"Ich will der Vergangenheit eine Zukunft geben", sagt Klaus Dieter Guhling, der Herr über unzählige Regalmeter voller Bücher, Zeitungen, Fotos, Plakate, Akten, jahrhundertealter Folianten und vielem, was sonst noch sammelwürdig ist, um die Geschichte der Stadt Münnerstadt zu dokumentieren. Schon seit 33 Jahren ist er ehrenamtlicher Leiter des Stadtarchivs in der Zehntscheune. Diese Arbeit hält jung, vor wenigen Tagen feierte er seinen 80. Geburtstag.
Dass Klaus Dieter Guhling einmal seine Heimat in Münnerstadt am Rande der Rhön finden würde, war ihm nicht vorgezeichnet. Geboren wurde er am 1. Juni 1940 in Warthegau im heutigen Polen. Sein Vater musste als Soldat in den Krieg und wurde 1943 in Russland als vermisst gemeldet. "Ich weiß nicht, wie es ist, einen Vater zu haben", sagt Guhling deshalb. Im Herbst 1945 wurde er zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester von den Polen ausgewiesen. Sie kamen nach Marktredwitz im oberfränkischen Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge. Hier besuchte Klaus Dieter die Volksschule und bestand 1960 am Gymnasium das Abitur . "Hier sind wir heimisch geworden, es ging uns gut", sagt er über diese Zeit.
Zum Studium zog es ihn anschließend 400 Kilometer fort ins schwäbische Tübingen. Dort studierte er an der Eberhard-Karls-Universität griechische, römische und deutsche Literatur. "Es war eine unbeschwerte und schöne Zeit, ohne sich darum zu kümmern, wo das alles hinführen soll", stellt er im Rückblick auf diese Zeit fest. 1963 reiste er zweieinhalb Monate lang durch Griechenland, um die Orte wie Athen, Delphi oder Olympia kennenzulernen, die in der antiken Literatur erwähnt werden. Danach war ihm klarer, was sein Ziel ist.
Freundin in Münnerstadt nicht alleine lassen
Er studierte an der Universität Erlangen weiter, mit dem Ziel, das erste Staatsexamen für den Schuldienst an Gymnasien abzulegen. Das Examen wurde ordentlich, und er kam als Studienreferendar ans Regensburger Albrecht-Altdorfer-Gymnasium. Unter einer Gruppe von sechs Referendaren, auf die er dort traf, war auch seine spätere Frau. Während der sogenannten Einsatzphase an externen Schulen sollte Klaus Dieter Guhling an eine Schule nach Kulmbach kommen. Seine Freundin, mit der er nicht verlobt war, sollte ans Gymnasium nach Münnerstadt . Sie stellte sich im August 1967 dort vor, und er begleitete sie. Der erste Eindruck vom Städtchen war offenbar nicht 100-prozentig positiv, denn er erinnert sich: "Die ganze Hauptstraße war aufgerissen." Seine Freundin wollte nicht gerne allein in Münnerstadt bleiben, und deshalb heirateten sie am 30. August ohne große Feier in Regensburg, in der Hoffnung, dass ein Ehepaar nicht getrennt würde.
Robert Hornung, damaliger Schulleiter am Schönborn-Gymnasium, war der gleichen Meinung und setzte sich erfolgreich dafür ein, dass beide nach Münnerstadt kamen. 1968 legte Guhling dann in Regensburg das zweite Staatsexamen ab und kam als Studienassessor dauerhaft nach Münnerstadt , ebenso wie seine Frau Anna Johanna. 14 Jahre unterrichtete Klaus Dieter Guhling in Münnerstadt die Fächer Deutsch und Latein . In dieser Zeit baute er zusammen mit seiner Frau ein Haus in Reichenbach, da sie einen großen Garten haben wollte.
Die Schülerzahlen an den Gymnasien sanken, deshalb bestand die Gefahr, dass er an eine weiter entfernte Schule versetzt werden könnte. Er wechselte deshalb freiwillig ans Rhön-Gymnasium nach Bad Neustadt, um wenigstens in der Region bleiben zu können - und blieb dort 21 Jahre. 2002 ging er als Studiendirektor in den Ruhestand, ebenso wie seine Frau.
Politisches und ehrenamtliches Engagement
Die Kinder der Familie Guhling besuchten den Kindergarten in Reichenbach. Deshalb engagierte sich der Vater im Vorstand des Kindergarten-Vereins und kümmerte sich 1977 bis 1982 um den Erweiterungsbau. Seit 1972 ist er Mitglied des SPD-Ortsvereins. 1978 bis 1996 gehörte er sowohl dem Stadtrat als auch dem Kreistag an. In Münnerstadt hatte er auch Ambitionen, Bürgermeister zu werden. "Gegen Ferdinand Betzer war ich aber chancenlos" , erinnert er sich. 1995 schloss er sich der Freimaurerloge Georg Liberalitas in Meiningen an, "deren Idealen hänge ich bis heute an". Schon in seiner aktiven Zeit als Gymnasiallehrer übernahm Guhling von Josef Willmann im August 1987 die Leitung des Stadtarchivs und baute es zu einer für eine Stadt dieser Größenordnung sehr bemerkenswerten Einrichtung aus. Sein besonderes Verdienst besteht darin, dass er sich nicht darauf beschränkte, die Akten aus dem Rathaus zu archivieren. Er konnte eine Sammlung mit Zehntausenden von Fotos unter anderem aus den Archiven Gerhard Fuhrmann, Anton Müller, Christian Winterstein und Josef Parsch aufbauen und sammelte auch systematisch das Material der beiden Lokalzeitungen: "Weil man in den Zeitungen eine so detaillierte Berichterstattung über das tägliche Geschehen findet, wie es sonst nirgends dokumentiert ist." Für seine Verdienste bekam er die goldene Stadtmedaille.
Corona macht Strich durch Geburtstagplanung
Damit er es nicht weit zu seinem Archiv hat, hat er inzwischen auch sein Haus in Reichenbach aufgegeben und wohnt bei seinem jüngsten Sohn in der Jörgentorgasse. Mit dem Tod seiner Frau im Jahr 2013 traf Klaus Dieter Guhling ein harter Schicksalsschlag. Inzwischen hat er aber eine neue Lebenspartnerin gefunden, die er seit frühester Jugendzeit kennt. Dass sie in den USA lebt, war vor der Corona-Pandemie kein großes Problem. So flog er halt öfter mal über den "großen Teich", oder sie besuchte ihn in Münnerstadt . Im März war sie hier, und sie wollten zusammen nach drüben fliegen - doch einen Tag vor dem geplanten Abflug verhängten die USA einen Einreisestopp für Ausländer. Sie flog, er musste hierbleiben. Gemeinsam wollten sie rechtzeitig zum 80. Geburtstag zurück in Münnerstadt sein, um hier mit Freunden zu feiern. Auch daraus wurde nichts. Immerhin, "Skype" macht es möglich, dass sie sich trotzdem jeden Tag hören und sogar sehen können.