1990 ist der damals 21-jährige Alban Gerhardt erstmals beim Kissinger Sommer aufgetreten. Das war im Grünen Saal mit der Pianistin Angela Gassenhuber - ein erstaunlich junger, ein bisschen redseliger Cellist , der, als er dann doch loslegte mit seinem Zugriff und seiner Intensität überraschte. 32 Jahre später hat er knapp 80 Cellokonzerte, einige davon für ihn komponiert, und Tausende Kilometer Notenlinien Kammermusik im Kopf und in den Fingern. Er ist einer der profiliertesten Cellisten weltweit, der mit fast allen großen Orchestern gespielt hat, der sich jeden seiner Termine aussuchen kann.
Was musste gegeben sein, was musste passieren, dass es so weit kommen konnte?
Alban Gerhardt: Was musste gegeben sein? Ja schon eine gewisse Besessenheit für die Musik. Und wenn Sie die Redseligkeit erwähnen: Eine musikalische Redseligkeit ist natürlich nicht von Schaden, wenn man gerne etwas erzählt, besser mit den Noten als mit den Worten. Aber je älter ich werde, desto weniger rede ich auf der Bühne. Ich weiß, die Leute mögen das eigentlich, aber ich rede dann lieber mit dem Cello. Und ich glaube tatsächlich: Das Wichtigste ist, besessen zu sein von der Musik. Wenn sie einen irgendwann langweilt, dann hört man das, und dann geht es auch nicht weiter.
Was macht man dann, wenn man das auch selber hört?
Die meisten Leute nehmen sich irgendwann einen Job, wenn sie genug gespielt haben. Durch Corona habe ich angefangen, ein bisschen online zu unterrichten, aber ich bedaure überhaupt nicht, dass ich in meinem Leben eigentlich den anderen Weg gewählt habe ohne Job. Ich wollte mir kein Netz aufspannen, in das man hineinfallen kann, also kein Sicherheitsnetz. Für viele ist eine Professur ein Sicherheitsnetz, das einen auffängt, wenn es nicht mehr läuft. Davon habe ich mich bewusst ferngehalten. Eine Professur sollte man nur übernehmen, wenn man den jungen Menschen helfen will, aber nicht als Sicherheitsnetz, und weil es eine Rente gibt. Mein Lehrer Boris Pergamenschikow hat das "Arschhängen" genannt: Ich hatte Angst, wenn ich mich auf eine Orchesterstelle oder Professur bewerbe, das ich dann "arschhängend" werde.
Was ist denn die Alternative zu einer Professur oder Orchesterstelle ? Was kann man tun?
Es ist wichtig, sich zu zwingen, immer an sich weiterzuarbeiten. Ich habe nie aufgehört, an mir selbst zu feilen, weil ich nie 100-prozentig sicher war. Ich hatte nie ein sicheres Plattenlabel im Hintergrund, ich hatte immer kleinere Agenturen, ich hatte nie einen Geldgeber, der mich gefördert hat. Ich habe immer meinen eigenen Kopf gehabt und bin ein schlechter Schleimer. Wenn ich es versucht habe, hat es nie geklappt. Ich sage meistens, was ich denke. Wichtig ist, sich die Not zu behalten, weiter kämpfen zu müssen.
Das ist jetzt aber nur ein Aspekt, der auch auf andere zutreffen kann, auch auf Dilettanten.
Ja. Das hat auch viel mit Glück zu tun, Ich bin im richtigen Elternhaus groß geworden, ich habe wenig Lob erfahren von meinen Eltern, ich fand mich immer ein bisschen schlechter, als ich war. Ich war 1990 überrascht, als ich beim Deutschen Musikwettbewerb in Bonn gewonnen hatte. Ich hatte keine Ahnung warum. Ich wollte den Wettbewerb nur machen, um mich auf Probespiele vorzubereiten. Dass ich plötzlich im nationalen Bereich gut abschnitt, dessen war ich mir nicht bewusst.
Dafür musste es doch bestimmte Voraussetzungen geben?
Irgendwo waren es auch die Gene. Meine Mutter als Instinktmusikerin und mein Vater als so ein Kopfmensch - das war eine ganz gute Kombination: einerseits die Musik instinktiv erfassen, aber gleichzeitig über einen intellektuellen Zugang. Ich hatte auch tolle Lehrer - von 12 bis 18 hatte ich einen großartigen Lehrer, der es sich nicht entgehen ließ, den eifrigen und musikalisch relativ begabten Typ noch mal auf Null zu setzen. Damals hatte ich schon die Arpeggione-Sonate gespielt, und dann musste ich plötzlich leere Saiten spielen und Fingerübungen machen. Dass ich jetzt 32 Jahre glücklich und erfolgreich überleben konnte, hängt auch damit zusammen, dass ich mir nicht zu schade war, diese Fundamentalübungen, die mir mein Lehrer gegeben hat, bis heute zu machen.
Ja, das ist aber auch völlig richtig. Was hat denn das Interesse der Veranstalter an Ihnen geweckt?
Das war vielleicht der Jugendwahn. Als ich mit 21 aufgetaucht bin, haben die älteren Cellisten wohl alle gesagt: Was will denn der Jungspund. Der hat doch überhaupt keine Lebenserfahrung. Aber natürlich ist auch immer das Neue spannend. Ich war halt das Neue und war spannend und durfte dann viel zu viel überall spielen. Ich weiß nicht, ob jetzt mehr Jugendwahn als sonst ist. Was ich sehe, ist, dass es jetzt weniger alte Musiker gibt als früher. Als ich klein war, habe ich noch Tortellier gehört; der war damals 75, Serkin war 80. Claudio Arau, Emil Gilels , das waren alles Leute um die 70 bis 80. Und so etwas hat man jetzt selten. Ich finde es spannend, was ein Junger zu sagen hat. Ich finde es aber auch spannend, was ein Alter zu sagen hat.
Wie war das am Anfang bei Ihnen?
Ich war neu und habe anscheinend gut genug gespielt. Aber als ich nicht mehr neu war, ging es nicht mehr von selbst. Ich musste mich bemühen und ich musste weiterarbeiten, es gab Ups & Downs. Ich habe das Management gewechselt, weil ich gemerkt habe: Die kleinen konnten dann doch nicht mehr. Ich war dann irgendwann altes Eisen. Ende 30 habe ich plötzlich gemerkt: Oh, verdammt!
Da war dann der Sensationseffekt weg.
Die Agenturen sagten mir alle: Es gibt keinen, der dich schlecht findet, aber jetzt wollen wir doch mal die Neuen probieren. Das war dann eine entscheidende Phase, in der viele Leute aufgeben und sich auf ihre Professur zurückfallen lassen. Die hatte ich nicht, und ich bin froh, dass ich das durchgestanden habe, weil ich weiß, dass ich jetzt besser spiele als vor 20 oder 30 Jahren. Ich habe nicht nur ein viel größeres Repertoire, sondern mehr Erfahrung und muss es auch niemandem mehr etwas beweisen. Ich habe eine größere Ruhe.
Gab es mal einen Punkt, an dem Sie hinschmeißen und etwas ganz anderes machen wollten?
Das kommt regelmäßig, wenn ich nicht aufpasse und nicht genug schlafe. Dann komme ich in so eine depressive Haltung und finde alles doof und würde am liebsten etwas ganz anderes machen. Wenn ich wieder ausgeruht bin, macht es mir wieder Spaß. Die Ruhephasen werden für mich jetzt wichtiger als früher. Da fasse ich das Cello dann auch nicht an.
Wieviel Schlaf braucht denn ein Cellist auf 100 Kilometer?
Optimal wären für mich acht Stunden.
Da habe ich großes Verständnis.
Ich kann dann zwar noch funktionieren, aber ich verliere meine Lebenslust.
Worauf legt der Cellist Alban Gerhardt besonderen Wert, wenn er spielt?
Dass man auf jeden Fall vergisst, dass es ein Cello ist. Ich liebe das Instrument nicht. Ich liebe Musik sehr und ich liebe am meisten die menschliche Stimme. Kein Instrumentalist kommt jemals emotional und expressiv an die menschliche Stimme heran. Worauf es mir ankommt, ist, die Musik so spontan und authentisch zu gestalten, wie es eben möglich ist. Also ich möchte so gut vorbereitet sein, dass ich dann auf der Bühne mit der Musik so umgehen kann, als ob ich sie eben gerade frei erfinde. Ich habe kürzlich in Prag eine Bach-Suite gespielt, und da hat es, glaube ich, wirklich gut geklappt. In dem Moment sehr viele Dinge gestalten können, wie Harnoncourt sagt: "Musik fängt da an, wo die Sprache aufhört." Wir wollen Geschichten erzählen, wir wollen ein Publikum gefangen hallten und das Instrumentale völlig in Vergessenheit geraten lassen.
Lässt sich kurz sagen, ob sich in den letzten Jahren der Konzertbetrieb verändert hat?
Da stecke ich nicht so tief drin. Meine Agentur ruft mich alle zwei Wochen an. Ich betreibe überhaupt kein Networking, ich übe und lese. Das ist mir viel wichtiger als in diesem Betrieb drin zu sein. Wenn ich keine Agentur hätte, hätte ich keine Karriere. Als Außenstehender würde ich sagen: Seit den 90-er Jahren werden mehr und mehr die Mechanismen der Popindustrie von den Labels angewandt. Als ich 18 war, haben die Leute Exklusivverträge bekommen, die als die besten Musiker galten. Heute bekommen diejenigen Exklusivverträge, die sich am besten vermarkten lassen. Das Hauptaugenmerk liegt nicht mehr so sehr auf der musikalischen Aussage, sondern auf der Vermarktungsfähigkeit. Dass trotzdem auch großartige Leute Exklusivverträge haben, das ist dann Glück. Aber es gibt eben auch Leute, die da musikalisch nichts verloren haben.
Kommen wir mal zu Bad Kissingen . Wissen Sie, wie oft sie seit ihrem Debüt hier waren?
Also wenn ich die Kammermusik mitzähle, wahrscheinlich zwölfmal, mindestens zehnmal. Ich wäre natürlich auch gerne öfter gekommen. Aber ich bin halt kein Netzwerker. Kari Kahl-Wolfsjäger , die mich sehr mochte, habe ich nie angerufen und versucht, mich bei ihr in Erinnerung zu bringen. Viele meiner Kollegen verbrauchen viel Zeit, um sich in Erinnerung zu rufen. Manchmal können sie so Karriere machen. Aber das lag mir nie so, und deshalb habe ich auch nirgendwo besonders oft gespielt.
Wir habe jetzt die dritte Intendanz beim Kissinger Sommer . Wie sehen Sie die Entwicklung?
Ich habe sie leider nicht verfolgt. Ich weiß nur, der Alexander Steinbeis ist ein Mann, dem es nur um die Musik geht. Ich habe ihn beim Boston Symphony Orchestra kennen gelernt, und diese Sozialisierung in Amerika ist überhaupt nicht schlecht, weil dort ein Artistic Director kein Sonnengott ist, sondern mit Bescheidenheit an die Sache rangehen muss. Er muss das Publikum und die Sponsoren bei Laune halten und die Künstler und Orchester. Die sehen ihre Aufgabe viel mehr im Servicebereich. Und bei Alexander Steinbeis weiß ich: Er kennt sich sehr gut aus in der Musik, aber er dient der Sache.
Das Programm für Ihr Konzert in Bad Brückenau ist mit seiner "Tschechenlastigkeit" sehr am Thema des Festivals orientiert, Wer hat das Programm eigentlich gemacht?
Das waren der Markus Becker und ich. Ich weiß, dass das Publikum in Bad Kissingen eher ein bisschen konservativ ist, und Dvořák ist einer meiner Lieblingskomponisten. Wir hatten die Qual der Wahl, was wir weglassen. Der Janáček ist eines der besten Stücke für Cello und Klavier, sehr eigen und anders als alles andere, was ich jemals gespielt habe. Das Stück ist echt schwer. Und Schuberts Arpeggione-Sonate ist ohnehin mein Allzeit-Favorit. Ich habe größten Respekt vor ihr. Ich habe sie, glaube ich, noch nie so gespielt, dass ich ganz glücklich damit war.
Wir werden sehen - oder hören! Mit Markus Becker haben sie vor einigen Jahren im Kloster Maria Bildhausen alle Beethoven-Sonaten gespielt. Sie spielen öfter mit ihm. Was macht er richtig?
Er ist kein Pianist, sondern ein Musiker. Das ist das, was der richtig macht. Er spielt das Klavier sehr, sehr gut, aber in meinen Augen ist er an erster Stelle Musiker, der improvisieren kann, der über Musik wundervoll sprechen kann. Wenn er dabei ist, sage ich meistens lieber nichts, weil das so klug ist, was er zu sagen hat, Und es geht ihm überhaupt nicht um sich. Vielleicht ist er deshalb nicht so bekannt. Es geht ihm nur um die Musik, und er versteht sie so uneitel, wie es nur geht.
Sind Sie sich immer einig, oder streiten sie - auch in den Aufführungen?
Eigentlich sind wir sehr auf einer Wellenlänge. Musik ist viel zu schön, um sich darüber zu streiten.
Ich habe noch eine Frage zum Text Ihrer Agentur über Sie: "Seine Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn auf den Hauptstrecken in Deutschland beweist sein Engagement, traditionelle Erwartungen an klassische Musik aufzubrechen. Wie stelle ich mir das vor: Live-Auftritte auf den Hauptverkehrsstrecken? Sitzt da der Alban Gerhart im Gleisbett und wartet, dass der Zug kommt, oder im Speisewagen, oder wie geht das?
Das habe ich vor neun Jahren gemacht. Das war ein einmaliges Projekt. Ich mache sehr gerne Outreach, und das ist mir wichtig. Aber das war eine einmalige Sache, wo ich an neun Bahnhöfen alle Bach-Suiten gespielt habe. Ich habe sehr viel dabei gelernt.
Aber nicht im Zug?
Nein, in den Bahnhofsgebäuden.
Also im Wartesaal?
Nein, schon am Gleis, da wo viele Leute waren. Ich hatte einen tragbaren Lautsprecher mitgebracht, weil ich ja gegen den Bahnhofslärm ankämpfen musste und damit ich nicht nur Fortissimo spielen musste. Was ich da gelernt habe, war, den Bach noch lebendiger zu spielen. Da musste ich schon aus meinem Elfenbeinturm raus.
Das müssen Sie doch auch im Konzert!
Ja, aber hier muss man viel mehr reagieren und auch übertreiben, aber im positiven Sinne, und ich musste auch viel mehr auf die Klanglichkeit achten. Ich musste einen Kern in die Musik bringen, der da wohl auch hingehört. Bei Bach war ja auch viel Kraft und Spielfreude und Leidenschaft. Und auch die Sprache habe ich da noch mehr entwickelt als im Konzertsaal. Eine Frau sagte im Berliner Hauptbahnhof, dass das die stärkste Hörerfahrung ihres Lebens gewesen sei, nicht weil ich so toll war, sondern weil sie viel mehr von sich selbst einbringen musste, viele mehr Konzentration, um mir zuzuhören, weil so viel Ablenkung war. Dadurch habe sie das viel mehr genossen.
Und war am Ende der Hut voll?
Mit was?
Mit Geld.
Irgendjemand hat mal einen Euro in den Cellokasten gesteckt. Ich habe, da war ich 15, einmal mit einem Freund in Erlangen Straßenmusik gemacht. Da haben wir 100 Mark verdient. Das war richtig viel, das wären heute 300 Euro Aber das war das einzige Mal, wo ich mit Straßenmusik Geld verdient habe. So nervös wie damals war ich nie mehr.
Das Gespräch führte Thomas AhnertKarten für das Jubiläumskonzert am Sonntag, 10. Juli um 15 Uhr im Kkursaalgebäude Bad kissingen online unter kissingersommer.de , per Tel.: 0971/ 8048-444 oder per E-Mail: kissingen-ticket@badkissingen.de