Nach 90 Jahren ist erst jetzt das Kirchengebäude dank einer privaten Spende endlich wieder komplett (wir berichteten). Die alten Glocken waren im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen worden.
"Unsere Glocken werden nicht wie in der katholischen oder evangelischen Kirche geläutet", erzählt Rahr, der schon in den 70-er Jahren als Ministrant in Frankfurt-Hausen das Glockenschlagen gelernt hat. In der russischen Kirche schwingen die Glocken nicht: Sie sind starr befestigt und werden mit dem Klöppel der Reihe nach geschlagen, so dass sich eine bestimmte Tonfolge ergibt.
Es handle sich aber auch nicht um ein Glockenspiel, denn es seien keine Melodien zum Mitsingen. "Es sind nur Tonfolgen, die aber jede für sich ihre eigene Tradition hat." Wie viele solcher Tonfolgen es gibt, könne er gar nicht sagen. Denn niemand habe sie jemals zu Papier gebracht. Sie werden, wie schon vor Jahrhunderten, auch heute noch von Glöckner zu Glöckner nur nach Gehör gelehrt.
Er selbst beherrscht überhaupt nur eine einzige. Und die wird er am kommenden Sonntag zu Beginn des Gottesdienstes und während des eucharistischen Hochgebets schlagen. Danach wird er sein Wissen an ein Bad Kissinger Gemeindemitglied weitergeben. Vielleicht wird Sergej Paul (48), der schon seit 1993 im Landkreis lebt, als Kirchenältester diese ehrenvolle Aufgabe übernehmen? Jedenfalls hat er beim Aufhängen der Glocken auch schon mit angepackt.
Nachbarn sind eingeladen
Jetzt freuen sich beide auf den Gottesdienst am kommenden Sonntag um 10 Uhr, der von Priester Valerij Mickeev aus Landshut zelebriert wird, und sind gespannt auf den ungewohnten Klang der Glocken. "Zu diesem Gottesdienst ist jeder herzlich willkommen", richtet Rahr seine Einladung an die Nachbarn in der Salinenstraße, an die Mitglieder anderer Glaubensgemeinschaften und auch an alle "Sehleute". Nach dem Gottesdienst will man mit allen Gästen das Einläuten der Glocken bei russischen Spezialitäten feiern.
Im Blickpunkt
Russische Kirche in Bad Kissingen
Das Gotteshaus der Russischen Kir-
che in Bad Kissingen wurde in den
Jahren 1898 bis 1901 von der "Bru-
derschaft des Heiligen Fürsten
Wladimir" gebaut und wird noch
heute von ihr als Privateigentum
betreut. Hier wurden in den ersten
Jahrzehnten, wie in anderen Kur-
orten auch, nur in den Sommer-
monaten Gottesdienste für die
russischen Kurgäste abgehalten.
Ende der 1980er Jahre entwickelte
sich eine Bad Kissinger Kirchen-
gemeinde, die jedoch erst im Juli
vergangenen Jahres offiziellen
Status und heute etwa 100 Gläu-
bige zählt. Gottesdienste gibt es
an jedem ersten und dritten Sams-
tag des Monats um 18 Uhr sowie
am folgenden Sonntag um 10 Uhr.
Die Russische Kirche in Bad Kissin-
gen ist heute der "Russisch-Ortho-
doxen Kirche im Ausland" ange-
schlossen.