
Mit Christian Springer steht einer auf der Kabarettbühne, der eine Botschaft hat. Die Botschaft ist nicht unbedingt politisch, aber doch an die Politik gerichtet, wenn Zauberer Söder dem Zylinder einen "Corona-Hasen oder nichts" entsteigen lässt oder wenn er sein Publikum im Kissinger Regentenbau auffordert: "Mal stehenbleiben und aufpassen - am besten zu mehreren - dann passiert weniger!" - und nicht nur dafür erntet der Münchner Kabarettist von den rund 250 Gästen begeisterten Applaus.
Über 35 Jahre ist Christian Springer künstlerisch tätig und sowohl über die deutschen Bühnen als auch über die TV-Mattscheibe zu einem der bekannteren Gesichter der Kabarettszene geworden - und in dieser Zeit zu der humorvollen Selbsterkenntnis kam: "Wir können eigentlich nichts, wir sind halt da!" Aber dieses Dasein genügt, um den Finger in die Wunden unserer Corona-verzerrten Realität mit ihren Untiefen und Fallstricken zu legen, um sich zwei Stunden über die Welt im Großen und Kleinen aufzuregen.
Verstörend und begeisternd
Und dies macht Springer in einer intelligenten Art und Weise, die sowohl verstörend als auch begeisternd wirkt. Verstörend über den Corona-Spiegel, weil die anfängliche Aufbruchstimmung aus der gemeinsamen Betroffenheit nicht auf Dauer war, weil man "Klatschen statt besserer Bezahlung" als ausreichend ansah oder, weil man die "erhoffte Gelassenheit" nicht mehr erkennen kann - weder auf der Autobahn noch am Wertstoffhof. Selbst das verbesserte Umweltbewusstsein, zu erkennen am "sichtbaren Mikroplastik" im sauberen Wasser von Venedigs Lagune, wurde mittlerweile ad acta gelegt, "weil der Mensch ein Triebtäter ist". Für Springer ist es die Täuschung der Menschheit, sich als den Vogel zu sehen, der sich den frühen Wurm schnappt: "Der Mensch ist der Wurm ", so seine bitter-sarkastische Erkenntnis.
Ein brauchbares Mysterium
Begeisternd ist er immer dann, wenn er das Lachzentrum im Zwerchfell der Gäste anspricht. Dies macht der 57-Jährige einerseits mit seiner bildhaften Sprache und einer bayrisch-grantelnden Überzeichnung, die die Phantasie zum amüsierten Vollenden des Gedankens anregt oder liebgewonnene Vorurteile über den "Preiß´n als nicht greif-, aber brauchbares Mysterium" mit einem Witz krönt.
Dazwischen amüsiert er sich über das Gender-Sternchen, den Totengräber der schönen deutschen Sprache, über die sprachgewaltigen Analysen eines Jogi Löw oder über den Weg zur Normalität, wenn Läuse-Alarm im Kindergarten die Corona-Quarantänen ablösen - oft eingebunden in skurrile bibliographische Anekdoten, die mit einem schelmischen Augenzwinkern enden.
Irgendwo zwischen Verstören und Begeistern ist Springers Hauptthema "Mitmenschlichkeit" eingewoben, das sehr eng mit seinem humanitären Engagement in Syrien, in Jordanien oder im Jemen verbunden ist. Diese innere Überzeugung, ja innere Betroffenheit treibt den Kabarettisten auf der großen Bühne des Max-Littmann-Saals hin und her - ganz so, als würde er Kilometergeld für den Auftritt erhalten.
Ob Atomkraft als grüne Energie vor dem Hintergrund des früheren "Atomkraft? Nein danke", ob die bayrische Leitkultur vor dem Hintergrund, dass Audi aus Zwickau ist oder Stoibers Mutter aus Dormagen ist, ob das hohe Gut der Meinungsfreiheit vor dem Hintergrund der Corona-Spaziergänge woanders zu Repressalien geführt hätte - Springer verbindet seine Stichworte gerne mit einer Geschichtsstunde, die unsere gegenwärtigen Entwicklungen in einen größeren Zusammenhang stellt.
Eier-Attentat auf Franz-Josef Strauß
So zerpflückt er nach dem gemeinsamen Singen der deutschen Nationalhymne anlässlich eines Fußball-Länderspiels deren Entstehungsgeschichte: von Hofmann von Fallersleben auf der damals zu England gehörenden Insel Helgoland getextet, durch den Österreicher Joseph Haydn mit der "Kaiser-Melodie" unterlegt, die aus einem kroatischen Volkslied geklaut wurde.
Vor allem in der zweiten Hälfte seines Best-of-Programms gab der begnadete Geschichtenerzähler Persönliches preis, als er sich zu einem Eier-Attentat auf Franz-Josef Strauß bekannte. Irritierende Aussagen und falsche Behauptungen des damaligen Ministerpräsidenten waren die schmerzlichen Erfahrungen des missglückten Attentats, 5000 DM Geldstrafe und kein Universitäts-Abschluss waren die verkraftbaren Folgen daraus - verbunden mit der Erkenntnis: "Was machen solche Menschen, wenn es um wirklich Wichtiges geht."
Bayern mit syrischen Wurzeln
Den Abschluss im zweistündigen Programm bildete nochmals ein Versuch die bayrische Leitkultur regional abzugrenzen, wobei der sogenannte "Weißwurst-Äquator" umso südlicher verläuft, je südlicher man in Bayern wohnt und für so manchen beginnt er schon auf der Linie München. Denen hielt er die bayrische Geschichte entgegen, denn nicht nur römisches Recht ist im Laufe der Zeit angekommen, sondern auch das römische Reich als Besatzungsmacht - und dies mit syrischen Bogenschützen, die hinter den Büschen nicht nur ihre Notdurft verrichtet hätten. Von daher fließt in so manchen Bayern mehr arabisches Blut als er wahrhaben möchte und deshalb könne gelten: "Die Verwandtschaft kommt!"