Nächtliches Telex nach Moskau
Was inzwischen kaum noch Probleme macht, nämlich Kontakt mit dem Ausland aufzunehmen, sei in den achtziger Jahren schwierig gewesen. Bestes Beispiel: Moskau. Tagsüber kam keine Verbindung zustande, erinnert sich Schütze, erst früh gegen halb drei Uhr habe man Informationen per Telex senden können. Einmal hatte sie sogar wunde Finger vom vielen Wählen auf der runden Scheibe.
Nicht nur die Technik nahm sich in den Anfangsjahren des Kissinger Sommers bescheiden aus. Auch das Büro war klein und beengt. Es war die Teeküche neben dem großen Sitzungssaal im Rathaus. Den großen Ratstisch nutzte Schütze als "erweitertes Büro". Doch wenn die Ratsherren tagten, musste sie weichen.
Mehrfach zog Hilla Schütze mit ihrem Büro um. Ihr zweites Domizil war eine Wohnung im alten Schulhaus im ersten Stock. Unten gab's Strobels Bratwürste. Dann kam der Umzug ins Alte Rathaus. Aber auch das war nicht von Dauer, die Zelte wurden hier abgebrochen und im Feser-Haus neu aufgestellt. Von dort ging es schließlich in die Maxstraße ins ehemalige Arbeitsamt. Nun steht für das Festivalbüro ein erneuter Umzug an - wieder ins Alte Rathaus, aber den erlebt Hilla Schütze nicht mehr als städtische Angestellte. Vor einigen Jahren zog sie sich aus dem aktiven Dienst zurück.
Schnittkes poetisches Deutsch
Dennoch bleibt sie dem Kissinger Sommer nicht fern, hilft hin und wieder bei der Betreuung von Künstlern und Konzerten. Und sie erinnert sich gern an die ersten Jahre.
Zu diesen Erinnerungen gehört Herr Köchel aus Hamburg. Dort arbeitete Köchel im Sikorski Verlag, einem großen Musikverlag. Eines Tages, es war im Jahre 1988, hörte Hilla Schütze die Tür zum großen Sitzungssaal aufgehen. Doch dann war Stille. Nach einer Weile schaute sie aus ihrem kleinen Büro heraus. Herr Köchel saß am Ratstisch und hielt ihr - stolz schweigend - das erste gedruckte Programmheft zum Kissinger Sommer entgegen, das er gestaltet hatte.
"Die Erinnerungen an die ersten Jahre sind deshalb so gut in meinem Gedächtnis, weil es ganz besondere Erlebnisse waren", sagt Hilla Schütze. Dazu gehören vor allem ganz besondere Begegnungen. Zum Beispiel mit Alfred Schnittke, den sie lange vor dem Kissinger Sommer in London erlebt hatte. Dass sie mal seine persönliche Bekanntschaft machen würde, das hätte sie im Traum nicht gedacht. "Er sprach ein unglaublich poetisches Deutsch", schwärmt Schütze noch heute.
Zu ihren besonderen Begegnungen gehört auch das Zusammentreffen mit Wladyslaw Bartoszewski 1987. In jenem Jahr erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Schütze stand gerade an der Kasse der Kurverwaltung, als ihr jemand sagte, dass Bartoszewski im Steigenberger angekommen sei. Als sie ihn - mit einer Rose in der Hand - begrüßen wollte, waren er und seine Frau schon unterwegs ins Café. Schütze eilte ihnen nach, den polnischen Schriftsteller nur von einem Bild kennend. Sie erblickte ihn in der hintersten Ecke. Sie stellte sich vor, dann "haben wir uns eine dreiviertel Stunde fantastisch unterhalten". Auf dem Weg ins Hotel gestand er, dass ihm Bad Kissingen sehr gut gefalle. Im kommenden Jahr wollten er und seine Frau acht Tage hier Urlaub machen. "Und sie kamen tatsächlich", sagte Schütze.
Die Beziehungen zu Moskau gestalteten sich im Laufe der Jahre besser. Und so entschloss sich die Intendantin, 1989 in Moskau eine Pressekonferenz anzuberaumen. Die fand in den Räumen des sowjetischen Komponistenverbandes statt. Dafür hatte Dr. Kari Kahl-Wolfsjäger Informationsmaterial sogar ins Russische übersetzen lassen.
Auf Umwegen gelangte auch Hilla Schütze in das altehrwürdige Haus mit dem holzgetäfelten Raum, in dem das Pressegespräch stattfinden sollte. Schütze reiste mit der SPD-Ortsgruppe Hammelburg in Russlands Hauptstadt. In ihrem Gepäck waren natürlich vor allem Kataloge, Plakate und allerhand Werbematerial, mit denen sie den Konferenzsaal "schmückte". Viele russische Journalisten und Komponisten waren gekommen, erzählt Schütze. "Dann ging plötzlich die Tür auf und Schnittke kam herein. Alles verstummte, sie waren voller Hochachtung", erinnert sie sich noch genau.
Bewirtung bis in die späte Nacht
Beim Erzählen erkennt man in ihrem Gesicht, wie die Gedanken auf sie einstürzen und tausend neue Erinnerungen wecken. Da ist das lange nächtliche Warten auf ein Taxi in Moskau, ihre abenteuerliche Busfahrt zu einer russischen Wissenschaftlerin, die Begegnung mit einer jungen Russischlehrerin aus der DDR, die zur Fortbildung in Moskau war.
Dann schwenken ihre Gedanken zu jener Vorhut aus der DDR, die unbedingt die Hotelzimmer in Bad Kissingen inspizieren wollte, weil ja ihre Künstler nicht überall wohnen könnten. Dabei wusste jeder, dass die wenigsten DDR-Künstler in Seide gebettet waren.
Aber vor allem bewahrt Hilla Schütze all die wunderbaren Erinnerungen an die Menschen, die der Kissinger Sommer in irgendeiner Form verband. Zum Beispiel die Verbrüderungszeremonie zwischen polnischen Künstlern und dem Nüdlinger Folklorechor bei einem Empfang im Weißen Saal, wo sogar getanzt wurde. Sie spricht von den Bewirtungen der Künstler in einigen Restaurants bis spät in die Nacht, so mancher Dankesbrief fand dafür den Weg nach Bad Kissingen.