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Bad Kissingen
"Das Wort als stärkste Waffe"
Ralf Wiegand, Leiter des Ausbildungszentrums der Bundespolizei, über Leidenschaft, Gewalt und die Macht des Wortes.
Ralf Wiegand ist Leiter des Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei in Oerlenbach. Carmen Schmitt       -  Ralf Wiegand ist Leiter des Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei in Oerlenbach. Carmen Schmitt
| Ralf Wiegand ist Leiter des Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei in Oerlenbach. Carmen Schmitt
Carmen Schmitt
 |  aktualisiert: 19.08.2022 06:50 Uhr
In welchem Fach lernt man, als Nachwuchs-Polizist in einer brenzligen Situation nicht die Nerven zu verlieren? Und wie viel hat das mit der Persönlichkeit zu tun? Darknet, Extremismus, Terrorismus: Die Ausbildung bei der Polizei hat sich gewandelt. Ralf Wiegand ist Leiter des Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei in Oerlenbach. Der 50-Jährige hat früh gemerkt, dass er einen Draht zu jungen Leuten hat. Im Interview mit dieser Redaktion erzählt er, ohne was es in dem Beruf als Polizist nicht geht.

Viele haben die Bilder vom G20-Gipfel in Hamburg noch im Kopf: Heftige Ausschreitungen bei den Demonstrationen hatten für Aufsehen gesorgt. Sie haben selbst lange im Norden Deutschlands gearbeitet. Wie haben Sie auf diese Bilder reagiert?
Ralf Wiegand: Ich war selber nicht vor Ort. Grundsätzlich ist die Polizei auf Ausschreitungen bei solchen Treffen vorbereitet. Aber die Qualität der Gewalt war eine andere als bisher. Die Vehemenz, wie vorgegangen und reagiert wurde, war ungewohnt. Vom Störerverhalten her war das neu. Das polizeiliche Gegenüber war deutlich aggressiver.

Bei dem Polizeieinsatz sind viele junge Beamte verletzt worden. Können Sie Nachwuchspolizisten in der Ausbildung auf solche Einsätze überhaupt vorbereiten?
Wir können die Beamten in den verschiedenen Taktiken schulen. Wenn die Aggression aber eine neue Dimension einnimmt, müssen wir uns grundsätzlich überlegen, wie man die Beamten davor schützen kann.

Werden Polizisten nach solchen Ereignissen anders ausgebildet?
Das ist noch zu früh, erst mal muss das Ganze ausgewertet werden: Was war taktisch gelungen, was ist verbesserungswürdig? Dann wird man sehen, wie man das in die Ausbildung einfließen lassen muss. Wenn das in der Ausbildung noch keinen Platz hat, dann im Rahmen von Fortbildung.en

Wie schnell werden die Inhalte der Ausbildung an den gesellschaftlichen Wandel angepasst - in Zeiten von Cyber-Kriminalität, Terrorismus und Extremismus?
Je nachdem, welches gesellschaftliche Phänomen wir beobachten, wird bewertet, ob es in die zentrale oder dezentrale Fortbildung oder Ausbildung muss. Über das Bundespolizeipräsidium ist geregelt, was im Ausbildungsplan steht. Wenn die Prüfungsordnung geändert werden muss, kann das erfahrungsgemäß circa ein Jahr dauern. Andere aktuelle Feststellungen fließen sofort in den Unterricht ein. Wenn beispielsweise am Flughafen entdeckt wird, dass Waffenteile in bestimmten Gefäßen transportiert werden, werden diese Erkenntnisse aus dem Einsatzbereich sofort für die jungen Leute in der Ausbildung inhaltlich integriert - ohne große Veränderung des Ausbildungsplanes oder der Prüfungsordnung.

Wie hat sich die Polizei-Ausbildung im Vergleich zu Ihrer Zeit gewandelt?
Meine Ausbildung war bei der Bundeswehr. Ich war vorher zwölf Jahre Offizier bei der Bundeswehr. Früher hatten wir eine andere Form der Polizei. Ausbildungsteile von damals sind jetzt kaum noch vorhanden. Heute liegen unsere Aufgaben näher an der Sicherheit und Ordnung der Bürger. Ein Polizist versucht, die Spannung mit der Kommunikation herauszunehmen - das Wort als stärkste Waffe. Früher haben wir uns an geschlossenen Einheiten orientiert, heute geht es mehr hin zum Einzeldienst mit einer festen Tagesaufgabe.

Immer mehr Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt. Viele Firmen buhlen um die Bewerber. Was steckt die Bundespolizei ins Marketing, um junge Leute in den Beruf zu locken?
Wir haben noch keine Probleme. Auch mit der Erhöhung der Einstellungszahlen ist das noch machbar. Weil sich die Situation demografisch insgesamt verändert, müssen wir aber etwas tun, auch weil in den Polizeien der Länder erhöhter Nachwuchsbedarf besteht. Zur Zeit gibt es aber immer noch genügend Interessenten für eine Ausbildung bei der Bundespolizei. Ob das dann diejenigen sind, die auch für uns geeignet sind, ist eine ganz andere Frage.

Wie verändert sich das Niveau der Eignungstests?
Wir haben das Niveau nicht gesenkt. In den Grundzielen ist das Auswahlverfahren gleich geblieben. Aber die Vergleichbarkeit von Schulnoten über alle Bundesländer hinweg ist für unsere bundesweit einheitliche Prüfung nicht gleichzusetzen. Wir passen uns im Sinne der Chancengleichheit an. In der Ausbildung muss das gegebenenfalls über erhöhten Aufwand kompensieren werden, damit unser Ausbildungsziel am Ende trotzdem erreicht werden kann.

Wann kommt der kritische Punkt? Wann brechen die meisten die Ausbildung ab?
Dieser kritische Punkt hat sich in den letzten Jahren verändert. Früher war es die Zwischenprüfung nach einem Jahr theoretischer Ausbildung. Die fordert die Jugendlichen, gleichzeitig sind sie aber auch froh, dass sie danach in die Praxis können. Vielen fällt es schwer, nach dem praktischen Jahr wieder die Schulbank zu drücken und sich zurück in der Schule auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten. Sowohl im ersten Jahr gibt es Kündigungen von denen, die nicht die Geduld haben, auf das zweite Jahr zu warten, da es für diese zu theoretisch ist. Genauso gibt es die, die im zweiten Jahr abspringen, weil sie im Einsatz etwas erleben, das sie sich so nicht vorgestellt hatten. Für manche sind 300, 400 Kilometer weg von zu Hause, dazu Wochenendeinsätze eine zuvor nicht erlebte zusätzliche Belastung und für den einen oder anderen jungen Menschen auch ein Kündigungsgrund. Bisher handelt es sich aber insgesamt bei diesen Kündigungen um Einzelfälle.

In einem Abschnitt steht das Kapitel "Techniken zur Stressbewältigung" auf dem Stundenplan. Merkt man dann besonders, wer sich wirklich für den Job eignet?
Man muss schon eine gewisse Resilienzfähigkeit mitbringen. Durchhalten können, sich selbst überwinden können, das gehört bei der Ausbildung dazu. Das ist nicht nur bei der Polizei so. Aber hier habe ich zum einen die praktischen Dinge, die mich körperlich stark belasten - oder auch verletzen können - und auf der anderen Seite kognitive Dinge, die mich stark fordern wie Prüfungsstress oder Einsatzstress. Und in beiden muss ich mich behaupten können. Ziel ist es, einen persönlichen Mittelweg zu finden.

Kann man innere Ruhe lernen?
Durch Verhaltenstraining, Üben, Gewohnheit und Erfahrung kann man Einsatzstress abbauen. Eine gewisse Persönlichkeitsreife gehört dazu - ohne das geht es nicht. Die Ausbildung ist so angelegt, dass die Zwischenprüfung eine Prognose geben soll, ob man sich im Sinne der Ausbildungsziele entwickeln wird. Die Anwärter reifen persönlich vom ersten Tag bis zur Abschlussprüfung. Der eine ein bisschen schneller, der andere ein bisschen langsamer. Wir legen hier den Grundstein, fachlich und was die Persönlichkeitsentwicklung angeht. Davon profitieren Anwärter, Dienststellen und letztendlich die Bürger.

Wer schafft den Eignungstest bei der Polizei? Was braucht jemand, um ein guter Polizist werden zu können?
Es geht um mehrere Kompetenzen: persönliche, soziale und fachliche. An letzterer wird während der Ausbildung im Schwerpunkt gearbeitet. Persönliche und soziale Kompetenzen müssen wir grundsätzlich voraussetzen und im Rahmen der Ausbildung begleiten und gegebenenfalls ausbauen. Wenn die nicht da sind, bin ich mir nicht sicher, ob man die so einfach erwirbt. Als Polizist braucht man eine Berufung, damit man die Arbeit ein Leben lang ausüben kann. Heute hält sehr viel Job-Denken Einzug. Wenn man es als Lehrer schafft, eine Beziehung zum Anwärter herzustellen und Werte vorlebt, kann man sie begeistern. Das klappt nicht bei jedem, aber wir müssen es versuchen. Wenn ich nach 30 Jahren Dienst in Uniform meine Leidenschaft immer noch offen bekunden kann, sollte das auch ein gutes Zeichen für einen jungen Menschen sein. Man kann sich in diesem Beruf nicht täglich zur Arbeit schleppen.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie junge Menschen erreichen und die etwas von Ihnen lernen können?
Ich war Leichtathletik-Jugendtrainer. Da habe ich gemerkt, dass es meine Stärke ist, Dinge weiterzugeben und junge Menschen zu begeistern. Auch wenn ich heute als Leiter nicht direkt vor den Schülern stehe, habe ich den indirekten Kontakt über die Ausbilder mit ihrem pädagogischen Auftrag.

Sie sind seit eineinhalb Jahren in der Rhön stationiert - was macht die Region für einen Eindruck auf einen Nordrhein-Westfalen?
Ich pendle jedes Wochenende 1100 Kilometer und ich freue mich jedes Mal, wenn ich wieder hier her fahre. Ich mag den Menschentypen. Ich habe die Unterfranken bisher als sehr emotionale Menschen kennengelernt. Damit komme ich gut klar. Ich mag es lieber, wenn mir jemand offen sagt, was er denkt - ruhig mal impulsiv und direkt. Danach kann man sich wieder ins Auge blicken, so als ob nichts gewesen wäre. Ein Lehrberuf und auch der Polizeiberuf ist etwas, das ich nur mit einer gewissen Leidenschaft ausüben kann. Und Temperament gehört zur Leidenschaft dazu.

Das Interview führte
Carmen Schmitt.
 
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