
Einen historischen Bogen über 141 Jahre spannte Historiker und Kulturreferent Peter Weidisch in seinem Vortrag „Der 9. November – Schicksalsdatum der Deutschen?“ Das Datum verknüpfte er nicht nur mit den markanten Jahreszahlen von 1848, 1918, 1923, 1938 und 1989, vielmehr analysierte er die signifikante Bedeutung der damaligen Geschehnisse für die deutsche Geschichte und die gesellschaftlichen Entwicklungen – ergänzt um kundige Anmerkungen zu den Auswirkungen in der Bad Kissinger Stadtgeschichte.
Kein Feiertag, aber ein historisch-bedeutsames Datum für Deutschland – das ist der 9. November und deshalb für Peter Weidisch Anlass genug, sich diesem besonderen Datum und der besonderen Sicht aus Bad Kissingen zu widmen. Stadtarchiv und Volkshochschule Bad Kissingen luden dazu ein, die Sparkasse Bad Kissingen stellte ihren Pavillon zur Verfügung und knapp 100 Gäste lauschten dem Vortrag, den Weidisch mit historischen Aufnahmen beziehungsweise zeitgeschichtlichen Dokumenten unterlegt hatte.
Persönlichkeiten, die Geschichte schrieben
Immer ging es auch um verschiedene Persönlichkeiten, deren Biografie und Charakter die jeweilige Epoche kennzeichneten. So stand Robert Blum im Zentrum seiner Ausführungen rund um dem 9. November 1848, der in einem „revolutionär begeistertem Deutschland“ das geeinte Deutschland im Blick hatte und – obwohl eher friedlich gesinnt – als Abgeordneter der Nationalversammlung an der Oktober-Revolution in Wien teilnahm. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurde er als „Machtdemonstration des Regimes“ hingerichtet– im „Kissinger Intelligenz-Blatt“ erschien eine Todesanzeige hierzu, verbunden mit der Werbung für ein Gedenkbild.
Die sogenannte „November-Revolution“ zum Ende des Ersten Weltkriegs skizzierte Weidisch mit kurzen Stichworten: die sogenannte „Dolchstoß-Legende“, das Ende der Wittelsbacher und der Hohenzollern-Monarchie, der doppelten Ausrufung der Republik, die am 9. November 1918 erst durch Philipp Scheidemann und zwei Stunden später durch Karl Liebknecht proklamiert wurde, oder den steinigen Weg zum Versailler Diktat (Vertrag).
Teil dieser Entwicklung war die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten – so auch in Bad Kissingen , wo ein Soldatenrat öffentliche Stellen besetzen ließ, einen Ernährungsrat zur Bekämpfung des kriegsbedingten Elends gründete und auf den Magistrat der Stadt einwirkte. Der 9. November 1918 hatte eher ein negatives Image, denn es ergab sich daraus kein Gründungsmythos, der die instabilen Verhältnisse der Weimarer Republik hätte positiv beeinflussen können.
Die schnell aufkommenden reaktionären und nationalistischen Strömungen gipfelten im „ Hitler-Ludendorff-Putsch “ des Jahres 1923. Was am 8. November mit einer NSDAP-Veranstaltung im Hofbräukeller zu München begann, am Tag darauf mit einem Marsch auf die Feldherrnhalle fortgeführt und in einem gescheiterten Putsch mit Toten, Verwundeten und Verhafteten endete, war der Probelauf der späteren Nazi-Diktatur.
Prozess eine Farce
Für Peter war der Prozess gegen Hitler eine Farce, der mit Rechtsfehlern, mit Rechtsbeugung und Willkür den nationalistischen Geist der Zeit widerspiegelte. Hitler nutzte den 24-tägigen Prozess zur „Selbstdarstellung mit zügellosen Angriffen“, wogegen das Gericht mildernde Umstände gelten ließ und eine vom Gesetz vorgesehene Ausweisung des Österreichers nicht anordnete. Von den fünf Jahren „Festungshaft“ saß Hitler nur knapp zehn Monate ab – und fortan nutzte die NSDAP den Putschversuch als Mythos und Gedenktag.
Der nächste Zeitsprung führte in das Jahr 1938 und zu Herschel Grynszpan, der am 7. November ein Attentat auf den Diplomaten Ernst vom Rath in Paris verübte. Obwohl Einzeltäter, so wurde das Attentat als „Verschwörung des Weltjudentums“ umgedeutet, als Schlagzeile in allen Zeitungen, so auch in Bad Kissinger verwendet und bildete den Vorwand für die nachfolgenden Pogrome. Die von der NSDAP organisierten Ausschreitungen sollten als „spontane Erhebungen des Volkes“ inszeniert werden und für Weidisch wurde die „ Reichskristallnacht “ zum „Vorabend der Endlösung“. Auch in Bad Kissingen feierten die Nationalsozialisten den „Hitler-Putsch“ von 1923 im Regentenbau. Als in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gegen 0.30 Uhr der Befehl eintraf, Gewaltmaßnahmen gegen Juden zu veranlassen und dabei unerkannt zu bleiben. Generalstabsmäßig wurde geplant und gehandelt und innerhalb kurzer Zeit wurde die Kissinger Synagoge angezündet, eine israelitische Kinderheilstätte verwüstet sowie 16 Geschäfte zerstört, der Schaden wurde mit 55.000 Reichsmark beziffert.
„Kalte Machtausübung“
Zusätzlich wurde für 27 Juden und eine Jüdin „ Schutzhaft “ angeordnet – nicht die Täter wurden verhaftet, sondern die Bedrohten – angeblich zu ihrem eigenen Schutz. Acht wurden aufgrund schlechter Gesundheit wieder entlassen, fünf verblieben in Schutzhaft , 15 wurden als „lagerfähig“ eingestuft und von der Gestapo abgeholt. Für Weidisch war dieses Vorgehen der NSDAP eine „kalte Machtausübung“, wobei die Polizei Anweisung hatte, sich zurückzuhalten.
Die Vorgänge des Jahres 1989 leitete Peter Weidisch mit einem Rückblick auf die Entwicklungen der beiden deutschen Staaten ein, die durch Mauerbau und Eisernen Vorhang 40 Jahre getrennt waren. Perestroika und Glasnost als Zeitgeist aus Russland wurden von den DDR-Mächtigen ebenso ignoriert wie der Wunsch der DDR-Bürger nach Freiheit. Dieser äußerte sich bei den Massenprotesten durch Parolen wie „Wir sind das Volk“ und „Wir sind ein Volk“ und erhöhte den Druck auf die DDR-Regierung. Letztlich war es Günter Schabowskis Fehlinterpretation, die das Ende der DDR besiegelte – als Beleg diente ein Foto des Dokuments, das dem SED-Funktionär in seiner TV-Ansprache vorlag.
Friedliche Umwälzung
Was offiziell für den nächsten Tag vorgesehen war, wurde zu einem Massen-Phänomen in der Nacht des 9. Novembers 1989, dem die Grenzpolizei nichts entgegensetzen konnten und dessen Auswirkungen Bad Kissingen aufgrund der Nähe zu Thüringen unmittelbar spürte. Für Kulturreferent Peter Weidisch ist im Rückblick dieser 9. November 1989 ein positiver Tag, ein Tag der friedlichen Umwälzung, der auch heute noch beispielgebend für urdemokratische Prozesse sei. In der Summe jedoch sei der 9. November kein Schicksalstag, sondern „ein historischer Kulminationspunkt, ein Datum, an dem sich deutsche Tätergeschichte und Freiheitsgeschichte ablesen lässt“.
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