Not herrscht im Jahr 1919. Es ist die Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Viele Menschen versuchten Arbeit zu finden. Die gibt es auf der Kanalbaustelle im oberbayerischen Jettenbach. Dort entsteht ein 20 Kilometer langer Kanal, um einen Teil des Innwassers nach Töging im Landkreis Altötting zu führen, wo das Wasser über Fallrohre zur Stromerzeugung für ein großes Aluminiumwerk genutzt werden soll. Bis zu 7000 Männer sind auf Europas größter Baustelle im Einsatz. Die meisten Arbeitskräfte kommen aus Ober- und Niederbayern, jedoch auch aus weit entfernteren Orten - wie Aura.
Von Stadtarchivar Konrad Kern organisiert, ist die Ausstellung "Ein Kanal entsteht - der Innwerkkanal und seine Auswirkungen" vom 19. Mai bis 30. Juni im "Haus der Kultur" in Waldkraiburg zu sehen. Kern, ein gründlicher Rechercheur, möchte im Rahmen der Präsentation an die Toten auf der Baustelle erinnern. Dafür sucht er Sterbebilder und Berichte. Während der Bauarbeiten starben elf Männer, unter ihnen auch Franz Schmitt aus Aura, dem am nördlichsten gelegenen Ort, der Arbeitskräfte stellte.
An dieser Stelle beginnt die Arbeit von Hobbyforscherin Renate Graser. Wer die "Spurensucherin" kennt, weiß, dass sie von Heimatgeschichte nicht abzubringen ist. Nach Herumfragen und Telefonaten findet Graser heraus, dass noch drei weitere junge Auraer beim Inn-Kanalbau ihr Brot verdienten. Es waren Valentin Vogel, Fritz Hirsch und Josef Frank , wie Franz Schmitt alle um 1902 geboren.
Im Zinksarg zurück in die Heimat
Schmitt arbeitete als Bremser einer Dampflokomotive im Bereich der Gemeinde Pürten, wo er am 10. Oktober 1921 bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam. Der gerade mal 19-jährige stammte nach Grasers Recherche aus dem damaligen "Hack-Haus" in der Oberen Gasse in Aura, das einst der Großvater des heutigen Bürgermeisters, Thomas Hack bewohnte.
Informationen der Heimatforscherin zufolge kam der Verunglückte in einem Zinksarg mit der Bahn nach Euerdorf und wurde nach Aura überführt, wo der Verstorbene seine letzte Ruhestätte fand. Die drei anderen Männer aus dem Ort kamen vermutlich wohlbehalten zurück.
Der Freistaat Bayern und das Deutsche Reich ließen, vor allem aus sozialpolitischen Gründen, das für damalige Verhältnisse spektakuläre Projekt im Jahr 1923 vollenden - die privaten Investoren waren wegen der schwierigen Wirtschaftslage ausgestiegen. Die Arbeiter bewegten rund 14 Millionen Kubikmeter Erde und verbauten etwa 360 000 Kubikmeter Beton.
Der knapp 23 Kilometer lange Inn-Kanal zur Speisung des Wasserkraftwerks Töging existiert noch heute. Bis zur Ausleitung in den Fluss südöstlich von Töging, misst die Kanalstrecke sogar 31,5 Kilometer. Die Ausleitung von 340 Kubikmeter Triebwasser pro Sekunde ist bis Juni 2026 genehmigt.
Der Kanal wurde 1946, 1986 und 2003 saniert. Bei der letzten Sanierung kam ein speziell entwickelter Betonfertiger zum Einsatz, der auch die 19, den Wasserarm überspannenden Brücken, in die Erneuerung einbezog. Allein bei der Reinigung des unmittelbaren Kraftwerksbereichs wurden 45 000 Kubikmeter Schlamm beseitigt. Zudem fanden sich 28 Auto- und zehn Motorradwracks auf dem Kanalgrund.
Nicht nur technisch Interessierten oder Nachfahren kann eine Fahrt nach Waldkraiburg und ein Besuch der Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen des Kanals interessante Eindrücke verschaffen. Waldkraiburg, wo Peter Maffay groß geworden ist, hat noch mehr zu bieten: zum Beispiele ein Feuerwehrmuseum und eine Kulturszene.
Wer etwas über die Geschichte der Auraer Kanal-Arbeiter weiß oder sich dafür interessiert, kann sich an Renate Graser wenden. Sie ist unter Tel.: 09704/ 5183 zu erreichen.