Kunst, sagt Thomas Seuberling, komme nicht vom Können. "Sondern vom Müssen". Er muss, er kann nicht anders. Was aus ihm herausdrängt: Wahrheit, die Zerstörung glänzender Oberflächen. Das hängt auch mit seiner Vergangenheit und seinem aktuellen Leben zusammen. Denn das wird durch eine grausame Krankheit reglementiert, definiert und limitiert.
Heilung ausgeschlossen
Als der 46-jährige Münnerstädter die Diagnose "Friedreichsche Ataxie" erhalten hat, war er bereits 33 Jahre alt und lief schon geraume Zeit am Stock. Gleichgewichtsstörungen zwangen ihn zum Hilfsmittel, es war einer der Chefs des gelernten Kochs, Kinderpflegers und Erziehers, der ihn zum Arzt schickte.
Nach einer Woche, in der Thomas "Fatzo" Seuberling auf den Kopf gestellt wurde, war klar: Er leidet an einer genetisch bedingten Stoffwechselstörung , die statistisch gesehen einen von 30 000 Menschen treffen kann. Heilung: ausgeschlossen. Möglichkeiten, den Fortlauf hinauszuzögern: nein. Die Krankheit anzunehmen, sagt er, seine keine Kunst. "Aber sie immer wieder aufs Neue anzunehmen, das ist die Kunst."
Was die Betroffenen unter anderem eint: Verlust der Koordination und Feinmotorikstörungen. Über kurz oder lang kommen die Betroffenen nicht mehr ohne Rollstuhl zurecht, auch das sprichwörtliche Fingerspitzengefühl geht allmählich verloren.
Die Maus als Pinsel
Schlimm für einen wie Seuberling. Denn gemalt, gezeichnet, in Linoleum geschnitzt hat er schon immer. Mit dem Fortschreiten der Krankheit war es nicht mehr möglich, Pinsel oder Messer so zu führen, wie er es sich wünscht und vorstellt. Jetzt ist die Maus am Computer sein Kunstgerät.
Seine Computerkunst setzt auf reale Fotos, dann bearbeitet der Künstler die Vorlagen: Verfremdet das Foto eines Raben, in dem er die Pixel bis fast zur Unendlichkeit vergrößert und stattet den Vogel damit mit Bedrohlichkeit aus.
Oder: Er verfremdet das Foto von gekeulten Rinder so, dass es aussieht wie freundliche Farbe im Bilderrahmen, gerade so als ob es Dekor von Ikea wäre. Jedoch: Die Rinder sind aufgestapelt zu einem Haufen, der an die Funde der Alliierten in den Konzentrationslagern erinnert - dann wirken die eckigen, farbflächigen Kadaver trotz gnädigem Farbfilter noch schrecklicher als in einer echten TV-Dokumentation von grausamen Rindertransporten.
Auf den zweiten Blick wird's schrecklicher
Das ist Seuberlings Kunst: Auf den zweiten Blick wird"s schrecklicher. "Ich entwerfe die Gegenreaktion auf eine heile Welt", sagt er. Zu oft schon habe er in seinem Leben gedacht: "Wollt ihr mich veräppeln? Hier ist nichts gut, gar nichts!" Nichts ist gut, dieses Gefühl habe er bereits als kleiner Junge gehabt - äußern durfte er das Gefühl nicht.
Die heile Familie wurde täglich im Außen gespielt, die Dramen, die Gewalt im Inneren sollte draußen niemand erfahren. Doch der Junge wusste: Nichts von der geschönten Darstellung stimmte. Wie viel Intimität soll einer preisgeben, um als Künstler verstanden zu werden?
Groteskes Glück
Durch seine Vergangenheit hat er ein genaues Gespür für Wahrhaftigkeiten. Oder dunkle Möglichkeiten, die unter blank geputzten Oberflächen liegen können. Oder die Fähigkeit, einen Riss in jede Fassade zu reißen - jetzt mit Hilfe der Computermaus. Gut zu sehen beim Bild einer schon beinah grotesk glücklichen Familie im heimischen Garten, die Mutter gertenschlankschön, stutzt blendamedlächelnd ein Zierbäumchen, der stattlichsouveräne Papa grillt Würstchen, der Sohn spielt Pfeil und Bogen, die Tochter hält einen Hot Dog.
Doch die Augen der vier sind mit schwarzen Balken abgedeckt. Wie Menschen auf Zeitungsfotos, wenn es um Familientragödien geht. Opfer und Täter werden unkenntliche gemacht und damit auch die Unterscheidung: Wer ist denn Opfer, wer ist Täter?
Wer hat das Massaker angerichtet, das sich erst auf den zweiten Blick erschließt: In Mutters linker Lende steckt ein großes Messer. Durch Vaters Brust bohrt sich ein Pfeil wie auch ins Herz des Mädchens. Nichts ist offenkundig, Seuberling entblättert die heilen Welten.
Höchst dekorative Grausamkeiten
Auch seine Körper thematisiert Thomas Seuberling. Er hat eine ganze Reihe von Medizin-Collagen angefertigt, von denen eine in der Ausstellung zu sehen ist. Blutverschmierte Doktoren versuchen mit Kettensäge, Asklepios-Schlange oder Nadeln einen toten Fisch zu heilen. Und wieder kommt das Werk blütenzart, höchst dekorativ und in wunderschönen Farben daher, der Schrecken kommt danach. "hauptsache gesund höre ich sagen / da scheinen sich alle einig zu sein / ich fühle mich sehr fremd" - dieser Vers stammt aus einem seiner Haikus, die er auch schreibt.
Keine Sorge, für Depressionen ist auf der Ausstellung keinen Platz, denn dort wird auch der wirklich tolle, poppige Humor von Seuberling präsent, da sind unter anderem seine ganz eigenen Micky Mäuse, die zeigen, wie lächerlich ein AfD-Höcke, die "Faschismouse reloaded" mit schwarzen, kreisrunden Micky-Maus-Ohren aussehen kann.
Problem: Barriere-Freiheit
Wenn seine Werke allerdings in einem der hinteren Räume des Deutschordensschlosses hängen sollten, kann der Künstler sie nicht persönlich erklären. "Ich kann vielleicht noch in den ersten Raum rollen, dann ist für mich Schluss." An dieser beschwerlichen Wahrheit, dass Münnerstadt für Rollstuhlfahrer ein Ort mit viel zu vielen Hindernissen ist, kommt er nicht vorbei. Es ist auch da leider keine heile Welt, in der er lebt. "Aber ich bin froh und dankbar, dass ich ausstellen kann."
Jan Polacek
Thomas Seuberling stellt nicht alleine aus. Sein Künstler-Kumpan ist Jan Polacek, der bekannte Bildhauer aus Oberwaldbehrungen. Der 70-Jährige und der Münnerstädter harmonieren nicht nur dieses Mal mit ihren Werken, sie hatten bereits Gemeinschaftsausstellungen. Und auch diesmal näherten sich beide dem selben Thema an, dem Co-Pop-Mix, der Mischung aus Comic und Pop.
Jan Polaceks Kunst ist geprägt von grundtiefem Können, abstraktem Denken, Witz und Ästhetik - und einem fast surrealen Materialmix. So auch in der Münnerstädter Ausstellung. Zerknüllte Mülltüten aus koloriertem Holz, ausgedrückte Zahnpastatuben aus Gips oder fantastische Blumenarrangements, die sich als Reststücke alter Gartenschläuche und Putzlappen, gepaart mit bemaltem Bauschaum entpuppen. "Ich bewege mich als Bildhauer im Grenzbereich zum Humoristischen, da sind Thomas und ich auf einer Wellenlänge", sagt er.
Billiger Beton als Delikatesse
Das könnte gerade bei den hübsch angerichteten "Tellern" der Fall sein: "Allerlei vom Wild" mit Trüffel auf Bratkartoffel-Spinat hat er die zum Beispiel genannt. Was zu sehen ist, ist Kritik am mittlerweile völlig überzogenen Kult ums Essen. Um den zu konterkarieren, goss Polacek die Speisen ins billigste Material, das ihm untergekommen ist - in Beton.
Spätestens aber bei zwei Kunstwerken wird klar, wie nah die beiden sich sind: Micky Maus spielt auch bei Jan Polacek eine Rolle. Nur: Er lässt Micky sterben ("Dead Mickey") - und Minnie geht den Gang der Gesellschaft, sie wird fett ("Fat Minnie").
Ab 12. Juni im Schloss
Die Vernissage zur Ausstellung "Copopmix", organisiert von den Museumsfreunden Münnerstadt , findet am Samstag, 12. Juni, 19 Uhr im Innenhof des Deutschordensschlosses statt. Die Ausstellung ist bis 4. Juli Freitag, Samstag, Sonntag 14 bis 17 Uhr zu sehen. Dienstags bis freitags ist das Hennebergmuseum von 10 bis 15 Uhr geöffnet, Besuchern wird auf Wunsch die Ausstellung gezeigt.