Im Frühsommer 2015 verließ der Syrer Amer Al Hakawati (32) seine Heimatstadt Damaskus und kam auf strapaziösem Fluchtweg schon im Juli 2015 nach Bad Kissingen . Seit 2018 ist er Gründungsvorsitzender des Bad Kissinger Vereins „Begegnungszentrum der Kulturen“, seit 2020 Teilkoordinator für Sprachkurse im Beruflichen Fortbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft (bfz) und seit 2020 deutscher Staatsbürger. „Ich bin dankbar für die mir gebotene Chance und offen für jede Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln“, sagt der 32-Jährige, der in seiner Heimat eine Karriere als Rechtsanwalt aufgeben musste, im Gespräch mit dieser Zeitung.
Ungeschriebene Regel gebrochen
„Al Hakawati heißt auf Deutsch 'der Erzähler '.“ In verblüffend fließendem Deutsch erzählt er seine Geschichte: Es waren keine wirtschaftlichen Gründe, die ihn zur Flucht getrieben haben. Al Hakawati stammt aus gutbürgerlicher Familie, sein Vater ist Textilfabrikant. Er selbst hatte nach dem Jura-Studium schon zwei Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet. Doch 2015 hätte er als Soldat im Bürgerkrieg kämpfen müssen – für ein Regime, über das er sich schon als Student öffentlich kritisch geäußert und damit eine ungeschriebene Regel gebrochen hatte: „In Syrien macht man den Mund nur beim Zahnarzt auf“.
Auf der Liste des Geheimdienstes
Vermutlich habe er schon auf der Liste des Geheimdienstes gestanden. Gemeinsam mit Schwester und Schwager floh Amer Al Hakawati über den Libanon in die Türkei, von dort mit dem Boot nach Griechenland und weiter nach Deutschland, wo er im Juli 2015 dem Asylbewerber-Kontingent in Bad Kissingen zugewiesen wurde. Zum Glück hatte er gültige Ausweise und Zeugnisse dabei, weshalb schon vier Monate später, im November 2015, sein Asylantrag anerkannt wurde.
Im folgenden Jahr begann er in einem Integrationskurs Deutsch zu lernen, womit er schon in der Wartezeit selbstständig begonnen hatte. „Die Sprache ist der Schlüssel des Lebens.“ Ein Jahr später absolvierte er sowohl den B2-Sprachkurs für selbstständiges Sprechen sowie zeitlich parallel an der Würzburger Fachhochschule den C1-Kurs für kompetentes Sprechen der deutschen Sprache . Obwohl er heute fließend Deutsch spricht, wagt er sich noch nicht an deutsche Bücher. „Aber ich lerne täglich mehr.“
Beieindruckender Auftritt
Gerade sein gutes Deutsch , sein spürbarer Ehrgeiz, sein Selbstbewusstsein und gutes Auftreten in der Öffentlichkeit waren die Faktoren, die den Bad Kissinger bfz-Koordinator Peter-Wolfgang Großmann tief beeindruckten, als er den jungen Syrer im Jahr 2019 beim Integrationsgipfel am Rednerpult beobachtete. Dort sprach der damals erst 29-jährige Al Hakawati als Vorsitzender des gerade 2018 gegründeten Vereins „Begegnungszentrum der Kulturen“ über die Schwierigkeiten, die viele Asylbewerber ohne Sprachkenntnisse auf dem bürokratischen Weg zur Anerkennung durchmachen müssen.
Damals war Großmann gerade auf der Suche nach einem Teilkoordinator für Migration und Sprache in der Bad Kissinger bfz-Dienststelle. „Der junge Bursche erschien mir wie eine Fata Morgana. Den musste ich zu uns holen“, erinnert er sich an seine damalige Eingebung. „Er ist der Richtige, um Migranten zu helfen.“
„Problemlöser“ und Schnittstelle
Nach wenigen Gesprächen war alles perfekt. Seit Januar 2020 arbeitet Amer Al Hakawati beim Beruflichen Fortbildungszentrum und ist nach ausführlicher Einweisung jetzt Leiter des Bereichs Sprachkurse und damit fachlicher Vorgesetzter eines fünfköpfigen Teams sowie von sieben Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache. Zu seinem Aufgabenbereich gehören die Anmeldungen aller Sprachschüler, die Organisation der Sprachkurse mit etwa 200 Schülern und entsprechender Einteilung der Lehrkräfte sowie die Organisation von Einzel-Coachings für speziell zu fördernde Asylanten . Außerdem sieht sich Al Hakawati als „Problemlöser“ und ist die Schnittstelle zwischen Asylbewerbern und Behörden.
Förderprogramm für junge Talente
Inzwischen wurde sein syrisches Jura-Zeugnis zwar als dem Bachelor vergleichbar bewertet, doch als Anwalt, das weiß der Jurist, wird er in Deutschland niemals arbeiten dürfen. Enttäuscht ist er deshalb nicht. „Ich will mich in Deutschland integrieren und mich mit meiner neuen Situation bestmöglich arrangieren“, ist er deshalb für die ihm im bfz gebotene Chance überaus dankbar. Kürzlich wurde er sogar ins Förderprogramm für junge Talente des Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft (bbw) mit 11 000 Beschäftigten in Deutschland aufgenommen, deren Tochtergesellschaft das bfz ist. So steht ihm möglicherweise eine bundesweite Berufskarriere und die Mitarbeit in BBW-Auslandsprojekten offen, sieht sein Chef Großmann eine gute Chance.
Er träumt auf Deutsch
Nach fast acht Jahren in Deutschland träumt Amer Al Hakawati sogar schon auf Deutsch , hat er schon überrascht festgestellt. Auch bei Telefonaten mit den Eltern rutschen ihm immer wieder deutsche Ausdrücke raus. Er lebt zwischen zwei völlig unterschiedlichen Kulturen. Bei den Deutschen liebt er deren Offenheit und Direktheit, sieht aber die Bürokratie kritisch. Mit Ausländerhass ist er hier nie in Berührung gekommen, versichert er ausdrücklich. Im Gegenteil: „ Bad Kissingen ist für mich jetzt wie Heimat.“
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