Einmal im Jahr ist Bonnland-Zeit. Dann kommen ehemalige Bewohner der abgesiedelten Orte Bonnland und Hundsfeld auf den Truppenübungsplatz. Sie schauen sich um, treffen sich, tauschen Erinnerungen aus. Zwar werden sie Veteranen. Doch mittlerweile interessieren sich die Enkel und Urenkel für das Schicksal ihrer Vorfahren. Wie das Beispiel der Familie Kolos aus Weyersfeld (Main-Spessart) zeigt.
Ein malerisches fränkisches Dorf – mit Gasthof, Post und schön sanierter Kirche. Menschen spazieren über die sonnendurchfluteten Straßen. Bonnland ist wirklich gut erhalten.
Doch etwas stört das Bild: Auf dem Asphalt liegen Übungspatronen, ein Hubschrauber kreist um den Kirchturm. Die Fensterläden sind geschlossen. Bonnland dient eben die meiste Zeit des Jahres der kämpfenden Truppe, ist gesperrt. Nur einmal im Jahr darf die Öffentlichkeit hinein. Helmut Kolos stört der Hubschrauber nicht. Zielgerichtet, wenn auch langsam, wandert er mit seinem Stock durch die Straßen Bonnlands, im Schlepptau seine Frau Anni und die Enkel Daniel und Melanie. Sohn Andreas filmt das Ganze.
Opa Kolos hat eine besondere Beziehung zu Bonnland. Ab 1956 war er Soldat auf dem Truppenübungsplatz – einer der Ersten in der neu gegründeten Bundeswehr. Ab 1960 arbeitete er lange als Zivilfahrer.
Doch Helmut Kolos ist nicht der älteste Spross der Familie, die mit den abgesiedelten Orten etwas zu tun hat. Einst kamen seine Eltern, die Urgroßeltern von Daniel und Melanie, aus Schlesien nach Hundsfeld: „Der Ort wurde schon nach dem Ersten Weltkrieg abgesiedelt und nach 1945 abgetragen. Doch es wurden noch vier Häuser gebaut. Im dritten haben die Urgroßeltern gewohnt“, sagt Kolos.
Die Uroma lebt sogar noch. Doch sie ist an diesem Tag nicht mitgekommen: „Aber sie fragt immer mal, ob Hundsfeld noch steht.“
Für Urenkel Daniel ist das alles eine Welt, die für ihn im Alltag keine Rolle spielt. Dennoch ist er mitgekommen. Sein Eindruck vom Übungsdorf Bonnland: „Die Häuser sind ja besser erhalten als manch anderes Dorf draußen.“ Daniel Kolos ist zum dritten Mal dabei, „aus Interesse“, wie er sagt. Ein bisschen ist wohl der Reiz des Verbotenen dabei. Nicht jeden Tag gelangen Zivilisten in den Truppenübungsplatz. Und erst recht sehen sie nicht jeden Tag ein Dorf, das nur dafür erhalten wird, um Kriegseinsätze zu üben.
Kein Wunder, dass Daniel sagt: „Ich finde das Kriegsszenario abgefahren, das hier geboten wird.“
Vater Andreas Kolos hat sich bisher im Hintergrund gehalten, filmte die Szenerie. Doch jetzt will er zu Daniels Aussage etwas beitragen, setzt die Kamera ab: „Daniel ist 1989 geboren. Er ist Kind einer neuen Epoche. Für diese Jugendlichen ist es total schwer zu verstehen, wie kritisch die Situation in manchen Zeiten war.“ Damit spricht er die Zeit des Kalten Krieges an, als sich Ost und West bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden.
Opa Kolos will indes weiter. Noch viel gibt es in Bonnland zu sehen. Und er hat einen Artikel aus der Main-Post in der Hand.
Auf den Spuren von Dr. Wilhelm Kramer will er wandeln. Der aus Pommern stammende Stabsarzt war nach einer Übung vor dem Ersten Weltkrieg in Bonnland hängen geblieben. Nach der Entvölkerung des Ortes 1937/38 zog Kramer, inzwischen Sanitätsrat, nach Bühler um. Dort starb er am 28. Februar 1941.
Wieder eine Geschichte, die in Bonnland spielt. Auch wenn die Zahl der Überlebenden auf wohl nur noch 30 geschrumpft ist und Bonnland seit 75 Jahren dem Militär gehört: Es wird immer neue Menschen geben, die der Magie der abgesiedelten Orte erliegen – und die sie ganz eigen wahrnehmen.