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Hammelburg
Die Sehnsucht als Triebfeder
Der Euerdorfer Künstler Helmut Droll präsentierte seine Werke im alten Hammelburger Kunst-Kaufhaus und gab einen Einblick in sein Kunst-Verständnis.
Helmut Droll präsentierte in seinem Vortrag die Sehnsucht als Triebfeder in der Kunst im Hammelburger Kunst-Kaufhaus.  Foto: Jacqueline Vera Mihm       -  Helmut Droll präsentierte in seinem Vortrag die Sehnsucht als Triebfeder in der Kunst im Hammelburger Kunst-Kaufhaus.  Foto: Jacqueline Vera Mihm
| Helmut Droll präsentierte in seinem Vortrag die Sehnsucht als Triebfeder in der Kunst im Hammelburger Kunst-Kaufhaus. Foto: Jacqueline Vera Mihm
Jacqueline Vera Mihm
 |  aktualisiert: 19.08.2022 12:25 Uhr
Kein schönes und schmachtend in die Ferne blickendes junges Mädchen, kein Sonnenuntergang am Südseestrand. Dafür ein im Maschendrahtzaun verfangenes welkes Blatt, oder eine Mauer, auf der ein Weinglas steht. Das soll Sehnsucht in der Kunst repräsentieren? Ja, sagt Helmut Droll.
Der preisgekrönte Euerdorfer Künstler präsentierte in seinem Vortrag die Sehnsucht als Triebfeder in der Kunst vor einem bis auf den letzten Platz belegten Raum im alten Hammelburger Kunst-Kaufhaus. Die Zuhörer erlebten eine informative und interaktive Präsentation mit Diskurs. Initiiert wurde der Abendvortrag im Rahmen der Ausstellung "Stille Post" der Gruppe Hammelburger KUNSTvereint, bei der Doll ausgewählte Bilder und Skulpturen seines Schaffens als eindrucksvolle Betrachtungsobjekte zum Sehnsuchtsthema zeigte. Diese Werke spiegelten den Sehnsuchtsbegriff in einer besonderen Tiefe wider, die Zuhörer konnten ihre eigene Perspektive an diesem Abend weiten, und mancher wurde in die Welt der Sehnsucht entführt. Sehnsucht, so Droll, sei ein typisch deutsches Wort. Ein Wort, das in anderen Sprachen oft keine Entsprechung findet. Zusammengesetzt aus "sich sehnen" - vergleichbar mit schmerzlich verlangen - und "Sucht", einem nicht rational gesteuerten Suchen nach einem Erlebniszustand. In der Romantik bezeichnete Sehnsucht ein heftiges, oft schmerzliches Verlangen nach etwas - ein Verlangen mit ungewissem Ausgang.


Was am Ende bleibt

Am besten drücke sich dies in den Begriffen wie Fernweh und Heimweh aus, so Helmut Droll. Weitere Begriffsdefinitionen zur Sehnsucht - von Platon über den Idealismus bis hin zu Laotse - zeigte er auf und auch die wesentliche Frage: "Wenn wir am Ende unseres Lebens zurückblicken könnten und all die leeren Zeiten wegrechneten - zwischen Wunsch und Erfüllung - was bliebe dann vom gelebten Leben?" Ja, was bliebe da?
Der Zeitbegriff sei wichtig und Droll erläuterte den Sehnsuchtsbegriff in Thesen: Sehnsucht beziehe sich nie auf ein Jetzt, sondern sei immer auf die Vergangenheit oder Zukunft gerichtet. Ein vollständig glücklicher Mensch habe keine Sehnsucht. Im Jetzt lebende Menschen könnten sagen: "Es ist, wie es ist - aber könnte ..." sich etwas erträumend. Hier sei die Sehnsucht die Herrscherin über andere Möglichkeiten. Sehnsucht, so Droll, entspringe immer der virtuellen Welt der Erinnerung und Vorstellung. Sie sei die Triebfeder zu Rückkehr und Veränderung. Er behauptet, sie sei die Mutter jeder wissenschaftlichen, technischen und sozialen Weiterentwicklung. Sie führt - zukünftiges im Blick - zu Verwirklichung oder Resignation. Die Tochter der Sehnsucht sei die Vision.
Mit dieser Vision komme der Künstler ins Spiel, da künstlerische Arbeiten oft virtuelle Lebenswelten zeigten. Er demonstrierte das mit dem Bild eines anderen Künstlers, auf dem Betrachter ein Liebespaar oder einige Delfine erkennen konnten. Flipper oder Liebespaar? Man erkenne, was der eigenen Lebenserfahrung entspringe und erschaffe sich seine eigene Welt.
Kunst sollte kritisch betrachten und darf nicht nur "schön" sein. Ästhetisch schön sind Helmut Drolls Werke, künstlerisch ausgefeilt und mit Tiefgang. Kunst trägt oft Verantwortung, Missstände aufzeigend. Kunst will nicht nur den Betrachter "füttern", sondern verlangt ihm eine aktive Rolle ab. Droll forderte zum Diskurs über den Sehnsuchtsbegriff, auch in der Interpretation seiner von ihm vorstellten Bilder und Skulpturen auf.
Ein direkt vor einem Sonnenuntergang stehendes Weinglas, scheinbar über einer dichten mauerähnlichen Hecke schwebend, für Helmut Droll zeigt dieses Beispiel aus seinen Werken Suchtverhalten wohl am deutlichsten. Je mehr Alkohol, desto weniger Außenwahrnehmung. Abhängigkeit versperre die Sicht. In diesem Bild erkennt man die Sehnsucht wieder, die Realität sehen zu wollen - weg von der Sucht.


Raum für weiter Betrachtungen

Das Bild öffnet Raum für eine weiterführende Betrachtung des Themas Sucht. Sucht könnte wohl auch mit Suchen gleichgesetzt werden. Wen oder was sucht man? Sich selbst.
Ein Leben aus sich selbst heraus, seinen eigenen Wert erkennend, kann nicht gelebt werden. Man schenkt sich selbst keine Liebe und Aufmerksamkeit, flüchtet vor sich selbst in ein Surrogat. Die hier vorhandene Sehnsucht ist die Sehnsucht nach dem Leben. Weitere Werke wurden betrachtet und diskutiert, so zum Beispiel "Hängengeblieben": Das Bild vom welken, im Maschendrahtzaun verfangenen Blatt entstand in Reflektion zur Flüchtlingsthematik. Helmut Droll hat seine beeindruckend technisch ausgefeilten und inhaltlich tiefen Bilder übrigens bereits vor dem ersten Strich "fix und fertig" genau vor Augen.
Die Anwesenden durften eigene Interpretationen äußern und diskutieren. Es wurden unterschiedliche Auffassungen vertreten und diskutiert, da ein jeder bekanntlich seine eigenen ihm immanenten Blickwinkel hat. Durch dieses Teilen des eigenen Blickwinkels, das intensive Betrachten der Kunstwerke wurde der Vortrag lebendig und persönlich, und die Zuhörer konnten das Kaufhaus mit neuer Inspiration und einer erweiterten Perspektive verlassen.
 
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