Büchner da Costa. Vor allem der Zusammenhalt der Menschen am Boden, die alles gaben, um die Besatzung von Apollo 13 wieder heil auf die Erde zu bringen. „Jetzt nach vielen Jahren Arbeit in dem Bereich begeistert es mich am meisten, wie alle, die in der Raumfahrt arbeiten, mit ganzem Herzen dabei sind und gemeinsam tolle Dinge erreichen“, sagt sie.

Aber die Welten von Top Gun und Apollo 13 waren für die Unterfränkin weit weg. „In Franken und um mich herum gab es überhaupt niemanden, der so etwas in der Art gemacht hat“, erinnert sie sich. Bis zu ihrem Abitur 1997 in Bad Kissingen wusste Büchner da Costa nicht, was sie studieren soll. „Ich hatte zwar einen Astronomiekurs, aber Physik wollte ich nicht studieren“, sagt sie. Erst beim Blättern im Infowälzer „Studium Aktuell“ hat sie erfahren, dass man Luft- und Raumfahrttechnik studieren kann. „Da wusste ich sofort: Das ist mein Ding!“ Ihre Eltern unterstützten die 18-Jährige in ihren Plänen.

Am Weltraumbahnhof angekommen

Von Bad Kissingen aus geht sie an die Uni nach Stuttgart. Praktika führen sie zu Airbus nach Toulouse und schließlich nach Französisch-Guayana in Südamerika. Dort, am Europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, starten die Ariane-Raketen. „Dort wusste ich: Flugzeuge sind zwar toll, aber mein Herz schlägt wirklich für die Raumfahrt“, sagt sie.

So sehr, dass sie sich 2008 bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) als Astronautin bewirbt. „Damals bin ich aber schon ziemlich früh ausgeschieden“, erinnert sie sich. Da Astronauten nur alle 15 Jahre gesucht werden, hat sie das Thema, selbst ins All zu fliegen, aber abgehakt. Sie gründet mit ihrem Mann, einem Portugiesen, der wie sie beim Airbus Konzern arbeitet, eine Familie. Heute hat sie einen vier Jahre alten Sohn und eine sechs Jahre alte Tochter. „Ich dachte, dann hat es eben so sollen sein. Ich möchte meine Familie nicht missen“, sagt sie.

Im Herzen Fränkin

Bei Airbus Safran Launchers leitet sie die Abteilung Future Launcher Technologies. Dort wird erforscht, wie Raketen mit Hilfe neuer Technologien zukunftsfähiger und kostengünstiger werden können. Sie arbeitet gerne im internationalen Umfeld. Aber dass sie im Herzen Fränkin ist, merken ihre Kollegen aus aller Welt vor allem an ihrem rollenden 'r'. „Das habe ich mir auch in Bremen nicht abgewöhnt“, lacht sie. Und während viele ihrer Kollegen aus einem Umfeld von Raumfahrtforschern stammen, muss die Euerdorferin ihre Leidenschaft erst entdecken. „Das ist auch die Botschaft, die ich vermitteln möchte: Ich bin stinknormal, komme aus einem kleinen Dorf in Franken und bin meinen Weg gegangen.“

Doch ihre Chance, Geschichte zu schreiben, hätte sie fast verpasst. Als sie bei einem Kaffee mit Claudia Kessler, der Initiatorin von „Die Astronautin“, zusammensitzt und diese von ihrem Plan berichtet, die erste deutsche Frau ins All zu schicken, findet die Unterfränkin deren Idee „cool und verrückt“, ist aber sofort Feuer und Flamme. „Ich habe ihr sofort meine Hilfe angeboten“, erinnert sie sich. Doch daheim hält sie ihren Vorschlag, sie zu unterstützen, für „bescheuert“.

Die zweite Chance

„Es hat eine Weile gedauert, bis ich kapiert habe, dass mir Unterstützen nicht genug ist, sondern dass das meine zweite Chance sein könnte.“ Es dauert einige Tage, bis ihr Entschluss steht. „Ich bin Mama von zwei Kindern, und ich möchte auf keinen Fall ein zu großes Risiko eingehen, dass meine Kinder ohne mich sind.“ Doch die Idee vom Flug ins All wiegt schwer. Auch auch ihr Mann bekräftigt sie, ihre zweite Chance zu nutzen. „Seitdem ich mich beworben habe, steigt meine Motivation für die Sache jeden Tag an“, sagt die 38-Jährige. „Es ist so verrückt, weil es eine Leidenschaft ist, die aus meinem Inneren kommt. Ich habe mich nie beirren lassen.“

Im Mai war Büchner da Costa eine von 408 Frauen mit dem Ziel, die erste deutsche Frau im All zu sein. Heute muss sie sich diesen Traum nur noch mit 29 anderen teilen. In der ersten Runde wurden Lebensläufe und Motivationsvideos gesichtet, Extremerfahrungen, wie beispielsweise ein Flug- oder Tauchschein gaben Extrapunkte. Danach waren es nur noch 120 Bewerberinnen.

Diese mussten medizinische Fragebögen vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) ausfüllen. Im nächsten Schritt wurden Büchner da Costa und 85 andere Frauen zu Auswahlverfahren an das DLR nach Hamburg eingeladen. Dort wurden kognitive Tests, wie technisches Verständnis, Merkfähigkeit, Mathematik oder Englisch gemacht.

Authentisch geblieben

30 Frauen kamen in die nächste Runde – und wieder war die Unterfränkin darunter. Im Dezember schließlich folgten psychologische Auswahltests in Form von Interviews oder Gruppendiskussionen. „Hier wurde dann Persönlichkeit und Motivation unter die Lupe genommen“, so Büchner da Costa.

„Mein Gefühl war nicht so gut, aber das sagt nicht viel aus, weil man nicht weiß, auf welche Kriterien es ankommt“, erzählt sie. Ihr war es vor allem wichtig, authentisch zu bleiben: „Dass ich zeige, wer ich bin und was meine Motivation ist.“ Anfang 2017 folgen die medizinischen Tests und die letzten zehn Kandidatinnen werden bekannt gegeben.

Schon heute ist die Ingenieurin dankbar für „Die Astronautin“: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele tolle Frauen in Deutschland gibt, die alle verrückt genug sind, so einen Traum zu haben. Endlich hat man einmal Frauen getroffen, die so ticken wie man selbst.“ Und vor allem: Die Mutter war kein Exot beim Kampf um den Platz ins All. „Mindestens ein Drittel der Teilnehmerinnen hat Kinder.“

Zehn Tage auf der ISS

Sollte die Unterfränkin sich durchsetzen können, geht es für sie zehn Tage auf die Internationale Raumstation ISS. „Die ist nur 400 Kilometer über uns, aber man ist zwei Tage unterwegs“, erklärt sie. Eine russische Sojus-Rakete würde sie und noch zwei andere Astronauten in den Weltraum bringen. Angst hat sie keine, aber Respekt. „Den muss man auch haben, sonst ist es ganz gefährlich“, so Büchner da Costa. Die Ingenieurin hat Vertrauen in die Technik und vor allem in die Menschen, die dahinter stehen.

Sollte sie die Reise ins All antreten, wird es nicht nur für sie eine Extremsituation sein, sondern auch ihre Familie in Euerdorf beschäftigen. „Meine Eltern mussten in ihrem Leben schon öfters schlucken. Bei der Sache sind sie gefangen zwischen Angst und Stolz“, sagt sie. Es ist aber nicht nur die Zeit im All, die ihr Leben und das ihrer Familie auf den Kopf stellen würde, es ist das Training vorab. „Einen Teil des Trainings verbringt man in Köln, ein paar Monate in Russland und einen Teil in Amerika.“

Wir sind alle Erdenbürger

Tina Büchner da Costa will ihre Chance, die erste deutsche Astronautin zu werden, auch für ihre Botschaft nutzen: „Es geht nicht nur darum, dass die Raumfahrt faszinierend ist, sondern auch um das Friedenselement, das ich mit ihr verbinde. Kein anderes Projekt hat es geschafft, die Nationen der Welt in so einem friedlichen Miteinander zu vereinen. Von dort oben sind wir alle Erdenbürger.“

Das Projekt „Die Astronautin“

Bislang sind elf deutsche Männer ins All geflogen, eine deutsche Astronautin gab es noch nicht. Mit dem Projekt „Die Astronautin“ will Initiatorin Claudia Kessler (Geschäftsführerin von HE Space, eine Personalvermittlung in der Raumfahrt) dies ändern. Bis zum Jahr 2020 soll die erste deutsche Frau auf eine zehntägige Mission zur Internationalen Raumstation ISS entsendet werden. Finanziert wird das Projekt mit Hilfe von Sponsoren. Unterstützt wird es von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.

Über 400 Frauen aus verschiedenen Bereichen der Ingenieur- und Naturwissenschaften haben sich bei dem Programm beworben. 86 Kandidatinnen haben es nach einer Vorauswahl, in der Lebensläufe und Motivationsvideos gesichtet wurden sowie medizinische Fragebögen ausgewertet wurden, in die nächste Runde geschafft. Die Frauen haben bis zum 14. Dezember an den medizinisch-psychologischen Eignungsuntersuchungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg teilgenommen. Das DLR unterstützt das Projekt auch zu eigenen wissenschaftlichen Forschungszwecken.

Im Januar 2017 werden die Kandidatinnen in einer letzten Auswahlrunde in Köln umfassend medizinisch untersucht. Das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum wird Empfehlungen für bis zu zehn Kandidatinnen aussprechen, welche von einer Auswahlkommission begutachtet werden. Aus den verbliebenen Kandidatinnen werden schließlich zwei ausgewählt. Beide Frauen werden zur Astronautin ausgebildet und auf die ISS-Mission vorbereitet. Eine der beiden wird den Flug zur Internationalen Raumstation antreten.

Informationen zum Projekt gibt es unter: www.dieastronautin.de und auf Facebook unter www.facebook.com/dieastronautin

 
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