Ein Dorf, vier Viertel und eine närrische Damengesellschaft, die einen uralten Brauch am Leben erhält. Das Vierteltrinken ist ein Event, das ausschließlich von und für verheiratete Sulzthalerinnen veranstaltet wird. Der Überlieferung zufolge geht es auf das 13. Jahrhundert zurück. Damals schenkte die Tochter des Grafen von Trimberg den Sulzthaler Frauen einen Tag zum Feiern – und das zelebrieren sie bis heute.
Lange Vorbereitungen
Bereits Monate im Voraus beginnen die Dorfviertel „Obertor“, „Schlange“, „Bug“ und „Hohe Straße“ mit den Vorbereitungen. Die Obrigkeiten der inoffiziellen Ortsteile (jedes hat eine 1. und 2. Bürgermeisterin sowie eine Polizeidienerin) analysieren, wer in der Nachbarschaft unter der Haube gelandet ist und sich damit zu den bereits aktiven Vierteltrinkerinnen gesellen dürfte. Steht das Ensemble, geht es ans Eingemachte: Sketche, Tänze, Büttenreden – alles wird in aller Heimlichkeit erdacht und geprobt. Nicht nur die Öffentlichkeit, auch die anderen Viertel dürfen keinerlei Verdacht schöpfen, was die einzelnen Gruppen für ihren Auftritt am Rosenmontag planen.
Am Rosenmontag war es nun soweit: Das Viertel „Obertor“ lud endlich wieder zum Fest ein. Durch Pandemie und Lockdown bedingt lag das letzte Vierteltrinken nämlich nicht die üblichen zwei, sondern bereits vier Jahre zurück. Entsprechend groß war die Freude der rund 170 Frauen, die Zutritt zur Veranstaltung erhielten – und die der Gastgeberinnen.
Männer nur in Verkleidung
In ihrer Eröffnungsrede freuten sich die 1. Bürgermeisterin Sonja Herterich und Polizeidienerin Verena Schindler ihr Publikum in der Mehrzweckhalle begrüßen zu dürfen. Leider mussten sie krankheitsbedingt ohne ihre 2. Bürgermeisterin Liane Glaser auskommen. Umso mehr würdigten sie die Unterstützung ihrer Helferinnen und Helfer für den Abend: Allen voran die der „vier heißen Männerbräute“. Traditionell sind es nämlich die Ehegatten der Obrigkeiten, die sich bei der Bewirtung einbringen und das stilecht in Perücke und femininer Garderobe. Kein Mann, der nicht zum Arbeiten da ist, darf auch nur einen Fuß in die Halle setzen, wenn die Vierteltrinkerinnen feiern.
Nach den Gastgeberinnen betraten die Anführerinnen des Schlange-Viertels die Bühne. 1. Bürgermeisterin Christina Eichmann verkündete in ihrer Bütt „Der Wein darf heut in Strömen fließen!“ bevor sie sich ernsteren Themen zuwandte. Über die Windkraftanlage, die auf Sulzthaler Grund erbaut worden war, äußerte sie sich ebenso wie über den Bürgerentscheid rund um eine große Photovoltaikanlage und die Verzögerungen bei der Erneuerung des Kinderhauses.
Geometrisches Ballett
Kurz darauf stürmte eine Horde tanzender Rechtecke die Bühne. Die Akteurinnen der „Schlange“ begeisterten als geometrisches Ballett. Sandra Tremer, 1. Bürgermeisterin des Viertels „Bug“, freute sich in ihrer Bütt über den Zuwachs an Akteurinnen, den ihr Viertel durch das Sulzthaler Neubaugebiet erhielt. Ohne das „Einnehmen der Sonnenleite“ am Ortsrand, stünde es um das im alten Kern gelegene „Bug“ nämlich schlecht. Und als ob das nicht genug wäre, fehlt im Herzen des Dorfes seit geraumer Zeit auch eine Institution: Der „Donel“, der nicht nur Bäckerei, sondern auch Treffpunkt war.
Mit seinem Showtanz lieferte die Gruppe dann aber gleich einen Vorschlag, wie man Jung und Alt wieder zusammenbringen könnte: Als „Sulzler Hupfdollen“ tanzten ein paar erstaunlich fitte Seniorinnen über die Bühne. Bei Hits wie „Thriller“ und „Stayin„ Alive“ wurden die Hüften geschwungen und das Publikum hat Tränen gelacht.
Heiraten, um dabei zu sein?
Bei so viel Spaß wundert es nicht, dass es Frauen gibt, die extra heiraten , nur um beim Vierteltrinken dabei zu sein. Das vermutete zumindest Ruth Geißler, 1. Bürgermeisterin der „Hohen Straße“, in ihrer Bütt. Dass es aber manchmal auch gar nicht so leicht ist, Vierteltrinkerin zu sein, bewies ihre nächste Anekdote. Zeitweise hätte man sich wie die Klimaaktivisten vor der Mehrzweckhalle festkleben wollen, um den tatsächlichen Bürgermeister daran zu hindern mit einer Gemeinderatssitzung in die eigentlich abgesprochenen Proben der Närrinnen zu grätschen. Trotz der erschwerten Bedingungen gelang aber auch der Auftritt der „Hohen Straße“. Darin fanden Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer statt zu ihrer Insel in ein Tal zwischen zwei Bergen. Über den Sulzbach folgten ihnen die vielleicht doch nicht ganz so furchteinflößenden Piraten der Wilden Dreizehn.
Der letzte Auftritt des Abends war der des Obertors. Das Gastgeber-Viertel lieferte einen Rückblick über die nun zehn- statt achtjährige Amtszeit ihrer Obrigkeit. Verkleidet als Elsbeth und Albrecht Schmitt vom örtlichen Gasthof bewirteten sie die schillernden Disco-Queens ihres Auftritts von 2016.
Hüte weitergegeben
Die „Vielharmonie Obertor“, die eigens für eine Showeinlage 2018 gegründet worden war, trat ebenso auf wie die täuschend realistischen Doubles der Hitband ABBA von 2020. Im Anschluss gaben Bürgermeisterin und Polizeidienerin – wie es Brauch ist – die Hüte weiter.
Die neuen Chefinnen im Obertor-Viertel sind: Victoria Käß (1. Bürgermeisterin ), Martina Heinlein (2. Bürgermeisterin ) und Lidija Macek-Sollfrank (Polizeidienerin).