
Die letzte Internationale Grundschul-Leseuntersuchung ( IGLU-Studie ) hat die Folgen gezeigt: jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann nicht richtig lesen. Der Vorlesemonitor 2023 der Stiftung Lesen liefert einen Grund: mehr als ein Drittel der Eltern liest ihren Kindern nur selten oder gar nicht vor.
Dabei kann Vorlesen „vererbt“ werden: Kinder, die heute Vorlesen erleben, geben diese Erfahrungen morgen selbst aktiv weiter, so die Vorlesestudie.
Lieber Handy in die Hand
Stefanie Mahlmeister kann die Ergebnisse bestätigen: „Es ist leider inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, dass Eltern ihren Kindern nicht vorlesen“, sagt die Leiterin der Stadtbücherei in Bad Kissingen, „oft wird den Kindern lieber das Handy in die Hand gedrückt“.
Mit dem Set „Lesestart 1–2–3“ für dreijährige Kinder, das kostenlos im Rahmen eines Förderprogramms durch die Bücherei verteilt wird, soll dem gegengesteuert werden. Das Lesestart-Set, bestehend aus einem altersgerechten Bilderbuch und Informationsmaterial, solle Eltern zum Vorlesen animieren und bei Kindern das Interesse für Bücher wecken, so Stefanie Mahlmeister.

„Es kommen schon viele Ein- bis Dreijährige in die Stadtbücherei . Sie interessieren sich besonders für unsere Pappbilderbücher , Kleinkinder-Spiele und Wimmelbücher. Aber auch die Hörbücher der Tonie-Figuren sind sehr beliebt“, berichtet die Büchereileiterin. Vorlesen sei wichtig, um Sprachgefühl und Textwahrnehmung zu entwickeln und um zu lernen, Informationen aus Texten zu filtern.
Soziale und psychosoziale Kompetenzen
Sprachprägung, Wissensvermittlung, Ausdauer, Geduld, Zuhören – auch Kinderärztin Gabriele Khazim aus Hammelburg nennt viele Gründe, warum ein frühzeitiges Beschäftigen mit Büchern so wichtig ist. „Aber Dreijährige sollen um Gottes Willen nicht schon lesen lernen“, betont sie.
Hingegen sei die psychosoziale Komponente des Vorlesens nicht zu unterschätzen: „Das Gefühl jemand ist bei mir, die Zuwendung, der Klang der Sprache, das kindgerechte Wissen – das alles ist unglaublich wichtig. In unserer schnelllebigen Zeit haben Kinder teilweise Wochenpläne wie Manager, da ist es nötig, Ruhephasen einzubauen, die man gemeinsam verbringt.“
Auch für Erwachsene sei es teilweise wichtig, wieder mehr zu lesen, um die Aufmerksamkeitspanne zu trainieren.
Denn kein Handy oder Fernseher kann das Vorlesen ersetzen. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen unterstützt das Projekt „Bildschirmfrei bis 3“, da Bildschirmmedienkonsum die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen kann.
„Bücher können dagegen immer wieder in die Hand genommen werden. Die Kinder haben ihre Lieblingsbücher und kennen die Geschichten oft so gut, dass sie uns beim Vorlesen korrigieren“, bemerkt Gabriele Khazim, „zudem ist das Wissen, das über ein Buch vermittelt wird, nachhaltiger als eine Sendung oder ein Video im Internet.“
Selbst Hörbücher seien besser als der Bildschirm, weil sie Konzentration und Fantasie anregen.
Kinder ausleihstärkste Gruppe
In der Bad Kissinger Stadtbücherei werden Bücher wie auch Hörbücher gerne von den Jüngsten ausgeliehen. „Kinder sind bei uns inzwischen die ausleihstärkste Gruppe – darauf sind wir stolz“, berichtet Stefanie Mahlmeister.
„Schwieriger ist die Gruppen der „new adults“, also der jungen Teenager um die 12 Jahre. Die lesen entweder sehr viel oder gar nicht.“
Vorlesen hilft immer
Wird Kindern teilweise zu früh das Lesen beigebracht? Das konnte Stefanie Mahlmeister bisher nicht beobachten. Kinderärztin Gabriele Khazim sagt: „Nein, nicht durch Vorlesen . Aber es gibt natürlich bei manchen Eltern einen verkappten Ehrgeiz.“ Doch mit Drei- oder Vierjährigen Lesen oder Schreiben zu trainieren sei nicht sinnvoll. Besser ist es, mit den Kindern über das Vorgelesene hinterher zu sprechen.
„Es ist eine Unsitte zu denken, jedes Kind müsse überall super sein“, findet Gabriele Khazim. „Jedes Kind hat Stärken und Schwächen und jedes ist verschieden. Wir Erwachsene müssen sie darin erkennen. Vorlesen , kuscheln und Nähe lieben alle Kinder.“
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