Dass Italien nicht nur das glückliche Land ist, wo glückliche Zitronen blühen, sondern auch das Land der Mafia, das wissen auch die Deutschen schon lange. Sie blenden es aber am liebsten aus. Dass ebendiese Mafia schon ab den 1870er Jahren Zitronen in die USA exportiert hat, war deshalb eine durchaus interessante Information. Zu erfahren war sie beim Kissinger Sommer, der diesmal unter dem Motto "La dolce vita" steht.
Für den Abend im lauschigen Kurtheater hatten die Programmmacher dem Motto ein Fragezeichen hinzugefügt: "La dolce vita?" Es ging darum, das allzu azurblaue Bild des Sehnsuchtslands der Deutschen ein wenig der Realität anzunähern. Beziehungsweise auch Seiten zu zeigen, die nicht den gängigen Klischees von Sonne, Strand und Spaghetti entsprechen.
Angestrebt war eine Differenzierung und Ergänzung des deutschen Italienbilds
Untertitel des Abends: "Vokalmusik und Talk". Mitglieder des Rundfunkchors Berlin und Instrumentalistinnen und Instrumentalisten unter der Leitung von Gijs Leenaars sangen und spielten Werke italienischer Komponistinnen und Komponisten vom 16. bis 20. Jahrhundert. In den Talkabschnitten dazwischen sollte eben jene Differenzierung und Ergänzung des deutschen Italienbilds stattfinden.
Was nur teilweise überzeugte. Denn die Redebeiträge mit Moderatorin Boussa Thiam konnten schon der Kürze wegen kaum mehr als an der Oberfläche kratzen. So brachte der Blitzüberblick über die deutsch-italienischen Beziehungen seit dem 16. Jahrhundert von Edith Pichler, Italienerin und Dozentin an der Uni Potsdam, nichts wirklich Neues. Und dass selbst positive Stereotype einengend sein können, gilt auch in anderen Kontexten. Immerhin: "Wir sind für die Deutschen nicht mehr die Spaghettifresser", konnte Pichler vermerken.
Da gelang es Sandro Mattioli, in seinen wenigen Minuten einiges mehr an Substanz unterzubringen. Der deutsch-italienische Journalist ist Mafia-Experte und hat immer wieder nachgewiesen, wie sehr die Aktivitäten der kriminellen Organisation in Deutschland unterschätzt oder verharmlost werden. Was vielleicht an der Faszination von Figuren wie Marlon Brando in "Der Pate" liegt, vor allem aber an einer anderen Wahrnehmung: "In Deutschland gibt es nicht diese Untaten wie in Italien."
Deutschland sei als extrem stabiles Land sehr attraktiv, um Geld arbeiten zu lassen. Und um Geld zu waschen. "Da geht es nicht nur darum, dass beim Italiener immer ein paar mehr Pizzen aufgeschrieben werden", sagt Mattioli. So könne jeder hierzulande bis zu zehn Prozent einer Bank erwerben, ohne einen Nachweis über die Herkunft der Kaufsumme erbringen zu müssen. "Das sind ganz andere Dimensionen."
Die Musik stellte eine Intensität her, die den Redebeiträgen fehlte
Gigantisch sind laut Mattioli auch die Dimensionen beim Drogenhandel: "Europa wird überschüttet mit Kokain durch die Mafia." Man gehe davon aus, dass die Ermittlungsbehörden maximal ein Drittel der importierten Menge beschlagnahmen. 2001 waren das in Deutschland 300 Tonnen. "Man kann sich also ausrechnen, welche Mengen unentdeckt bleiben. Die Mafia verdient immense Summen, um sich damit in der Wirtschaft breitzumachen."
Was Worte nur teilweise vermochten - die Musik stellte eine Intensität her, die den Redebeiträgen fehlte. Die archaischen Klänge der Ordensschwester Chiara Margarita Cozzolani (geboren 1602) etwa. Die bannenden Vierteltonklänge des Sonderlings Giacinto Scelsi (1905-1988). Oder der lockere Swing à la Andrews Sisters des Trios Lescano - drei junge Frauen aus den Niederlanden, die zwischen 1935 und 1943 in Italien eine steile, aber kurze Karriere hinlegten. Auf der Kurtheater-Bühne setzten ihnen die Sängerinnen Eva Friedrich, Josette Micheler und Judith Simonis ein liebevolles Denkmal.