
Es muss sein. Jetzt! Hartmut Bös möchte nicht warten, bis die Bundestagswahl unmittelbar bevorsteht oder gar vorbei ist. Der 61-jährige Bad Brückenauer will ein Zeichen für Demokratie in Deutschland setzen. Die ist nicht nur seiner Meinung nach bedroht. Bös weiß das Bündnis "Bad Brückenau ist bunt" hinter sich, als dessen Mitglied er am Sonntag, 12. Januar eine Kundgebung für Demokratie , Toleranz und Vielfalt in der Gesellschaft organisiert. Aber warum die Eile?
Eine Demo unter dem Motto "Bad Brückenau ist bunt" hatte es schon mal gegeben, am 4. Februar 2024 vor dem Alten Rathaus. Zwischen 300 und 400 Menschen kamen.
Reaktion auf Correctiv-Recherchen
Kurz zuvor hatten investigative Journalisten der Correctiv-Redaktion ein geheimes Treffen von Neonazis, AfD-Politikern und Unternehmern aufgedeckt. Dabei ging es laut den Recherchen um einen "Geheimplan für Deutschland". Der enthielt neben Umsturztendenzen die Idee einer Vertreibung jeglicher Menschen mit Migrationshintergrund. Die Demo in Bad Brückenau konnte als Reaktion auf und Protest gegen diese Entwicklungen verstanden werden.
Die Lage hat sich seit damals nicht wesentlich verändert, finden Bös und sein "Co-Versammlungsleiter", der ehemalige evangelische Stadtpfarrer Gerd Kirchner. Nur haben die (meist verbalen) Angriffe auf die Demokratie als Gesellschaftsform nach Ansicht beider zugenommen, sind die Grenzen dessen, was gesagt und gefordert wird, weiter in Richtung Radikalität aufgeweicht worden.
Mehr Stimmen für AfD-Kandidaten als für Sandro Kirchner (CSU)
Zudem steht nach dem Aus der Ampel-Regierung am 23. Februar die richtungsweisende Bundestagswahl an. "Ich habe die Befürchtung, dass sich die wahrgenommene undemokratische Stimmung auch in den Wahlen niederschlagen wird", sagt Bös mit Blick auf eine Partei, deren Namen er nicht in den Mund nehmen will.
Als Leiter des Wahllokals "Stadtwerke" hatte der ehemalige CSU- und Grünen-Stadtrat bei der Landtagswahl 2023 schockiert feststellen müssen, dass der AfD-Kandidat in diesem Wahlbezirk sogar mehr Stimmen auf sich vereinte als der Christsoziale Sandro Kirchner. "Das hat sehr geschmerzt."
Bös: Demo soll "Für-Veranstaltung" werden
Die Demo vor einem knappen Jahr hatte das Volkersberg-Team um Rektor Klaus Hofmann organisiert. Da dies nicht dessen originäre Aufgabe darstellt, übernahm Hartmut Bös. Als "Co-Versammlungsleiter" fungiert Gerd Kirchner. Gemeinsam kleben die beiden dieser Tage im Stadtgebiet Plakate.
Die Demo am 12. Januar, das betont Bös, soll eine "Für"-Veranstaltung sein, "für Demokratie, für Toleranz, für das Miteinander". Alle Beiträge - ob Rede oder Musik - sollen dieses Motto tragen. Weder soll sich für eine Partei oder Wählervereinigung, die auf dem Boden des Grundgesetzes operiert, konkret ausgesprochen werden, noch gegen eine.
Allerdings solle die "partei- und gesinnungsübergreifende" Veranstaltung "ein Zeichen setzen, dass laute gesellschaftsfeindliche Parolen nicht Mehrheitsmeinungen sind, dass unsere Gesellschaft in einer globalisierten Welt durch unterschiedliche Lebensbiografien, Herkunft und Kulturen profitiert und dass eine Mehrheit Hass, Neid, Intoleranz und Gewalt in der Gesellschaft ablehnt", so Bös.
Programm orientiert sich an Vorgänger-Veranstaltung
Das Programm wird sich stark an der Premiere am 4. Februar 2024 anlehnen. Das heißt, neben dem Bürgermeister werden Vertreter des Arbeitskreises "Stolpersteine" sowie der evangelischen und katholischen Kirche sprechen, aber auch die in Bad Brückenau lebende Türkin Evrem-Solmaz-Decker. Auch die Schülersprecher aus dem Schulzentrum Römershag sind dabei. Die Moderation übernimmt erneut Maja Morper; musikalische Beiträge sollen für Abwechslung sorgen und zum Mitsingen bewegen. "Es soll eine positive, aber auch mahnende Veranstaltung werden", so Bös.
Genehmigt ist auch ein demonstrativer Fußmarsch, der von der Altstadt Richtung Altes Rathaus führen soll. Maximilian Kramlich, Schülersprecher am Franz-Miltenberger-Gymnasium, setzt sich sehr dafür ein.
Eventuell ein Fußmarsch
Bös ist sich nicht ganz sicher, ob man diesen Programmpunkt umsetzen soll. Zum einen braucht es dazu viele Teilnehmer, um ein sichtbar starkes Zeichen zu setzen. Zum anderen ähnelt die Route sehr derjenigen, die einige Regierungsgegner und Corona-Leugner vor Monaten zu ihren "Spaziergängen" nutzten. Vielleicht das falsche Signal? "Wir werden kurzfristig verkünden, ob der Fußmarsch stattfindet."
Sowohl Bös als auch Kirchner sind sich bewusst, dass sie bestimmte Gruppen der Stadtgesellschaft mit ihrer Demo nicht erreichen: Querdenker, Putin-Versteher, überzeugte AfD-Wähler. "Aber wir wollen den Erzählweisen, die bei ihnen verfangen, etwas entgegensetzen", sagt Gerd Kirchner. Und Bös ergänzt: "Wir wollen uns nicht wegducken, nicht alles zu negativ sehen. In Deutschland geht nicht alles den Bach runter." Die Demo solle keine Veranstaltung werden, die polarisiere; sie solle zusammenführen.
Kundgebung noch vor dem Wahlkampf
Aber muss das mitten im kalten Januar sein? Hartmut Bös hätte die Kundgebung gern schon am 6. Januar, dem Dreikönigstag, organisiert, aber: "Da war zu kurzfristig. Da sind noch zu wenige verfügbar."
Ansonsten aber wollte er "so frühzeitig wie möglich" dransein, bevor die Parteien in den Bundestagswahlkampf einsteigen. Wie gesagt: Es geht nicht für oder gegen eine Partei. Aber, so formuliert es Gerd Kirchner: "Wir wollen die Menschen nochmal im Hinblick auf die Bundestagswahl aufwecken. Jeder Einzelne muss das in die Familie und an die Stammtische tragen, was passiert, wenn wir unsere Demokratie nicht schätzen und sie ständig madig machen."
Jedes Jahr für Demokratie aufstehen
Und Bös findet, dass man eigentlich "jedes Jahr aufstehen und sagen müsste: Denkt an unsere Demokratie. Sie ist unverzichtbar."