
Mannheim, München, Aschaffenburg – Städte, in denen in der jüngsten Vergangenheit Anschläge verübt wurden, bei denen Menschen ermordet und verletzt wurden. Die Täter sind Afghanen gewesen, was die Migrationsdebatte weiter hochkochen lässt.
Golagha Farhad Rostami (33) ist Afghane. Nach seiner Flucht aus der Heimat lebt er seit neun Jahren in Bad Kissingen, arbeitet im Burkardus-Wohnpark, löscht mit der Winkelser Feuerwehr Brände und steht auf Borussia Dortmund .

Wegen der Anschläge führt er derzeit ein Leben zwischen Vorverurteilung und Vorurteilen. Und er hat Angst: Davor, dass die Stimmung in Deutschland so umschlägt, dass seine Frau nicht zu ihm ziehen kann. Denn die lebt noch in Afghanistan. „Sie vegetiert wie in einem Gefängnis – aus Angst vor den Taliban “, sagt Golagha Farhad Rostami.
Nach Anschlägen wird er in Bad Kissingen kritisch gemustert
Wenn Golagha Farhad Rostami an manchen Tagen durch Bad Kissingen spaziert, kann er es an den Gesichtern der Menschen ablesen. Wie sie ihn mustern. Wie sie sich abwenden. Wie sie ihm plötzlich kritisch gegenübertreten. Rostami ist 33 Jahre alt, er hat schwarze Haare, einen dunkleren Teint. Dass er aus Afghanistan kommt, kann keiner auf den ersten Blick wissen. „Aber ich sehe, dass ich plötzlich eine Gefahr für sie ausstrahle.“
Er weiß es aus Erfahrung und holt sich dann die Gewissheit mit einem Blick aufs Handy. Und seine Ahnung wird beim Lesen der Nachrichten bestätigt: Wieder ist ein Landsmann Amok gelaufen oder gefahren; oder erneut hat ein Syrer zugestochen; oder ein Islamist oder psychisch Kranker hat Menschen getötet oder verletzt. „Die Taten machen mich fassungslos. Vor allem, wenn Geflüchtete sie zu verantworten haben. Sie haben Schutz in Deutschland erhalten und werden zu Mördern .“
Bleiberecht, Arbeit, Steuern – er fühlt sich deutsch
Dass der Mann, der als Hotelfachkraft im Burkardus Wohnpark arbeitet, dann unter Generalverdacht gerät, macht ihn aber auch nicht weniger fassungslos. Denn er fühlt sich – deutsch. Er darf bleiben, arbeiten, Steuern zahlen, in Winkels mit der Feuerwehr zu Einsätzen ausrücken, er darf für „seine“ Dortmunder Kicker jubeln, er darf als Service-Kraft die Gäste der Kissalis in seinem zusätzlichen Minijob bedienen.
Was er – noch – nicht darf: Das Leben in Sicherheit mit seiner Frau genießen. Denn die sitzt noch in Afghanistan. „Voll verschleiert und eingesperrt, ein Leben außerhalb des Hauses ist für Frauen verboten.“
Wenn er jetzt die Zeitungen aufschlägt, Nachrichten hört und liest, wird ihm himmelangst. „Ich habe Kopfschmerzen vor lauter Sorgen“, sagt er. Denn seit die Migrationspolitik in den Fokus aller Parteien gerückt ist, dreht sich seine Welt um „Aufnahme-Stopp“, „Charterflüge aus Afghanistan“, Flüchtlingskontingente – eine Spirale des Verrücktwerdens, solange noch keine Bewegung um die Ausreise seiner Frau Lida gekommen ist.
Freiheit sei unter den Taliban nicht möglich
2016 kam er nach Deutschland, der Zustand in seiner Heimat hat ihn auf die monatelange, harte Reise getrieben. „Ich wollte Freiheit, die unter den Taliban nicht möglich war“, sagt er.
Sein Leben in Herat, der zweitgrößten Stadt nach Kabul, war zu gefährlich geworden. Ins Detail geht er gern im Gespräch, gedruckt möchte er es nicht lesen. Er weiß von Afghanen in Deutschland, die noch gute Verbindungen in die Heimat haben. Aus Sorge um seine Familie möchte er sich mit Äußerungen zurückhalten.
Nur so viel: Das Leben, das er führen wollte, steht konträr zu dem, was die Taliban möchten. Er wollte Bildung, sie wollen Gottesfurcht. Die Drohungen wurden intensiver, er packte sein Bündel.
„Die Flucht war hart. Oft werde ich in Bad Kissingen gefragt, warum so viele Männer und so wenig Frauen aus Afghanistan flüchten.“ Die Antwort: „Die Flucht ist schlicht zu schwer für viele Frauen. Es sind unterwegs viele gestorben, auch Kinder. Du kannst nur dein Leben retten. Wir liefen Berge zu Fuß rauf und runter, es ging per Moped, per Schiff, viel zu Fuß Richtung Deutschland.“
Er erfüllt alle Kriterien für den „Chancenaufenthalt“
Über verschiedene Stationen kam er schließlich nach Bad Kissingen. Über den sogenannten Chancenaufenthalt nach Paragraf 19 d darf er in der Kurstadt bleiben. Die Voraussetzungen dafür sind:
- Er muss eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf gemacht haben,
- seit drei Jahren ununterbrochen eine qualifizierte Beschäftigung ausgeübt haben und
- genügend Geld verdienen, um sich selbst und seine Familie zu ernähren,
- eine Wohnung haben,
- gut Deutsch sprechen,
- er darf die Behörden nicht vorsätzlich getäuscht haben,
- keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen haben und
- darf er nicht wegen einer in Deutschland begangenen Straftat verurteilt worden sein.

Golagha Farhad Rostami erfüllt alle Kriterien. Im Burkardus Wohnpark ist er sehr beliebt. Sein Chef Ralf Grosch: „Er hat die Chance, hier die Ausbildung zu machen, in jeder Hinsicht genutzt. Er hat sehr schnell, sehr gut Deutsch gelernt. Dabei hat er sich wirklich unter Druck gesetzt: Er wollte die besten Noten haben – ein Auszubildender, wie man ihn sich im Betrieb wünscht.“
Sein Chef Ralf Grosch würde helfen, wenn er könnte
Daneben bewundert der 56-Jährige, der den Burkardus Wohnpark leitet, noch weitere Eigenschaften seines Angestellten: „Herr Rostami kommt mit seiner sehr freundlichen und zugewandten Art bei all unseren Bewohnern und Bewohnerinnen sehr gut an. Er gibt Menschen das Gefühl, willkommen zu sein.“ Hätte er die Möglichkeit, so Grosch, ihm bezüglich des Problems mit der Einreise seiner Frau zu helfen, „dann würde ich alles für ihn tun“. „Ich wünsche ihm so sehr, dass der Nachzug klappt. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen seine Frau leben muss.“
Golagha Farhad Rostami: „Die Wohnung in Winkels, in der ich lebe, ist groß genug für mich und meine Frau – und ein Kinderzimmer hat sie auch. Meine Kinder sollen Deutsche werden.“
Kennengelernt hat er seine Frau durch seinen besten Freund, der sich in der Heimat um seine zurückgebliebene Mutter kümmert. „Meine Mutter konnte ich im Iran treffen. Sie ist mit meinem Freund und dessen Schwester dahingereist.“ Bei dieser Zusammenkunft funkte es zwischen Lida (heute 26) und ihm. Bei einer weiteren Reise in den Iran heirateten die beiden.
Deutsche Botschaft in Kabul ist geschlossen
Normalerweise können Ausländer in seiner Situation auf dem deutschen Konsulat in Afghanistan den Antrag auf Ausreise der Frau und Familienzusammenführung stellen. Nur: Die Deutsche Botschaft Kabul, die offizielle Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan, hat den Dienstbetrieb am 15. August 2021 quittiert. An diesem Tag ist die afghanische Regierung kollabiert, die Taliban übernahmen die Macht.
Nun müssen Anträge auf Familienzusammenführungen im iranischen Teheran gestellt werden. „Wir warten seit zwei Jahren auf Antwort“. Zwei Jahre, in denen sich die beiden oftmals auch nicht sprechen können, weil das Mobilnetz in Afghanistan sehr löchrig ist.
Nicht zu verwechseln mit dem „subsidiären Schutz“
Da der 33-Jährige über den „Chancenaufenthalt“ in Deutschland leben und arbeiten darf, gelten für ihn andere Regeln als beim Familiennachzug von Flüchtlingen mit sogenanntem subsidiärem Schutz. Subsidiären Schutz erhalten Menschen, denen weder Flüchtlingsschutz noch ein Asyl gewährt werden können, denen aber im Herkunftsland „ernsthafter Schaden droht“, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge .
Für diese Familien dürfen nur maximal 1000 Visa pro Monat ausgestellt werden. Erst jüngst konnte die CDU trotz Zustimmung der AfD keine Mehrheit für einen Gesetzesentwurf zusammenbringen – er sah unter dem Namen „Zustrombegrenzungsgesetz“ vor, dass der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten komplett abgeschafft werden sollte.
Das Warten auf seine Lida kostet viel Kraft
Das Warten auf den erlösenden Bescheid kostet Golagha Farhad Rostami viel Kraft. „Ich bin in den neun Jahren hier ein Deutscher geworden. Wenn die Nationalmannschaft verliert, weine ich. Ich möchte nichts mehr, als hier mit meiner Frau leben.“ Und Kinder kriegen. „Sie sollen als Deutsche aufwachsen.“
Er will, dass auch seine Frau in Sicherheit leben kann. „Lida hat auch Abitur. Ihr wird ein Beruf verwehrt, ein Studium sowieso“, erzählt er. „Sie ist eingesperrt, darf alleine das Haus nicht verlassen. Es wäre auch viel zu gefährlich, Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung“, erzählt er.

In der Zwischenzeit geht Golagha Farhad Rostami seinem Beruf nach, den er sehr mag. „Ich genieße die Arbeit mit Menschen.“ Er lenkt sich bei seinen Kumpels in der Feuerwehr Winkels ab oder beim Sport. Und fühlt sich oft in seiner Haut nicht wohl.
„Wir brauchen wirklich Schutz vor den Taliban . Ich bitte die Deutschen, dass sie lernen zu unterscheiden. Es gibt keine bösen Nationalitäten, es sind immer Menschen, die morden. Die gibt es überall auf der Welt – und denen sollte auch kein Asyl gewährt werden, sie treten das System, das uns Schutz gewährt, mit Füßen.“