Bad Kissingen Sozialpädagogin Elisabeth Brockmann (60) war lange in der Krankenhausarbeit tätig, bevor sie vor 15 Jahren die Leitung der Bundesgeschäftsstelle AGUS (Angehörige um Suizid, Bayreuth) übernahm. Am 22. Oktober referiert sie bei der Christian-Presl-Stiftung über die Situation der Angehörigen. Wir sprachen mit ihr wichtige Fragen zu diesem Thema an.
Elisabeth Brockmann: Mit dem Tod beschäftigt sich niemand gerne. Suizid ist darüber hinaus eine Todesart, die viele Fragen auslöst: Warum hat das niemand bemerkt? Warum hat keiner geholfen? Darf ein Mensch das überhaupt? Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren bereits weiter entwickelt, denn offen über ein Tabu zu sprechen, beinhaltet ja gleichzeitig auch die Möglichkeit, andere Umgangsmöglichkeiten mit diesem Thema zu finden.
Brockmann: Bei einem Suizid treten Fragen auf, die bei anderen Todesarten nicht oder nicht in dieser Form auftreten. Der Verlust und die Trauer um einen lieben Menschen sind immer ausgesprochen schmerzhaft. Dazu kommen hier jedoch verstärkt die quälenden Fragen nach dem Warum. Hinterbliebene fühlen sich bewusst allein gelassen und fragen sich oft, was sie dem Verstorbenen überhaupt bedeutet haben. Sie fragen sich auch, warum sie diese Entwicklung zum Suizid hin nicht rechtzeitig bemerkt haben, was sie versäumt oder vielleicht übersehen haben. Bei Suizid kommen die Zweifel an der eigenen Person dazu.
Brockmann: Ich frage, wie diese Schuldfrage aussieht. Auf keinen Fall rede ich ihm das aus. Denn die Frage nach der Schuld kann unter Umständen sogar „sinnvoll“ sein. Denn jeder Mensch macht in Beziehungen Fehler. Die Frage ist nur, ob dieses Fehler-Machen ausschlaggebend für den Suizid des Angehörigen oder Freundes sein kann? Da sage ich persönlich: nein. Ein Suizid ist nie auf nur einen Grund zurückzuführen.
Brockmann: Oft gibt es ja Erklärungsmodelle. Aber es bleibt immer etwas Unerklärbares an einem Suizid, mit dem es schwer zu leben ist. Denn für Angehörige wäre Vieles lösbar gewesen, was für den, der gegangen ist, nicht lösbar war. Angehörige fühlen sich da oft völlig ausgeliefert.
Brockmann: Schmerz, Trauer, Verlust. Ein Suizid erschüttert oft auch das Selbstwertgefühl. Man hat Zweifel, glaubt versagt zu haben. Manchmal stellt man die ganze Beziehung zum andern, aber auch sich selbst in Frage. Gelegentlich hat man auch Wut in sich, weil man verlassen wurde. Aber andererseits fordern Außenstehende die Wut auch oft ein. Das entspricht nicht immer dem Gefühl der Hinterbliebenen.
Brockmann: Man kann niemandem in den Kopf schauen. Wenn der Andere die eigene Not nicht kundtut, kann man es nicht ahnen. Oft sagen diese Menschen auch nichts, weil sie ihre Familie nicht beunruhigen wollen. Man hat dann keine Chance.
Brockmann: Die gibt es leider nicht immer. Aber man sollte hellhörig werden, wenn jemand öfter davon spricht, dass er eine bestimmte Situation nicht aushält oder wenn er sich oft mit Tod und Sterben auseinandersetzt. Meine Empfehlung ist da immer: Sprechen Sie den Betreffenden an, fragen Sie ihn, ob er daran denkt, sich das Leben zu nehmen. Und sagen Sie ihm auch, dass Sie sich um ihn Sorgen machen. Das kann sehr entlastend wirken.
Brockmann: Man sollte sie auf keinen Fall anlügen, was die Todesursache angeht, denn vielleicht erfahren sie es dann in Kindergarten oder Schule von andern, das ist schlimmer. Aber man muss die Wahrheit auch nicht mit Einzelheiten ausgestalten. Wenn man mit ihnen spricht, gibt ihnen das das Gefühl, dass man auf sie achtet und sie einbezieht. Es ist die Grundlage der späteren Entwicklung. Ist man als Elternteil damit überfordert, kann man andere Vertrauenspersonen bitten, mit dem Kind zu sprechen.
Brockmann: Er kann dem andern seine „Erfahrungen“ mitteilen, er hat so zu sagen eine gewisse „Kompetenz“, das ist sehr wertvoll. Denn der Andere hat dann das Gefühl, nicht allein zu sein in dieser Situation. Es ist wohltuend und stärkend für ihn. Das erleben wir in unseren Selbsthilfegruppen immer wieder.
Brockmann: Ehrlich gesagt, in der ersten Zeit ist kein Trost möglich. Man kann nur Hoffnung geben. Da hilft höchstens ein bisschen die Information von anderen Betroffenen, dass das Leben wieder schön werden kann. Aber es dauert lange Zeit. Man muss Geduld mit sich haben.