Der Haarwasserfabrikant Gottfried Biedermann sitzt bei einem Glas Wein hinter seiner Zeitung und schimpft über die Welt. Plötzlich klingelt es an der Haustüre. Ein jüngerer Mann drängt herein, der, wie er sagt, eigentlich gar nichts will, nicht einmal stören. Biedermann bietet ihm ein Glas Wein und eine Zigarre an. Damit kann die Katastrophe Fahrt aufnehmen.
Als Max Frischs Theaterstück "Biedermann und die Brandstifter - Ein Lehrstück ohne Lehre" Ende März 1958 am Schauspielhaus Zürich seine Uraufführung erlebte, wurde es sehr schnell zu einem der meistgespielten Stücke auf den deutschsprachigen Bühnen. Ganz neu war es allerdings nicht. Frisch hatte bereits zehn Jahre vorher eine Prosaskizze unter dem Titel "Burleske" verfasst, die in seinen Tagebüchern erschien. Daraus erstellte er ein Hörspiel, das als "Herr Biedermann und die Brandstifter" 1953 vom Bayerischen Rundfunk erstmals ausgestrahlt wurde. Fünf Jahre später folgte das Theaterstück, jetzt ohne "Herr", dem er vor der deutschen Erstaufführung am 28. September 1958 in Frankfurt noch ein Nachspiel in der Hölle anfügte, weil das Publikum wohl etwas an dem gnadenlosen Schluss litt.
Der Erfolg war wohl deshalb so groß, weil das Stück über den Unternehmer, der nicht wahrhaben will, dass er Brandstifter in sein Haus gelassen hat, politisch so praktisch war. Denn es zeigte plastisch und leicht verständlich, was passiert, wenn man sich die Kommunisten ins Haus holt. Das war wohl auch Frischs ursprüngliche Absicht angesichts des Februarputsches der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei 1948. Aber sehr schnell merkte man, dass man das Stück auch umdrehen konnte, wenn man statt Kommunisten Nazis schrieb. Aber allmählich veränderte sich die Welt, wurde komplizierter, mit dem Ende des Kalten Krieges auch weniger schwarz-weiß. Max Frischs Lehrstück begann Staub anzusetzen, und zwar ziemlich dick. Es verschwand sogar aus den Lehrplänen.
Aber jetzt ist es überraschenderweise in Maßbach wieder aufgetaucht, und zwar höchst plausibel. Man muss Ingo Pfeiffer (Regie) und Sebastian Worch (Dramaturgie) ein Riesenkompliment machen, dass es ihnen mit einer konsequenten, aber nicht textbeschädigenden Bearbeitung gelungen ist, das Stück in die spannende Aktualität des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts zu holen und wiederzubeleben. Zum Teil mit kleinen Griffen wie der Streichung der Rolle des "Dr. phil., der Akademiker", des Ideologen des Brandstiftertrios, zu dem schon Max Frisch außer nervender Belehrung nicht viel eingefallen ist. Vor allem aber durch die ersatzlose Streichung des Nachspiels in der Vorhölle und Hölle , dessen Moralinsäuregehalt in umgekehrtem Verhältnis zu einem höheren Erkenntniswert steht. Dafür haben die beiden aus der Hörspielfassung den sogenannten Verfasser (hier ist es eine Moderatorin auf einem Monitor ) gerettet, der nach dem Brand Biedermann über seine Verantwortlichkeit befragt - ohne natürlich Antworten zu bekommen. Was geblieben ist, ist der Chor der Feuerwehrleute, der sich wie in der antiken Tragödie immer wieder als Seher und Warner einschaltet.
Entstanden ist eine unglaubliche Verdichtung des Textes, eine höchst präzise Personenregie, die die statischen Momente des Lehrstücks geschickt vermeidet durch die Schaffung von kleinteiligen Spannungsbögen, die sich mühelos zu einem Ganzen zusammenfügen, die den Zuschauer gefangen nehmen und manchmal sogar ein bisschen atemlos machen auf dem unaufhaltsamen Weg in die Katastrophe. Natürlich weiß man bereits, wie der endet, aber man wird doch immer wieder davon gefesselt, wie die Biedermanns eine Gelegenheit nach der anderen verstreichen lassen, um ein rettendes "Nein" zu sagen - und natürlich auch durchzusetzen. Befördert wird diese Ausweglosigkeit durch ein geradezu üppiges, aber auch auf der kleine Bühne zwei Spielebenen schaffendes Bühnenbild von Robert Pflanz, die nicht nur ein sinnfälliges Versteckspiel (zunächst) der beiden Brandstifter und ihrer Benzinfässer ermöglicht, sondern auch Biedermanns gefängnishafte, ausweglose Situation fast physisch erfahrbar macht.
Marc Marchand - dass auch er Schweizer ist, ist Zufall - spielt einen außerordentlich differenzierten Gottfried Biedermann: auf der einen Seite einen skrupellosen Unternehmer und Haustyrann, der im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen geht: Seinem nach 17 Jahren geschassten Mitarbeiter Knechtling (was für ein Name!) rät er " sich unter den Gasherd zu legen", was der auch tut. Und er hat durchaus auch eine Witterung für die Gefahr der Situation. Aber er ist ein zu großer Feigling und Opportunist, um sich gegen den Untergang zu wehren: Wenn ich meine Feinde zu Freunden mache, tun sie mir nichts. Da ertappt man sich dann doch dabei, dass man aus dem Stück hinausdenkt, unter anderem an das Verhältnis der Parteien am rechten Rand von Bayern. Und da ist es nur konsequent, dass Biedermann den Brandstiftern am Ende auch die Zündhölzer gibt.
Die beiden Brandstifter spielen genüsslich mit der Perfidie ihrer Rollen. Alexander Bräutigam gibt den ausge(w)rungenen Ringer und Obdachlosen Josef Schmitt ("Sagen Sie Jupp zu mir"), der Biedermann einschüchtert und dessen Frau um den Finger wickelt, weil er seine Gefährlichkeit hinter einer Fassade der Wohlanständigkeit und Bescheidenheit und verkorksten Kindheit verbirgt und ständig an seiner Bildungsarmut leidet - obwohl er den "Jedermann" zitiert. Und Benjamin Jorns ist ein scheißfreundlicher, aalglatter abservierter Kellner und Knastbruder Wilhelm Maria Eisenring, der nach der Devise vorgeht: "Die beste Tarnung ist die Wahrheit. Die glaubt keiner." So können die beiden Ganoven schließlich auch ganz offen die vollen Benzinfässer durchs Haus schleppen und mit Zündschnüren verbinden.
Susanne Pfeiffer ist Babette, die herzkranke Ehefrau Biedermanns. Sie merkt und spürt zumindest, was in ihrem Haus geschieht, aber sie hat nicht die Kraft und den Mut, sich gegen die verdrängende Blindheit ihres Mannes zu stellen, und macht mit. Anna Schindlbeck als Dienstmädchen Anna durchschaut das Treiben. Aber sie wird geleitet von der Verachtung gegenüber ihrem Dienstherren. Von ihr - das macht sie mit zielgerichtetem Desinteresse deutlich - ist keine Hilfe zu erwarten.
Gute zwei Stunden komprimiertes, hoch spannendes Theater. Man fährt durch die Dunkelheit nach Hause, setzt sich in seinen Sessel, kommt ins Nachdenken über die vielen Aspekte und Abgründe des Stücks. Plötzlich klingelt es an der Türe.
Information
Am 31. Januar gastiert das Theater Maßbach in Bad Kissingen beim Theaterring. Beginn ist um 19.30 Uhr im Kurtheater.