
Dezent gekleidet, mit brauner Schürze umgebunden, schlängelt sich Jan gekonnt durch die Außenbestuhlung des Café Kaisers und bringt ein Tablett mit Kaffeetassen an den Tisch eines älteren Paares. Mit einem freundlichen Lächeln verteilt er die Tassen.
Jan ist 15 Jahre alt und macht gerade ein Praktikum in dem Bad Kissinger Café. Er geht in die Praxisklasse an der Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen . „Das Praktikum ist super“, ist Jan begeistert, „ich darf vieles machen, alle sind nett, es ist immer was zu tun und das Trinkgeld ist auch nicht schlecht.“ Für unser Gespräch möchte er sich nicht dazu setzen, „das wirkt unprofessionell“, findet er. Neben dem Serviceberuf möchte er noch die Arbeit als Erzieher in einem Kindergarten und die eines Pflegers im Krankenhaus ausprobieren.
Viele Möglichkeiten zum Ausprobieren
Das ist in der Praxisklasse möglich. Sie ist einmalig im Landkreis und auch sonst ziemlich außergewöhnlich. Fünfmal im Schuljahr mit je zwei Wochen Praktikum und mehreren Praxistagen haben 15 Jugendliche die Möglichkeit sich auszuprobieren.
„In der achten Klasse können sie sich wild orientieren und so Einblick in verschiedene Beruf bekommen, um dann in der neunten Klasse idealerweise einen Ausbildungsbetrieb zu finden“, sagt André Prechtl, Klassenlehrer der Praxisklasse. Viele Teenager hätten am Anfang der neunten Klasse schon genaue Vorstellungen, in welche berufliche Richtung sie später gehen wollen.
Das Angebot der Praxisklasse ist für praktisch begabte Schüler gedacht, denen das schulische Lernen sehr schwerfällt, „und die kaum eine Chance auf einen qualifizierten Mittelschulabschluss hätten“, erklärt Christina Francz vom bfz Bad Kissingen , die die Praxisklasse als Sozialpädagogin betreut. Viele der Kinder hätten im Leben mit großen Herausforderungen zu kämpfen und bisher vorwiegend schlechte Noten bekommen.
„Das heißt aber nicht, dass sie in ihrem sozialen Verhalten Probleme haben. Ihre Stärken liegen einfach im praktischen Tun und nicht in guten schulischen Noten“, betont sie. Deswegen wird der erfolgreiche Mittelschulabschluss am Ende auch durch eine Projektprüfung ergänzt, in der die Schüler einen Betrieb und das dazugehörige Berufsbild, in dem sie gearbeitet haben, vorstellen. Eine ausführliche Beschreibung ihrer Leistungen in den Praktika ist Bestandteil des Abschlusszeugnisses.
Übernahme auch ohne Quali
„Die Schülerinnen und Schüler hinterlassen durch die Praktika ihre Visitenkarten in der Arbeitswelt“, erklärt Klassenlehrer Prechtl, „wir hatten schon viele Betriebe, die gesagt haben: der Schüler ist top, er zeigt Interesse und findet sich in den Betrieb ein – den nehmen wir auch ohne Quali“, obwohl der qualifizierte Mittelschulabschluss eine Voraussetzung für die Ausbildung gewesen wäre.
Aber die jungen Menschen lernen dadurch nicht nur die fachliche Tätigkeit kennen, sondern auch soziale Kompetenzen wie Zuverlässigkeit, Höflichkeit, Pünktlichkeit und Eigenverantwortung. Die positiven Rückmeldungen aus den Betrieben stärken ihr Selbstbewusstsein und Kritik wird eher von einem Meister angenommen und reflektiert als von einem Lehrer.
Die Betriebe, bei denen die Praxisklasse Erfahrungen sammelt, reichen von Autohäusern, Spenglereien über Elektro- und Malerbetrieben, Kinderpflegeeinrichtungen, Gastronomie bis hin zu medizinischen Berufen. Allerdings, „die meisten Jugendlichen kommen im Handwerk unter. An Pflegeberufen sind nur wenige interessiert“, stellt Christina Francz fest.
Hohe Vermittlungsquote
Die Praxisklasse verbessert die Chancen der jungen Leute auf dem Ausbildungsstellenmarkt deutlich: „Wir haben eine Vermittlungsquote von 75 bis 100 Prozent“, sagt Klassenlehrer Prechtl stolz.
Ehemalige Schüler der Praxisklasse kommen regelmäßig in ihre alte Schule, um den Jüngeren von ihrem Werdegang zu berichten: „Viele sagen, die Praxisklasse war das Beste, was ihnen passieren konnte“, erzählt Prechtl, „sie berichten, was geklappt hat und auch was nicht so gut gelaufen ist. Das ist sehr wertvoll für die aktuellen Schüler .“
Und auch für die Pädagogen sei es schön zu sehen, wenn die Jugendlichen in ihrer Lehre glücklich sind. „Das zeigt doch, dass Schulnoten nichts über die Lebenstauglichkeit von Kindern aussagen“, findet Prechtl.
Weitere Informationen:
Die Praxisklasse gibt es bereits seit 20 Jahren an der Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen. Gefördert wird sie mit 31.500 Euro pro Klasse und Schuljahr durch den Europäischen Sozialfond der EU.
Interessierte Schülerinnen und Schüler sowie Eltern können sich bei der Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen informieren: 0971 / 7854910 und unter stadt-kg.schule/anton-kliegl-schule/angebot/praxisklasse
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