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Maßbach
Von Liebe, Lügen und Drogen
Alles andere als märchenhaft: Das Jugend-Theaterstück „#Loverboy“ hatte im TiP des Theaters Schloss Maßbach Premiere.
Anna Katharina Fleck in einer Szene des Stückes „#Loverboy”.       -  Anna Katharina Fleck in einer Szene des Stückes „#Loverboy”.
Foto: Sebastian Worch | Anna Katharina Fleck in einer Szene des Stückes „#Loverboy”.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 28.06.2024 02:48 Uhr

Der Rest war Staunen. Über das neue Jugend-Theaterstück, das jetzt im TiP (Theater im Pferdestall ) Premiere hatte, und über seine Umsetzung. „#Loverboy“ heißt der Text von Juliane Baldy, Schauspielerin und Autorin, die 1985 in Neuss geboren wurde und heute in Berlin lebt. Angesichts ihres „Alters“ ist ihre enorme Nähe zur Jugendsprache absolut erstaunlich. Aber gut, sie hat das Stück vor sechs Jahren geschrieben.

„#Loverboy“ ist ein Einpersonenstück. Aber entgegen den Erwartungen, die der Titel weckt, ist diese Person nicht ein Junge, sondern ein Mädchen: Lia. Wie alt sie ist, ist schwer zu sagen. Da kann man nur raten, und so genau muss man es auch gar nicht wissen. Sagen wir mal: Spätpubertät, die ja nicht an feste Termine gebunden ist – also nicht mehr in dem Alter, in dem sie Jungen generell und gnadenlos nur eklig findet (und natürlich umgekehrt), aber auch noch nicht in dem Alter, in dem sie sich so gefestigt hat, dass sie sich selbst auch kritisch von außen betrachten kann. Das kann man aus dem Stück heraus behaupten, denn das hat Juliane Baldy ganz geschickt gemacht. Denn Lia soll in einem Jugendzentrum über ein ganz aktuelles persönliches Problem berichten. Und dabei ist sie alleine, ganz auf sich gestellt, unterbricht sie niemand mit anderen und möglicherweise ungewollten oder unangenehmen Perspektiven: Lia pur.

Liebe auf den ersten Blick

Ihr Problem: Sie ist in das Drogenmilieu geraten auf eine Weise, wie sie gar nicht unüblich ist (was enorm für die Aktualität des Stückes spricht). Zufällig sieht sie eines schönen, sonnigen Tages im Park Jan und ist wie verzaubert: Liebe auf den ersten Blick . Auch er, obwohl er zehn Jahre älter ist (Lia: „Ich stehe auf ältere Männer“) scheint sie bemerkt zu haben. Die Annäherung ist vorsichtig, aber zielführend: Lia ist gefangen von der Behutsamkeit und Aufmerksamkeit, mit der Jan sie verwöhnt, mit Champagner und Zuwendung: „Jan ist immer so ehrlich.“.

Das Glück ist perfekt. Aber dann erklärt ihr Jan, dass er in eine schwere Schuldenkrise geraten ist. Sie könne ihm helfen, indem sie einigen seiner Gläubiger entspannende Gesellschaft leiste. Naiv wie sie ist, lässt sie sich darauf ein, auch wenn es ihr eigentlich widerstrebt. Für sie ist das keine Prostitution , sondern Hilfe für Jan. Sie weiß nicht einmal, wieviel Geld er dafür von den Freiern bekommt, denn sie macht den Job gratis, ehrenamtlich, nur für ihn. Als ihr das Ehrenamt doch über den Kopf zu wachsen droht, gibt er ihr harmlose weiße Pillen, die sie bereitwillig schluckt. Und damit hängt sie endgültig an der Drogenangel.

Die Mutter greift ein

Es ist Lias Mutter , die der kriminellen Idylle ein Ende macht, sich damit aber den tiefen Hass ihrer Tochter zuzieht: Als sie Lias Handy in die Finger bekommt und anhand der Chats mitbekommt, was zwischen den beiden abgeht, geht sie sofort zur Polizei und zeigt Jan an. Von seiner Verhaftung und dem Prozess bekommt man als Zuschauer nichts mit, weil Lia ganz offensichtlich auch nichts Konkretes mitbekommen hat. Sie weiß nur, dass böse Menschen ihn erst einmal weggesperrt haben. Ihre letzten Sätze sind nicht überraschend, aber absolut erschreckend: „Ich“, und dabei betont sie das „Ich“, „werde auf ihn warten. Die anderen haben keinen Plan von wahrer Liebe.“

Flucht nach vorne

Linus Leander Heidrich, derzeit Regieassistent bei den Maßbachern, hat das Stück zusammen mit Anna-Katharina Fleck erarbeitet und auf die Bühne gebracht. Es ist ein rasantes, durchaus fesselndes Spiel geworden, das den Zuschauer ein bisschen atemlos macht. Denn Kunstpausen für Nachdenklichkeit gibt es so gut wie gar nicht. Denn Lia neigt ja auch nicht zu Selbstreflexion. Und sie muss ja auch ihre Nervosität in der Rolle als Vortragende im Jugendzentrum unter Kontrolle halten. So tritt sie – und das ist hervorragend inszeniert – immer wieder die Flucht nach vorne an, sucht den Kontakt zu ihrem imaginären Publikum und erreicht damit das reale Publikum im TiP. Und sie ist in ihrer Wirklichkeit auch gar nicht alleine: Eine fast lebensgroße, etwas labbrige Stoffpuppe ist in ihrem Bericht ihre Bezugsperson: mal als zu knuddelnder Jan, mal als verhasste Mutter , mal als penetranter Freier. Anna-Katharina Fleck macht aus dieser Lia eine absolut authentische Person: „vollfett drin“ im Jugendjargon, hektisch aus Verlegenheit, immer wieder Bestätigung suchend, in ihren Bewegungen ebenso aufreizend wie ungelenk und immer bemüht, die Probleme kleinzulächeln.

Auch in ihrer Gestik und Mimik gestaltet sie ihre Naivität und ihr Gutmenschentum so überzeugend, dass man sie an den Schultern packen und wachrütteln möchte. Zum Glück ist der ganze Spuk nach 35 Minuten vorbei, denn sehr viel länger ist die Spannung zwischen Lia und ihrem Publikum nicht gut zu ertragen. Nicht zuletzt, weil das Stück so stark von Realität getränkt – und alles andere als märchenhaft – ist, ist „#loverboy“ ein enorm wichtiges Stück, das nicht nur junge Leute sehen sollten, sondern auch ihre Eltern. Sie müssen ja nicht gleichzeitig kommen. Aber Gesprächsstoff bekämen sie genug.

 
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