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Bad Kissingen
Karin Renner: Warum man in einer Demokratie nicht alles machen kann, was man sich vorstellt
Bezirksrätin Karin Renner, eine erfahrene Politikerin, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Entwicklung der AfD auseinandergesetzt. Sie spricht über Herausforderungen und Lösungsansätze.
Karin Renner (links) wie sie bekannt ist: Im Gespräch mit Menschen, den Menschen zugewandt.       -  Karin Renner (links) wie sie bekannt ist: Im Gespräch mit Menschen, den Menschen zugewandt.
Foto: Johannes Fenn | Karin Renner (links) wie sie bekannt ist: Im Gespräch mit Menschen, den Menschen zugewandt.
Marion Eckert
 |  aktualisiert: 05.11.2024 17:21 Uhr

33 Jahre vertrat Karin Renner die Region als Bezirksrätin. Bei der Wahl im Oktober tritt sie nicht mehr an, doch für den Bezirk und seine vielfältigen Aufgaben schlägt ihr Herz nach wie vor. So war es ihr wichtig, das Pressegespräch zum Ende ihrer Tätigkeit im Bezirkstag nicht primär zum persönlichen Rückblick, sondern zum Blick nach vorne zu nutzen.

„Warum wählt jemand AfD? “

Vor allem die aktuelle Entwicklung in Deutschland, der Rechtsruck, die Umfragewerte der AfD , dass rechtes Gedankengut scheinbar mehr und mehr gesellschaftsfähig wird und lange Zeit unsagbare Dinge, ganz offensichtlich, wie selbstverständlich ausgesprochen werden – all das bereitet ihr Sorgen. „Warum wählt jemand AfD ? Ich kann es mir nur so erklären, dass es ein Denkzettel für die etablierten Parteien sein soll.“ Woher solch eine Haltung komme, darüber könne sie nur spekulieren.

In Bezug auf die AfD habe sie erst kürzlich ein Schlüsselerlebnis gehabt: Der Austritt der Stadträtin Freia Lippold-Eggen aus der AfD und deren Interview in dieser Zeitung. „Das hat mich noch einmal mehr wachgerüttelt und zeigt deutlich, wohin sich diese Partei entwickelt.“

Kontakt gesucht

Doch Renner beschäftigt die AfD und deren rechtes Gedankengut schon länger. Im März 2022 traten AfD-Politiker des Bezirkstags aus der Partei aus. Renner habe den Kontakt zu ihnen gesucht. „Ich wollte wissen, warum sie ursprünglich eingetreten und nun ausgetreten sind, und was sie künftig wählen werden. Es war eine ganz offene Kommunikation. Damals schon wurde die Unterwanderung der Partei durch Rechte deutlich.“ Immer wieder habe sie das Gespräch mit den AfD-Kollegen gesucht. „Ich wollte verstehen, was sie denken und antreibt.“ Dass ihre Bezirkstagkollegen sich gegen die EU stellten, könne sie nicht verstehen. „Wir müssen in Europa zusammenstehen, es ist die Friedenssicherung für uns.“

„Miteinander reden und zuhören“

Wie könnten Protestwähler zurückgewonnen werden? Karin Renner hat kein Patentrezept, sie setzt auf Aufklärung und Information. Im privaten Umfeld empfiehlt sie: „Miteinander reden und zuhören.“

Aber ob Wähler, die aus Frust oder Protest AfD wählen möchten, durch Fakten noch zu erreichen sind, diese Frage treibe sie um und bereite ihr Sorgen. „Gewählt wird aus Frust heraus. Die Leute sehen nicht, was sie da wählen, es ist ihnen nicht bewusst, was die AfD wirklich ist. Sie wählen etwas, was sie eigentlich nicht wollen. Sie wählen eine Partei, die unsere Demokratie zerstören will.“

Demokratische Haltung gepflegt

In ihrem Berufs- und Politikerleben haben sie stets eine demokratische Haltung gepflegt. „In der Demokratie muss man Mehrheiten suchen, das ist nicht immer einfach.“ Sie habe in den verschiedenen Gremien erlebt, dass sich manch einer damit durchaus schwertat. „Vor allem Männer, die aus der Wirtschaft kamen und gewohnt waren, den Ton anzugeben.“

Doch weder im Stadtrat noch im Kreistag oder Bezirkstag seien sie damit weit gekommen. „In einer Demokratie kann man nicht alles machen, was man sich vorstellt. Die Ampel zeigt uns gerade, wie schwierig das sein kann.“

Die Barbara Stamm von Bad Kissingen

Von Kindesbeinen an ist Karin Renner mit den demokratischen Spielregeln vertraut. Mitmenschlichkeit, Werte, demokratischer Diskurs – prägten ihr Elternhaus in Nüdlingen. Ihr Vater war im Gemeinderat und Kreistag, engagierte sich für die Gemeinde und wurde zum Ehrenbürger ernannt.

Das hat bei Karin Renner Spuren hinterlassen, obwohl sie selbst ursprünglich keine politische Karriere und kein politisches Amt anstrebte. Doch ihr Mann erkannte früh ihr Potenzial, ebenso wie Freunde und Bekannte. „Schau’s dir doch mal an, das ewige Kochlöffelschwingen ist nichts für Dich“, habe er sie ermutigt, für den Kissinger Stadtrat zu kandidieren. Das war im Jahr 1978. Eine Arbeitskollegin hatte sie gefragt, ob sie an einer Kandidatur Interesse habe.

Als Frau wurde sie belächelt

„Mich kennt doch keiner. Ich habe abgesagt. Meine Kinder waren auch noch zu klein“, erinnert sich Renner. Doch ihr Mann überredete sie, und als die etablierte Männergarde die junge Frau, die da Stadträtin werden wollte, belächelte, packte sie der Ehrgeiz. Mit ihren Kindern zog sie in den Wahlkampf. „Ich war auf dem letzten Platz, aber fast wäre ich reingekommen. Von Platz 30 bin ich auf Platz 16 vorgerückt.“

Jene Kritiker und Skeptiker haben sie dann Jahre später gebeten, erneut zu kandieren und ihr sogar einen besseren Platz auf der Liste eingeräumt. 1986 begann ihr kommunalpolitisches Wirken mit der Wahl in den Kissinger Stadtrat. Noch heute staunt Renner, dass sie in Kissingen politisch Fuß fassen konnte. „Mich kannte in der Stadt niemand, ich kam ja aus Nüdlingen.“

Trösten und Hoffnung vermitteln

1990 wurde sie in den Kreistag sowie in den Bezirkstag Unterfrankens gewählt. In all den Jahren und all ihren Ämtern und Aufgaben, die sie neben den Mandaten ehrenamtlich übernahm, habe sie stets den Kontakt zu den Menschen in den Vordergrund gestellt. „Nahe am Menschen sein, war immer mein Motto.“ So war es auch kein Wunder, dass sie schnell Ansprechpartnerin für soziale Belange im Kreis- wie im Bezirkstag wurde.

Vor allem als Behindertenbeauftragte habe sie von vielen Schicksalen erfahren, konnte aber auch oft unterstützen und mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es war eine Tätigkeit, die nach außen hin oft nicht gesehen und wahrgenommen wurde. Abendliche Telefongespräche. Zuhören. Trösten. Hoffnung vermitteln. Im Hintergrund Dinge regeln. Karin Renner erinnert sich an viele Situationen, in denen sie ganz konkret weiterhelfen konnte. Nicht umsonst wurde sie bei ihrer Verabschiedung als Stadträtin als das „soziale Gewissen Bad Kissingens“ und als „ Barbara Stamm von Bad Kissingen “ betitelt. Zwei Auszeichnungen, die sie gerne hört und die ihr viel bedeuten.

Was der Bezirk bedeutet

Renner bedauert, dass der Bezirk sowie die Bezirksrätinnen und -räte in der öffentlichen Wahrnehmung oft nicht vorkommen. „Vielen ist auch gar nicht bewusst, welche Aufgaben und Möglichkeiten der Bezirkstag hat. Dass im Oktober auch für den Bezirkstag gewählt wird, ist oft nicht bekannt. Wir werden nicht ernst genommen.“

Weiter engagiert

Oft werde der Bezirk auch mit der Regierung von Unterfranken verwechselt. Dabei sei der Bezirk Unterfranken ein wichtiger Geldgeber für kulturelle und soziale Projekte, betreibe selbst Pflege- und Gesundheitseinrichtungen sowie Schulen und sei ein wichtiger Geldgeber für soziale und kulturelle Belange. „Der Haushalt umfasst eine Milliarde Euro“, damit könne viel Gutes getan werden, unter anderem sei der Bezirk auch Kostenträger für die überörtliche Sozialhilfe . Bei den Wahlen im Oktober steht Karin Renner nicht mehr zur Wahl. Doch so ganz ist das politische Engagement noch nicht zu Ende. „Ich bin ja noch immer Kreisrätin.“

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