
Désirée Nick ist einer der Stars des Kissinger Sommers 2024. Ja, genau. Die aus dem Dschungelcamp. Die 67-Jährige, die sich kürzlich für den Playboy ausgezogen hat. Doch die ehemalige Balletttänzerin ist so viel mehr und das schon wesentlich länger: seit Jahrzehnten gefeierte Theaterschauspielerin , erfolgreiche Podcasterin, Bestseller-Autorin und geliebter und gefürchteter Talkshow-Gast.
Wie wohl in jeder Sekunde ihres disziplinierten Lebens ist sie auch beim Interview zu 100 Prozent konzentriert, pointiert und versetzt mich, die Autorin, kurz in Angst und Schrecken. Wird sie nach der ersten – für sie falschen – Frage das Interview platzen lassen?
Die Dschungel-Natter in der Hochkultur – was haben Sie da verloren, Frau Nick? Das werden sich eingeschworene Kissinger-Sommer-Gäste wohl fragen.
Wie bitte? Ich kann nicht glauben, dass Sie das Publikum für derartige Hinterwäldler halten, die die letzten Jahrzehnte verschlafen haben.
Ich? Wie meinen Sie das denn, Frau Nick?
Sie beleidigen das Publikum, wenn Sie glauben, die hätten keinen weiteren Informationsstand über mich. Ich bin dauernd an Staatstheatern unterwegs, die Arbeit als Schauspielerin auf der Bühne ist mein Hauptberuf, von dem ich seit 40 Jahren lebe. Die paar wenigen, reduzierten Stunden im Dschungel bei „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ waren unterm Radar! Ich hatte davor und danach eine Karriere in der Hochkultur!
Mit Verlaub, Frau Nick: Sie bewegen sich nicht unterm Radar, wenn Sie bei der beliebtesten Fernsehshow eines Privatsenders teilnehmen. Beleidigen wollte ich Sie natürlich nicht.
Nicht mich, das Publikum! Zu glauben, dass das Publikum nichts anderes von mir wahrgenommen hat! Aber die Medien richten die Lupe ja immer nur darauf, was Klicks bringt – auf Zoff und Zuspitzung. Da kannst du Sternstunden abfeiern und Preise gewinnen, es interessiert nur der Trash. Wenn dann medial exorbitant über die Petitesse Dschungel-Camp berichtet wird, dann liegt das nicht an mir.
Da haben Sie sicherlich nicht ganz Unrecht. Lassen Sie uns noch mal anfangen. Seit Jahrzehnten brillieren Sie in unterschiedlichsten Rollen auf den großen Bühnen in ganz Deutschland.
Ja, das ist richtig. Wenn man den Zeitaufwand prozentual betrachtet, ist das Dschungel-Camp die winzigste Zeit meines Lebens gewesen. Über meine Shows, die ich seit Jahrzehnten abliefere, wird wesentlich weniger gebracht.
Ärgert Sie das?
Ich finde es schade, denn das liefert ein verzerrtes Bild von mir. Wer nur einen einzigen Blick auf meine Biografie wirft, dem muss dämmern, dass es ein großes Ungleichgewicht zwischen Realität und Berichterstattung gibt und dass da irgendetwas nicht stimmen kann. Wenn eine Frau über Jahrzehnte auf der Bühne Erfolge nachweisen kann und sich dabei nicht ein einziger Verriss findet, wenn sie im Musiktheater, als Diseuse und auf Theaterbühnen über Jahrzehnte reüssiert, kann man sie nicht aufs Dschungel-Camp reduzieren.
Was erwartet die Kissinger-Sommer-Besucher bei Ihrem Auftritt?
Ich habe 25 Showprogramme in den letzten Jahrzehnten gespielt, daraus werde ich ein Best-of zusammenstellen. Ich bin eine Diseuse und bin Spezialistin für genau diese seltene Kunst. Es gibt keine andere mehr: Die Knef, Marlene Dietrich , Zarah Leander , die Kunst ist schauspielerisch interpretierter Sprechgesang.
Ein Kulturgut, erschaffen in den 20er Jahren durch Blandine Ebinger und Friedrich Hollaender. Hollaender hat eine immense Fülle im Berliner Stil hinterlassen.
Der Kissinger Sommer-Intendant Alexander Steinbeis hat meine Show „Die letzte lebende Diseuse“ schon vor sechs Jahren gesehen und sie blieb für ihn, wie er mir sagte, unvergessen. Er hat sich von mir eine überarbeitete Version zum Kissinger Festival gewünscht.
Steinbeis wagt etwas und das ist selten. Er kreiert und entwickelt etwas durch sein umfangreiches Wissen, weil er selbst ja ein unglaubliches Format hat und Dinge richtig einordnet.
Ist das so selten im Show-Business?
Und wie! Dort sind so viele Menschen am Start, die haben so viel Ahnung von der Kultur wie ich von der Pferdezucht! Das ist kein Witz! Kein Straßenbahnfahrer würde einen Job bekommen, wenn er so wenig Kompetenz hätte, wie es heutzutage in der Kultur üblich ist. Man denke nur an die ehemalige Kultusstaatsministerin Monika Grütters. Da arbeiten Leute, die haben gestern noch einen „Späti“ geführt.
Sie haben eine klassische Ballettausbildung, tanzten an der Berliner Tanzakademie, wurden Mitglied im Ensemble der Deutschen Oper Berlin und später an der Bayerischen Staatsoper in München. Dazu waren Sie zwei Jahre Revuegirl im Pariser Lido. Ihre Tanzkarriere dauerte allerdings nur zehn Jahre – warum?
Ich musste aufhören, ich wurde zu groß. Ich war in Kulturkreisen so bekannt, dass mich der Fischer-Verlag 1996 bereits um eine Biografie bat. Da ist sie wieder, die Schieflage der öffentlichen Bühnenwahrnehmung.
Ich bin ein Bühnen- und Theaterstar. Aber egal ob auf einer Hallig im Wattenmeer oder auf einer Alm in den Bergen können Sie die Nick oft nur übers Fernsehen wahrnehmen – mit zusammenhanglosen Schnipseln von zusammenhanglosen Skandälchen, oft konstruiert von Menschen, die selbst einen nutzen daraus ziehen wollen. Das hat mit meiner eigentlichen Karriere nichts zu tun.
Sie sind eine facettenreiche Frau, Sie haben Theologie studiert. Wie muss ich mir Ihr Verhältnis zu Gott vorstellen? Beten Sie regelmäßig und gehen in die Kirche? Oder leben Sie Ihren Glauben anders aus?
Theater und Theologie, das ist der selbe Wortstamm. Der eine sucht Antworten bei Gott, der andere im Theater.
Wo finden Sie mehr Antworten?
Es hält sich die Waage.
Gibt es für Sie einen Gott-gleichen Kollegen oder Kollegin, die Sie sehr bewundern?
Nicht in unserem Kulturkreis, in anderen Ländern schon. Wir in Deutschland haben in Sachen Volkstheater-Stars ein großes Defizit. Für die Ikonen, die es ehemals gab, gibt es keinen Nachwuchs, das Genre der Volkskünstler in der Unterhaltungsbranche wurde nicht ersetzt.
Schauen Sie mal in die 60er, 70er Jahre: Heidi Kabel , Edith Hancke, Gisela Schlüter, Willy Millowitsch , Helga Feddersen – keine Nachfolge! Diese Lücke wird eigentlich nur von mir besetzt. Im Boulevard bin ich vielleicht die weibliche Nachfolge von Harald Juhnke .
Der Verlust der großen Volksschauspieler ist ein großes Versäumnis des Kulturmanagements und der Intendanten. Deshalb ist es sensationell - und ich bin sehr dankbar dafür – dass Alexander Steinbeis meinen Wert schon vor vielen Jahren erkannt hat und meinen Weg von Anfang an verfolgt hat.
Sie arbeiteten auch als katholische Religionslehrerin. Als Sie sich für den Playboy auszogen – erhielten Sie da auch Post von Ihren ehemaligen Schülern?
Nein. Um etwas Nacktes zu sehen, muss man sich nicht den Playboy kaufen, es genügt, das Handy anzuschalten. Es ging um die künstlerisch ästhetische Darstellungsform. Wer Wollust und Nacktheit sehen will, betrachtet am besten die Barockgemälde von Rubens.
Um was dann?
Es ging darum, die Frau in ihrer Körperlichkeit zu inszenieren. Ich habe das bewusst getan, weil es in meinem Alter völlig unüblich ist und Grenzen sprengt, die gesellschaftlich längst überholt sind. Ich habe das für alle Frauen der Babyboomer-Generation getan. Älter zu werden ist ja kein Mangel, aber das Altern wird als Makel verkauft.
Das dürfte auf eine schöne Frau wie Sie aber nicht zutreffen.
Das ist ja das Kuriose. Ich war vor 20 Jahren – vor 20! – im Dschungel. Damals war ich schöner. Aber denke Sie, dass das irgendeiner so kommentiert hätte? Ich war den ganzen Tag im Bikini. Nie schrieb einer: Wow, die hat ne Bomben-Figur. Und jetzt, mit 67 Jahren, springt das den Menschen auf einmal ins Auge – wo ich mein ganzes Leben lang doch besser ausgesehen habe als heute.
Kann es sein, dass Sie in vielen Bereichen maßlos unterschätzt werden?
Ich denke schon. Aber das ist ein generelles Problem. Wer vielschichtig ist und von seinen Talenten her breit gefächert ist, stiftet in der Vermarktung eher Verwirrung. Das ist ein deutsches Problem.

Wie meinen Sie das?
Schauen Sie sich das britische Model und Schauspielerin Cara Delevingne an. Seit ihrem 16. Lebensjahr posiert sie für die größten Mode-Labels, kassiert die größten Werbeverträge. Jetzt ist sie Hauptdarstellerin in London im Musical „Cabaret“. Da kann man sich fragen: Wann hat die denn Singen gelernt?
Mit diesem Werk ist ein Amateur völlig überfordert, niemand kann nebenbei mal Liza Minelli sein. Aber: Cara Delevingne macht es einfach – und wird dafür bejubelt. Das ist der Unterschied. Weil eben die Leistung dieser jungen Frau gewürdigt wird.
In Deutschland wird gerne kritisiert, das gibt mehr Klicks, griffigere Schlagzeilen, mehr Insta-Abrufe, wenn man Kritik äußert, Zweifel wachruft oder Dinge infrage stellt.
Sie sehen da Parallelen zu sich?
Ja, schon. Ich habe gerade über 100 Vorstellungen des Stücks „Bette und Joan“, eine Komödie mit Anouschka Renzi , über den Zickenkrieg der Hollywood-Diven Joan Crawford und Bette Davis hinter mir. In keiner Zeitung stand über diese künstlerische Hochleistung auch nur ein Wort. Es wird reduziert auf den persönlichen Zickenkrieg zwischen Anouschka Renzi und der Nick.
Aber in diesem zweistündigen Parcours mit 100 umjubelten Vorstellungen zu brillieren, darüber wird nicht berichtet. Die Schlagzeile ist: Hey, die beiden Frauen hatten doch mal Zoff. Das ist armselig für das Land der Dichter und Denker.
Umso mehr muss man würdigen, dass das auf dem Kissinger Festival revidiert werden kann. Dort gibt es die Möglichkeit, sich live und in 3D einen Eindruck von der Wahrheit und meiner Kunst zu verschaffen, was medial sehr verzerrt rüberkommt.
Schwächelt das Theater?
Ich bin davon überzeugt, dass es vor einer großen Wiederbelebung steht. Denn die Bühne ist die unantastbare, authentische Bastion gegen Künstliche Intelligenz. Da gibt es keine KI, keine Fake News, keine Verarsche, kein Hologramm. Es ist die unverfälschbare, pure Essenz des kulturellen Schaffens.
Mir tun die bildenden Künstler jetzt schon leid: Die KI wird das Bilder malen übernehmen – die authentische Leistung auf der Bühne im Hier und Jetzt kann sie nicht ersetzen. Der darstellende Künstler wird immer durch das Theater und im Einklang mit dem Publikum unersetzlich bleiben.
Manchmal wünsche ich mir schon eine KI, die mich zumindest morgens optisch aufpimpt. Ohne Wimperntusche verlasse ich das Haus nicht. Was tun Sie, um von der normalen Frau zur öffentlichen Figur zu werden?
Ich schminke mich nur für Auftritte. Privat bin ich so gut wie ungeschminkt, in meiner Kleinstadt bei Berlin im Havelland würde ich ja aus dem Rahmen fallen, wenn ich die große Welle machen würde. Außerdem habe ich ein riesiges Haus mit großem Garten und bin ständig auf Tour. Da agiert man sehr pragmatisch und rustikal.
Aber ich würde gerne mal wissen, wie ich aussehen würde, wenn ich die Hilfen hätte, die Weltstars haben: den Stylisten von Prinzessin Kate, den Make-up-Künstler von Beyoncé . Aber mit meiner Hausfrauenart habe ich ja auch viel erreicht, der erfüllt meinen ästhetischen Anspruch. Ich glaube aber, dass ich im Ausland eine größere Karriere hätte machen können.
Wie Ute Lemper , die in den USA Musical-Erfolge feiert?
Ja. In „Cabaret“ war sie ikonenhaft. Als Marlene Dietrich reicht sie an mich nicht heran. Der dauerhafte Erfolg in Deutschland als Musicalstar hätte ihr gebührt. Sie ist unübertroffen.
Sie sind sehr erfolgreich mit Ihren Podcasts, schreiben Bücher, treten auf, touren - woher nehmen Sie die Zeit?
Ich bin zuhause in meiner Arbeit, die empfinde ich nicht als Belastung, sondern als sinnstiftend. Ich bin Entertainerin im besten Sinne, Autorin, Diseuse, Comedienne und Schauspielerin. Das ist eine Lebensaufgabe. Und mit dem TV fange ich jetzt erst an. Komischerweise bekomme ich jetzt Angebote für Fernsehrollen – als alte weiße Frau.
Ihr Leben scheint von Disziplin diktiert zu sein.
Von Anfang an. Auch als alleinerziehende Frau Karriere zu machen, ist Höchstleistung. Und dabei bin ich keine Studienrätin mit 13. Gehalt und geregelten Ferienzeiten – ich bin freiberufliche Künstlerin ohne Feierabend. Ich arbeite, wenn andere feiern. Das ist sehr konträr zu dem, was man sich unter Familienleben vorstellt.
Für einen Partner habe ich keine Zeit, außerdem: Welcher Kerl würde so ein Leben mitmachen? Er hat das Recht auf Zeit und Zuwendung. Aber ich muss mein Schiff lenken.
Jetzt gehen das Schiff „La Nick“ also in Bad Kissingen vor Anker. Waren Sie schon mal hier?
Noch nie, aber ich stoße immer wieder auf die Stadt – durch historische Informationen. Es war ja einst der Adel, der Unterhaltung und Kultur förderte. Deshalb habe ich immer wieder von Bad Kissingen gehört. Die Aristokratie hat Bad Kissingen nämlich zur Sommerfrische auserkoren.
Damals hat sich der Adel um die Kultur gekümmert – und heute? Leider unterhält die Aristokratie keine Schlosstheater mehr. Dabei sind die Gäste in den Sommertheatren stets ein besonderes Publikum.
Es ist etwas anderes, wenn man am Mittwoch gestresst aus dem Büro kommt, in die Komische Oper geht und einen Strafzettel bekommt – oder wenn man bewusst eine schöne Zeit in einer schönen Umgebung mit nichts als Sommerfrische und Kultur genießt. Und genau deshalb freue ich mich sehr auf Bad Kissingen.
Info: Désirée Nick tritt zweimal auf die Bühne: Am Dienstag, 16. Juli, 19.30 Uhr im Kurtheater mit „Désirée Nick – Die letzte lebende Diseuse“ und am Sonntag, 21. Juli, 15 Uhr im Kurtheater mit „Rückblick“, einer Tanzmatinée mit anderen Künstlerinnen und Künstlern.
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