Bad Kissingen
Die ganze Welt ist ein Zirkus
Günter Grass' nobelpreis-prämierter Roman "Die Blechtrommel" tobte in einer temporeichen und nichts auslassenden Inszenierung über die Bühne.
Was für ein Fest des spannenden, bildersatten, voller Humor und Sinn fürs witzige Detail inszenierten Theaters! Wer bei der Bühnenfassung von Günter Grass' Weltbestseller und mit dem Literaturnobelpreis prämiierten Roman "Die Blechtrommel" damit gerechnet hatte, mit einer Literaturgeschichtsstunde bedacht zu werden, wurde überrumpelt von einem mitreißenden Theaterabend des Euro-Studios Landgraf. In Kooperation mit dem "Alten Schauspielhaus" in Stuttgart entstand Volkmar Kamms Inszenierung dieses skurrilen, aber auch anrührenden Dramas eines hochsensiblen Jungen in einer dysfunktionalen Familie und einer turbulenten Phase deutscher Geschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum westdeutschen Wirtschaftswunder. Kamm gelingt es, den Kosmos aus Danzig und Westdeutschland in all seinen wesentlichen Verästelungen und Figuren so klar herauszuzisellieren, dass der Roman wie ein bizarrer Bilderbogen sich abspult auf der Bühne, stark gerafft, obwohl hier nicht - wie im Film - das gesamte dritte Buch und die Rahmenhandlung in der Irrenanstalt weggelassen wurden.
Mit hohem Tempo, dennoch großer Präzision wurde gespielt, die Vorgeschichte Oskars mit der Zeugung seiner Mutter unter den Rockschößen seiner Großmutter Anna Bronski wird ausgespielt, doch alles Weitere in Hochzeitsbildern von Großmutter und Mutter schnell durchblättert, ein Running Gag, der auch bei den weiteren Verehelichungen für Vergnügen im Zuschauerraum sorgte. Die kleine Drehbühne und Alexander Roys raffiniert um das Anstaltsbett des Protagonisten arrangierte und mit unzähligen sprechenden Requisiten ausgestaltete Bühne lassen durch blitzschnelle Umbauten immer wieder große Panoramabilder im Wechsel mit intimen kleinen Einblicken ins Danziger Kleinbürgerleben zu. Aber sie schaffen mithilfe von Marionetten auch eine entlarvende Karikatur eines sich so martialisch gerierenden Nazi-Aufmarsches. Schnell, präzise läuft das ab.
Trotz der notwendigen Raffung, Verkürzung, Auslassung sind vor allem bei den ersten zwei Büchern die altbekannten Bilder da: die Röcke der Großmutter als Zeugungs- und Zufluchtsort, die Aal-Ekelkrise seiner Mutter Agnes, deren Dreier-Ehegeschichte mit Oskars beiden vermutlichen Vätern Alfred Matzerath und Onkel Jan Bronsky, Oskars Trommel- und Glas-Zersing-Aktionen, seine erotischen Lesestunden mit der Bäckersgattin Gretchen Scheffler, seine einseitiges höhnisches Redegefecht mit dem Jesuskind auf dem Schoß Marias in der Kirche, sein Aufstieg und Fall auf den Kleinkunstbühnen im Kriegs und Nachkriegsdeutschland.
Auch seine immer verrückteren Allmachtsfantasien und das Abdriften in Weltverlust und Wahnsinn lassen den im Buch nur angeblichen Mord plausibel erscheinen, der in die Irrenanstalt führt, in der er, so die Rahmenhandlung, an seinem 30. Geburtstag 1954 seine Geschichte erzählt.
Und so entstand - obwohl man 500 Seiten Roman nicht an einem etwas über zweistündigen Theaterabend wiedergeben kann, unter der Regie von Volkmar Kamm ein geschlossenes Ganzes, das durch die Flut intensiver Bilder und Szenen den Zuschauer überwältigte.
Auf 18 Bühnenrollen hat Kamm das riesige Personal des Buches reduziert und von diesen werden nur Oskar und seine Großmutter von nur einem Schauspieler dargestellt. Melina Schöfer spielte bei Oskars einzigem Schultag die zarte kleine Lehrerin, die vor Oskars Trommelprotest sofort kapitulierte, als Meister Bebra gelang es ihr, dessen Allround-Begabung, Geschäftstüchtigkeit und seine Undurchsichtigkeit wie auch seinen Opportunismus als Leiter eines Lilliputanertheaters eindrucksvoll zu gestalten.
Der Gemüsehändler Greff mit seinem Prä-Nazi-Wandervogel- und Pfadfinderfimmel und der in Oskars Mutter verliebte jüdische Spielwarenhändler Sigismund Markus waren bei Carsten Klemm gut aufgehoben., Daniel Große Boymann war am Klavier ein verlässlicher Bühnenmusiker; als Bäcker Scheffler, polnisch-nationalistischer Hausmeister Kobyella und Kunstprofessor Kuchen verließ er sich auf die karikaturistischen Möglichkeiten seiner Rollengestaltung. Marina Lötschert ließ in seinem Malkurs als Aktmodell Ulla zum allgemeinen Raunen im Publikum alle Hüllen ihres üppigen Körpers fallen. Auch die Bäckersfrau Gretchen Scheffler gab Lötschert mit viel Spiellust.
Ralf Grobel wechselte vom smarten, ständig zum Sex mit Oskars Mutter bereiten Jan Bronski nach dessen Tod glaubwürdig zum Holocaust-Überlebenden Fajngold, der nach Kriegsende Matzeraths Kolonialwarenladen zugesprochen bekommt. Stefanie Stroebele gab die leitmotivisch auftauchende Großmutter Anna Bronski gleichbleibend undurchsichtig wie eine Nemesis. Ihren Ersatz-Mann nach dem Tod von Agnes' echtem und Stiefvater, Joseph Bronski gab Jens Peter Brose, dessen Hauptpart Agnes' nachmaliger Ehegatte Alfred Matzerath war. Den spielte er genüsslich in seiner Verunsicherung ob seiner Vaterschaft und seiner Sicherheit in seiner Rolle als Naziund seiner echten Vatergefühle für Oskar. Als seine Ehefrau, Oskars Mutter und Bronskis Geliebte gelang es Juliane Köster, deren komplexe Gefühle für ihre beiden Männer wie ihre Sorge um Oskar so glaubwürdig rüberzubringen wie die sexuelle Neugier von Oskars Kindermädchen und Geliebter und nachmaliger Gattin Matzeraths Maria.
Im Zentrum steht natürlich Oskar Matzerath, der mit drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen, der trommelt und Glas zersingt, der von Kindheit an ein übersteigertes sexuelles Interesse hat und deshalb ständig mit wachen Augen alles beobachtet. Die Besetzung dieser schwierigen Rolle mir Raphael Grosch war ein Glücksgriff. Nicht nur musste er fast ständig auf Knien Oskars Kleinheit mimen, er war auch fast immer auf der Bühne, sprach als Ich-Erzähler und musste die vielen Rollen spielen, die Oskar auf seinem Lebensweg durchläuft. Er schaffte es auch, mit präziser Mimik die Entwicklung dieses intelligenten und sensiblen Kindes in einer dysfunktionalen Familie und chaotischen Umgebung hin zum Zyniker wiederzugeben.
Das Kissinger Publikum ging am Ende dieser Aufführung recht untypisch aus sich heraus: Es gab immer wieder Bravos zunächst für den Hauptdarsteller, dann für die gesamte Truppe.
Blitzschnelle Umbauten
Mit hohem Tempo, dennoch großer Präzision wurde gespielt, die Vorgeschichte Oskars mit der Zeugung seiner Mutter unter den Rockschößen seiner Großmutter Anna Bronski wird ausgespielt, doch alles Weitere in Hochzeitsbildern von Großmutter und Mutter schnell durchblättert, ein Running Gag, der auch bei den weiteren Verehelichungen für Vergnügen im Zuschauerraum sorgte. Die kleine Drehbühne und Alexander Roys raffiniert um das Anstaltsbett des Protagonisten arrangierte und mit unzähligen sprechenden Requisiten ausgestaltete Bühne lassen durch blitzschnelle Umbauten immer wieder große Panoramabilder im Wechsel mit intimen kleinen Einblicken ins Danziger Kleinbürgerleben zu. Aber sie schaffen mithilfe von Marionetten auch eine entlarvende Karikatur eines sich so martialisch gerierenden Nazi-Aufmarsches. Schnell, präzise läuft das ab.Trotz der notwendigen Raffung, Verkürzung, Auslassung sind vor allem bei den ersten zwei Büchern die altbekannten Bilder da: die Röcke der Großmutter als Zeugungs- und Zufluchtsort, die Aal-Ekelkrise seiner Mutter Agnes, deren Dreier-Ehegeschichte mit Oskars beiden vermutlichen Vätern Alfred Matzerath und Onkel Jan Bronsky, Oskars Trommel- und Glas-Zersing-Aktionen, seine erotischen Lesestunden mit der Bäckersgattin Gretchen Scheffler, seine einseitiges höhnisches Redegefecht mit dem Jesuskind auf dem Schoß Marias in der Kirche, sein Aufstieg und Fall auf den Kleinkunstbühnen im Kriegs und Nachkriegsdeutschland.
Plausibler als die Verfilmung
Auch seine immer verrückteren Allmachtsfantasien und das Abdriften in Weltverlust und Wahnsinn lassen den im Buch nur angeblichen Mord plausibel erscheinen, der in die Irrenanstalt führt, in der er, so die Rahmenhandlung, an seinem 30. Geburtstag 1954 seine Geschichte erzählt. Und so entstand - obwohl man 500 Seiten Roman nicht an einem etwas über zweistündigen Theaterabend wiedergeben kann, unter der Regie von Volkmar Kamm ein geschlossenes Ganzes, das durch die Flut intensiver Bilder und Szenen den Zuschauer überwältigte.
Auf 18 Bühnenrollen hat Kamm das riesige Personal des Buches reduziert und von diesen werden nur Oskar und seine Großmutter von nur einem Schauspieler dargestellt. Melina Schöfer spielte bei Oskars einzigem Schultag die zarte kleine Lehrerin, die vor Oskars Trommelprotest sofort kapitulierte, als Meister Bebra gelang es ihr, dessen Allround-Begabung, Geschäftstüchtigkeit und seine Undurchsichtigkeit wie auch seinen Opportunismus als Leiter eines Lilliputanertheaters eindrucksvoll zu gestalten.
Der Gemüsehändler Greff mit seinem Prä-Nazi-Wandervogel- und Pfadfinderfimmel und der in Oskars Mutter verliebte jüdische Spielwarenhändler Sigismund Markus waren bei Carsten Klemm gut aufgehoben., Daniel Große Boymann war am Klavier ein verlässlicher Bühnenmusiker; als Bäcker Scheffler, polnisch-nationalistischer Hausmeister Kobyella und Kunstprofessor Kuchen verließ er sich auf die karikaturistischen Möglichkeiten seiner Rollengestaltung. Marina Lötschert ließ in seinem Malkurs als Aktmodell Ulla zum allgemeinen Raunen im Publikum alle Hüllen ihres üppigen Körpers fallen. Auch die Bäckersfrau Gretchen Scheffler gab Lötschert mit viel Spiellust.
Ständige Rollenwechsel
Ralf Grobel wechselte vom smarten, ständig zum Sex mit Oskars Mutter bereiten Jan Bronski nach dessen Tod glaubwürdig zum Holocaust-Überlebenden Fajngold, der nach Kriegsende Matzeraths Kolonialwarenladen zugesprochen bekommt. Stefanie Stroebele gab die leitmotivisch auftauchende Großmutter Anna Bronski gleichbleibend undurchsichtig wie eine Nemesis. Ihren Ersatz-Mann nach dem Tod von Agnes' echtem und Stiefvater, Joseph Bronski gab Jens Peter Brose, dessen Hauptpart Agnes' nachmaliger Ehegatte Alfred Matzerath war. Den spielte er genüsslich in seiner Verunsicherung ob seiner Vaterschaft und seiner Sicherheit in seiner Rolle als Naziund seiner echten Vatergefühle für Oskar. Als seine Ehefrau, Oskars Mutter und Bronskis Geliebte gelang es Juliane Köster, deren komplexe Gefühle für ihre beiden Männer wie ihre Sorge um Oskar so glaubwürdig rüberzubringen wie die sexuelle Neugier von Oskars Kindermädchen und Geliebter und nachmaliger Gattin Matzeraths Maria.
Raphael Groschs Kraftakt
Im Zentrum steht natürlich Oskar Matzerath, der mit drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen, der trommelt und Glas zersingt, der von Kindheit an ein übersteigertes sexuelles Interesse hat und deshalb ständig mit wachen Augen alles beobachtet. Die Besetzung dieser schwierigen Rolle mir Raphael Grosch war ein Glücksgriff. Nicht nur musste er fast ständig auf Knien Oskars Kleinheit mimen, er war auch fast immer auf der Bühne, sprach als Ich-Erzähler und musste die vielen Rollen spielen, die Oskar auf seinem Lebensweg durchläuft. Er schaffte es auch, mit präziser Mimik die Entwicklung dieses intelligenten und sensiblen Kindes in einer dysfunktionalen Familie und chaotischen Umgebung hin zum Zyniker wiederzugeben. Das Kissinger Publikum ging am Ende dieser Aufführung recht untypisch aus sich heraus: Es gab immer wieder Bravos zunächst für den Hauptdarsteller, dann für die gesamte Truppe.
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