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Bad Kissingen
Der Knaller im Klavierkonzert
Beim letzten Konzert des Kissinger Winterzaubers krachte ein Scheinwerfer auf die Bühne - die Profis ließen sich nicht aus dem Konzept bringen
Das Symphonieorchester des Nationaltheaters Prag. Foto: Gerhild Ahnert       -  Das Symphonieorchester des Nationaltheaters Prag. Foto: Gerhild Ahnert
| Das Symphonieorchester des Nationaltheaters Prag. Foto: Gerhild Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 02:46 Uhr
Ein kurzes Flackern über Posaunen und Trompeten, ein lauter Knall, eine kurze Schrecksekunde mit besorgten Blicken der Blechbläser hinauf zur Holzdecke über ihnen, hinunter auf den Boden. Nichts war heruntergefallen, alles heil. Klaviersolistin und Symphonieorchester des Nationaltheaters Prag spielten in absoluter Konzentration weiter, als sich der eine der beiden hinteren Riesenscheinwerfer über der Bühne des Max-Littmann-Saals mitten in Franz Liszts Klavierkonzert effektvoll verabschiedete. Absolute Profis halt, die sich von den Störversuchen noch so großer technischer Geräte nicht aus dem Takt bringen lassen.

Diesen Profis aus Prag gelang es von Anfang an, das Publikum beim fast ausverkauften Schlusskonzert des Kissinger Winterzaubers 2017/18 in ihren Bann zu ziehen. Was es ihnen leicht machte, war die Tatsache, dass sie fast lauter tschechische musikalische Nationalheiligtümer zu interpretieren hatten. Bedrich Smetanas Hymne an seine Heimat und ihre Moldaumetropole Prag, "Die Moldau" aus dem Zyklus "Mein Vaterland", stand am Anfang.

Dirigent Gerd Schaller, der in Bad Kissingen schon verschiedene Orchester dirigiert hat, bewies von dieser Ouvertüre an, wie nahe ihm der immer noch "böhmische Wohlklang" dieser Streicher und Bläser steht, und das Orchester bewies, dass es mit Schallers klarem, schnörkellosem Dirigierkonzept sehr viel anfangen kann. Er achtet sehr genau auf Strukturen, auf Durchhörbarkeit, legt Kompositionsteile oder Übergänge frei, die man bei vielen anderen Interpreten gar nicht mitbekommt, weil sie verdeckt, versteckt werden in und unter den Hauptmelodien. Und es macht ihm sichtlich Vergnügen, dass die Prager auf dieses Konzept nicht mit Sprödigkeit, sondern mit ungemeinem Wohlklang zu reagieren vermögen, dass es ihnen Spaß macht, innerhalb des Orchesters miteinander zu konzertieren. Der Verlauf der Moldau von ihrer Quelle bis zur Mündung wurde so zu einem überaus plastischen, dynamisch fein ausgefeilten und deshalb spannenden Erlebnis.

Aus der rumänischen Virtuosenschule des George Enecscu-Musikgymnasiums in Bukarest stammt die Pianistin Luiza Borac, die in den Konzertsälen von London, Amsterdam und New York und bei vielen renommierten Festivals begeistert hat, nicht nur mit den bekannten Stücken des Klavierrepertoires, sondern auch mit Kompositionen des 20. Jahrhunderts wie etwa von ihrem Landsmann George Enescu oder Dino Lipatti. Solche große Erfahrung und Abgeklärtheit bekommen Franz Liszts "Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur außerordentlich gut. Denn wie seinem Komponisten Liszt allgemein hängt auch diesem das abwertende Vorurteil eines Primats der Virtuosität über dem musikalischen Gehalt an, und so dient es vielen Pianisten lediglich zur Ausstellung ihrer staunenswerten Fingerfertigkeit. Nach 20-jähriger Arbeit schuf Liszt aus einigen Skizzen eine eng mit dem Orchesterpart verzahnte zyklische Komposition mit einem häufig wiederkehrenden prägnanten Thema. Luiza Borac spielte die hochvirtuosen, zum Teil solistischen pianistischen Schmankerl mit großer Ruhe und Sicherheit, konzertierte aber auch aufmerksam und in gewitzter Dialogführung mit den Orchesterstimmen, gab etwa im 1. Satz mit den dramatischen Oktaven den Ton vor, um dann in einen fröhlichen Dialog mit den Holzbläsern zu treten.

Orchester und Solistin interpretierten einen Liszt ohne die großen Showeffekte, vielmehr als eine spannende Auseinandersetzung mit den immer wieder aufgenommenen Themen des Werks, was sowohl die Präzision des Zusammenspiels als auch ein gemeinsames Gestalten der lyrischen wie der explosiv dramatischen Stellen zum Vergnügen werden ließ. Da das heftig applaudierende Publikum die Pianistin nicht ohne Zugabe gehen ließ, spielte sie Franz Liszts Transkription von Franz Schuberts "Ave Maria" mit einer bei dem von pianistischen Schwierigkeiten gespickten staunenswert ruhigen und klaren Betonung des Melodieparts, eine schöne Hommage an die Gottesmutter zum Ende der Weihnachtszeit.

Den Höhepunkt dieses wahrhaft festlichen Schlusskonzertes bildete Antonin Dvoráks 9. Sinfonie "Aus der Neuen Welt", der Publikumsliebling mit großem Ohrwurmpotenzial. Gut, dass sie so bekannt ist, da von ihren vier Sätzen nur die Satzbezeichnungen des ersten im Programmheft ausgedruckt waren. Schon im ersten Satz, "Adagio - Allegro molto", begeisterte die äußerst durchhörbare Gestaltung, auf den ruhigen Einstieg folgten richtig scharfe Blechbläsereinwürfe, bis die Holzbläser, allen voran die Flöte in immenser Zartheit, das Hauptthema einander immer wieder wahrhaft allegro (fröhlich) zuspielten. Am Ende des Satzes gab es Applaus, auf den hin sich Gerd Schaller gut gelaunt umdrehte und dem Publikum "Vielen Dank!" zurief. Doch entgegen dem Programmheft ging des mit dem 2. Satz weiter, in dem die Musiker und ihr Leiter mal wieder bewiesen, dass es in noch so bekannten Stücken in einem Livekonzert neue Nuancen zu entdecken gibt, man staunen kann über die Sensibilität und gleichzeitige Beschwingtheit in allen Orchesterabteilungen, die einen solch natürlichen Ton produzierten, dass man sich an menschliche Stimmen erinnert fühlte.

Das "Scherzo: Molto vivace - Poco sostenuto" machte großen Spaß, denn hier wurde die zunächst verhaltene Freude immer ausgelassener, forderte die Pauke mit ihren Attacca-Angriffen immer wieder fröhlich Aufmerksamkeit, jubelten die grandiosen Hörner der Prager bis vor ihrem wunderschönen Abklingen am Ende. Der wilde Beginn des 4. Satzes, "Allegro con fuoco" machte dieser Satzbezeichnung "mit Feuer" alle Ehre, doch bremst Dvorák mit den Klarinetten dies erst einmal aus, ein Leckerbissen für die Damen an diesen Instrumenten. Mit Anspielungen auf Themen aus der vorhergehenden Sätzen führt Dvorák das sinfonische Material immer dichter bis zu Schlusskoda, was dem fulminanten Orchester noch einmal die Möglichkeit gab, seine unbändige Spiellust zu demonstrieren, sei es in der richtig schreienden Eruption der Trompeten und anderen Blechbläser im strahlenden Tutti-Finale, das vom Publikum natürlich spontan umjubelt und gefeiert wurde.
Natürlich bedankten sich die tschechischen Musiker und ihr fränkischer Dirigent am Ende ihres - trotz kurzem Liszt-Intermezzo - tschechischen Abends mit Antonin Dvoráks mitreißendem "Slawischen Tanz" Nr. 8. Das Publikum verabschiedete sich hochgestimmt aus diesem Winterzauber, der mit einem etwas schwierigen Eröffnungskonzert begonnen hatte.
 
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