Sebastian Tewinkel hat seinen im kommenden Jahr auslaufenden Vertrag verlängert. Wie ist diese Verbindung damals zustande gekommen, wie hat sie sich entwickelt, wie wird sie weitergehen? Die Redaktion hat nachgefragt.
Wie sind das Bayerische Kammerorchester (BKO) Bad Brückenau und Sie 2019 zusammengekommen?
Sebastian Tewinkel: Ich bin damals als Gastdirigent eingeladen worden auf Vermittlung von Pavol Tkac, den ich bereits kannte, und ich habe ein sehr abwechslungsreiches Programm dirigiert. Diese Kombination hat von Anfang an sehr gut funktioniert.
Mir hat das wahnsinnig viel Spaß gemacht. Und dem Orchester hat das offenbar auch gefallen, weil mir anschließend diese Stelle angeboten wurde. Es war ein glücklicher Zufall, dass ich genau zu dieser Zeit, als das Orchester ohnehin ein bisschen die Fühler ausgestreckt hatte, das Gastdirigat hatte und das dann funktionierte.
Was hat Sie denn am BKO interessiert?
Ich finde das BKO als Berufsorchester, das aber projektweise zusammenkommt, verbindet die positiven Eigenschaften, schafft es aber, durch diese Organisationsstruktur ein paar negative Aspekte eines Berufsorchesters auszuklammern. Man hat es mit hervorragenden Instrumentalisten zu tun. Das Orchester kennt sich sehr gut. Wir können exzellente Gastmusiker dazunehmen, wie beim Herbstkonzert. Auf der anderen Seite sind es Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht jede Woche sehen und dadurch immer wieder Lust auf das gemeinsame Musizieren haben. Diese aufgeschlossene Atmosphäre des Orchesters ist sehr gut.
Jeder Dirigent hat seine Handschrift. Haben Sie den Eindruck, dass sich seit 2019 beim Orchester etwas verändert hat?
Das ist schwer zu beurteilen, weil ich das Orchester da erst kennengelernt habe. Ich glaube, dass man ein Orchester formen und weiterentwickeln kann. Wenn ich an die Kraft des Dirigierberufs glaube, dann muss ich davon überzeugt sein, dass sich allein durch bestimmte Bewegungen das Orchester anders präsentiert als bei anderen Dirigenten, ohne das bewerten zu wollen. Ich höre von außen und aus dem Orchester, dass man sehr glücklich ist mit der Entwicklung. Das nehme ich jetzt mal als schöne Bestätigung.
Wie nah sind Sie denn an Ihren Idealvorstellungen?
Ich fange mit einem idealen Bild im Kopf an zu arbeiten und ich versuche, das immer zu erreichen – das ist ja auch quasi meine Aufgabe. Ich möchte nicht von Makellosigkeit oder Perfektion sprechen – das sind Parameter, die mit Musik nicht viel zu tun haben. Aber sehr oft bekomme ich das, was ich mir vorgestellt habe. Wir schaffen sicherlich nicht immer genau das, was wir uns vorher erträumt haben. Aber das passiert mit allen Orchestern und allen Stücken irgendwann.
Gibt es ein Werk, das sie unbedingt einmal mit dem Orchester machen wollen?
Nichts bestimmtes, aber es gibt Werke, die mir sehr wichtig sind, wie etwa „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg , das wir nächstes Jahr machen wollen. Das ist ein Meilenstein. Insgesamt versuchen wir, interessante, abwechslungsreiche Programme zu kreieren.
Das scheint zu funktionieren, denn die Konzerte sind ausverkauft.
Wir hatten einen richtigen Lauf. Wir sind an dem Punkt angekommen, an dem die Leute im Publikum verstehen, dass immer alles mit Hingabe und Überzeugung gespielt wird. Und wenn das eine oder andere Stück im Vorhinein ein bisschen Überzeugungskraft benötigt, hoffe ich immer, dass gesagt wird: „Also das Stück kannte ich vorher ja gar nicht, aber das hat mir trotzdem sehr gut gefallen.“
Es ist ja durchaus mutig, ein Konzert von einem Komponisten aus Tadschikistan ins Programm zu nehmen, den hier wirklich niemand kennt.
Ja, aber ich bin überzeugt, dass die Leute das toll finden werden. Ich habe es oft aufgeführt. Das ist etwas im wahrsten Sinne unerhörtes, und man wird in unglaubliche Klangwelten entführt. Das Stück ist wirklich sehr besonders, auch von der technischen Umsetzung her. Ich bin sicher: Auch wenn die Leute am Anfang etwas skeptisch hinhören, werden sie am Ende begeistert sein.
Worauf müssen sich die Leute bei dem Flötenkonzert von Benjamin Yusupov einstellen?
Der Solist spielt auf verschiedenen Flöten, allein von der Größe sehr unterschiedlich: von der Subbassföte, die auf dem Boden aufgestellt wird, bis in den Piccolobereich. Oder, dass mit Tontechnik gearbeitet wird, also der Solist nimmt sich selber auf und begleitet sich selbst. Das macht Matthias Ziegler auf eine sehr virtuose Art.
Wie entstehen eigentlich die Programme für die Jahreszeitenkonzerte oder Gastspiele?
Das ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Geschäftsführer, der Musikerkommission und mir. Ich bin die federführende Person – ich muss am Ende das Resultat verantworten. Das Programm muss abwechslungsreich sein, es muss beim Publikum gut ankommen und es muss künstlerisch interessant sein. Das ist manchmal nicht ganz einfach, weil wir als Kammerorchester kein unbegrenztes Repertoire haben.
Der Etat setzt natürlich auch Begrenzungen bei der Besetzung.
Ja, wir sind begrenzt, und ich versuche auch, nicht sehr viele Aushilfen zu beschäftigen, die dann drei Minuten spielen und sonst den Rest des Abends nichts zu tun haben. Da ist natürlich die Trompete im „Siegfried-Idyll“ die berühmte Ausnahme, die nur 25 Sekunden spielt.
Sie haben jetzt vorzeitig verlängert bis 2028.
Wir planen immer ein, wenn nicht sogar zwei Jahre im Voraus. Das ist nicht ungewöhnlich, damit Planungssicherheit auf allen Seiten besteht. Das Procedere ist, dass ich gefragt werde, ob ich grundsätzlich bereit bin, meinen Vertrag zu verlängern. Dann gibt es eine Versammlung, in der die Orchestermitglieder abstimmen. Ich war offensichtlich bereit.
Eine etwas gemeine Frage: Wie lange sind Sie denn bereit?
Ich glaube, dass das langfristig gesehen vermutlich meine letzte Verlängerung gewesen sein wird – aber man soll niemals nie sagen. Neun Jahre sind eine gute Zeit. Ich denke, dass es richtig und wichtig ist, dass immer wieder ein neuer Wind weht. Es sollten immer wieder neue Ideen entstehen.
Wie sieht eigentlich die praktische Arbeit aus, etwa für das Winterkonzert?
Das Orchestermaterial wird ein paar Wochen vorher zur Verfügung gestellt. Je nachdem, um welche Werke es sich handelt, nehme ich mehr oder weniger Einfluss auf das Stimmenmaterial. So können wir uns alle entsprechend vorbereiten. Dann treffen wir uns am Mittwoch vor dem Konzert. Es geht los mit einer gemeinsamen Probe, später treffen sich die einzelnen Stimmgruppen. In den nächsten Tagen geht es entsprechend weiter.
Wie klingt das denn, wenn alle zum ersten Mal zusammen spielen?
Sehr unterschiedlich. Das hängt extrem davon ab, welches Repertoire gespielt wird, wie vertraut die Leute damit sind. Aber das ist bei allen Orchestern der Welt so.
Es fällt durchaus auf, wie souverän sich das BKO auch in den verzwicktesten rhythmischen Bereichen bewegt. Da sieht man nie verkniffene oder mitzählende Gesichter.
Ja, das ist so eines der zentralen Unterschiede zwischen sehr guten Laienorchester und Berufsorchestern. Ich bin auch selber jemand, der auf Rhythmus und Zusammenspiel sehr viel wert legt. Ich mag das, wenn ein Orchester wirklich gemeinsam atmet, artikuliert und phrasiert. Das ist so ein kleines Steckenpferd von mir.
Dann also toi toi toi für Samstag!
Das Gespräch führte Thomas Ahnert
Sebastian Tewinkel
1971 im westfälischen Unna geboren und aufgewachsen, studierte er Schulmusik in Hannover und Dirigieren an der Stuttgarter Musikhochschule bei Thomas Unger . Nachdem er 2000 den Internationalen Dirigierwettbewerb der Lissaboner Fundação Oriente und im Jahr darauf den Bad Homburger Dirigentenpreis gewann, arbeitete er im In- und Ausland mit zahlreichen Orchestern zusammen, darunter mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks , den Bamberger Symphonikern und den Münchner Philharmonikern .