2019 hat das neu geschaffene Institut für Kurortmedizin (IKOM) in Bad Kissingen seine Arbeit aufgenommen. Das Team unter der Leitung von Professor Thomas Keil geht Fragen rund um die Kur nach, etwa ob Kuranwendungen wissenschaftlich nachweisbar helfen und bei welchen Krankheiten und wie Kurorte wie Bad Kissingen das für sich nutzen können.
Die Förderrichtlinie, mit der das IKOM finanziert wird, läuft zum Jahresende aus. Wie das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mitteilt, erarbeitet das Gesundheitsministerium aktuell die Nachfolgerrichtlinie, die ab Januar greifen soll. Auswirkungen auf Keil und seine Mitarbeiter hat das keine. „Die Struktur und Aufgaben des Instituts für Kurortmedizin am LGL sind davon unberührt“, heißt es in der Mitteilung.
Seit vier Jahren gibt es das bayernweit einzigartige Institut für Kurortmedizin in Bad Kissingen . Wurde es mit Leben gefüllt?
Thomas Keil: Von unseren acht Stellen sind sieben besetzt, alle mit sehr guten und engagierten Gesundheitswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Sie bringen unterschiedliche berufliche Erfahrungen mit, aus der Gesundheitsökonomie, Public Health, aus dem Bereich der Pflege-, Sport- und Ernährungswissenschaften, die durch mich als Mediziner ergänzt werden. Für unsere Arbeit ist diese Zusammensetzung ein Gewinn.
Womit beschäftigen Sie sich?
Das hing zuletzt auch bei uns stark vom Verlauf der Corona-Pandemie ab, da wir als Teil des LGL wie viele Kolleginnen und Kollegen bei der Pandemiebewältigung mit anpacken mussten. Seit diesem Jahr können wir uns jedoch wieder verstärkt unseren originären Aufgaben widmen.
Hierbei beschäftigen wir uns mit zwei gesellschaftlich ganz wichtigen Zielgruppen, einmal den pflegenden Angehörigen und zum anderen den Selbstständigen bzw. Mitarbeitenden in Klein- und Kleinst-Unternehmen. Langfristig möchten wir für diese in Bayern – in Kooperation mit den Kurorten – präventive und gesundheitsfördernde Programme entwickeln.
Wie wirksam ist Kur?
Das IKOM selbst bietet keine Anwendungen mit Kurmitteln an, sondern bewertet diese wissenschaftlich und initiiert neue Studien. Ihre Frage, wie wirksam medizinische Kurverfahren sind, lässt sich nicht pauschal beantworten.
In Bezug auf traditionelle Thermalwasseranwendungen und ähnliche Verfahren gibt es trotz zum Teil jahrhundertelanger Traditionen bis heute nur sehr wenig gute Untersuchungen. Einige Studien zeigten etwa für Patienten mit Arthrose, also Gelenkabnutzung, leichte Verbesserungen von Schmerzen und Lebensqualität. Jedoch sind die positiven Effekte nicht nachhaltig nachweisbar.
Insgesamt zeigen Studien bei der Bewertung auch methodische Mängel, etwa zu kleine Fallzahlen, zu viele potenzielle Störgrößen und zu kurze Nachbeobachtungszeiten. Es lassen sich aber auch gute Studien finden. An dieser Stelle ein Wort zum Klassiker Kneipp: Das IKOM hat hier eine systematische Übersichtsarbeit zu Studien der Kneipp-Wasseranwendungen erstellt.
Positive Effekte zeigten sich bei Menschen mit leicht erhöhtem Bluthochdruck und bei Frauen mit Beschwerden in den späten Wechseljahren. Eine gerade erschienene Publikation zeigte eine relevante Verbesserung von Schlafstörungen durch ein intensives dreiwöchiges Lebensstilprogramm mit allen fünf Säulen der Kneippschen Gesundheitslehre.
Welche Menschen brauchen eine Kur?
Ob Menschen von einer ambulanten Vorsorgemaßnahme profitieren oder beispielsweise eine Reha benötigen, hängt in erster Linie von der medizinischen Indikation ab. Für die Kurorte sind die sogenannten Volkskrankheiten primär relevant: psychische Krankheiten, chronische Rückenschmerzen, Burnout, Allergien, Herz-Kreislauferkrankungen, Übergewicht, Diabetes. Traditionell kommen Menschen mit Muskelskeletterkrankungen zur Symptomlinderung in Heilbäder. Kurorte können hier ansetzten, um Linderungen und positive Veränderungen herbeizuführen.
Long-/Post-Covid ist aktuell ein sehr relevantes Thema, wie Bad Aibling, wo wir eine Studie fördern. Folgen von schweren Infektionserkrankungen durch Viren wie SARS-CoV-2, aber auch Influenza und andere Viren, können mit chronischer Erschöpfung, Schwäche, Kopfschmerzen, Luftnot sowie langanhaltenden Leistungs- und Konzentrationsstörungen einhergehen. Eine zukünftig interessante Kurform könnte die sogenannte Intervallkur darstellen. Hier wäre nicht ein einziger langer, mehrwöchiger Aufenthalt, sondern eher kürzere, aber dafür häufigere Termine von bis zu einer Woche im Kurort denkbar. Diese Kurform könnte ich mir zum Beispiel für pflegende Angehörige vorstellen, die oft nicht gerne lange von zuhause abwesend sein wollen.
Wie schaut die Arbeit am IKOM konkret aus?
Zuerst haben wir uns in der wissenschaftlichen Aufbereitung der Studienlage mit der Frage beschäftigt, woran denn diese beiden Zielgruppen (pflegende Angehörige und Selbstständige beziehungsweise Mitarbeitende in Klein- und Kleinst-Unternehmen, Anm. d. Red.) aus gesundheitlicher Sicht psychisch und körperlich besonders leiden.
Wir haben dazu die wichtigsten internationalen medizinischen Literaturdatenbanken systematisch durchforstet. Anschließend haben wir die Studienergebnisse in systematischen Übersichtsarbeiten zusammengestellt, bewertet und bereits in hochrangigen Fachjournals veröffentlichen können.
Nun sind wir dabei, die bereits vorhandenen präventiven und gesundheitsfördernden Programme für die beiden Zielgruppen zu analysieren. Es geht uns um nachgewiesene Effekte in Bezug auf Linderung der psychischen und körperlichen Belastungen, aber auch um Verbesserung der Gesundheitskompetenz.
Sie betreuen ein Förderprogramm, das die medizinische Qualität in bayerischen Kurorten verbessern soll. Worum geht es da?
Wir unterstützen die bayerischen Kurorte dabei, wirksame Angebote zur Gesundheitsförderung und zur Prävention zu entwickeln und zu evaluieren. Universitäre Partner begleiten dies, um die methodisch-wissenschaftliche Qualität zu gewährleisten. Diese Angebote sollen einen Beitrag zur Gesundheitsförderung , Prävention, Therapie, aber auch zur Rehabilitation häufiger Krankheiten leisten.
Beispiele für solche Angebote sind die Gesundheitsförderung der professionellen Pflegekräfte; die Entlastung von pflegenden Angehörigen, die ihre zu pflegende Person dann auch zur Maßnahme mitbringen können; oder auch die Unterstützung bei Allergien, Übergewicht und Post-/Long-COVID.
Wie können die drei Staatsbäder hier im Landkreis, Bad Kissingen , Bad Brückenau und Bad Bocklet davon profitieren?
Die drei Staatsbäder können einerseits auf die spezifischen Erkenntnisse bisheriger Studien und Projektberichte zurückgreifen, andererseits eigene neue Anträge auf eine Förderung stellen. Diese Möglichkeiten stehen allerdings im Sinne des staatlichen Auftrags allen Kurorten in Bayern zur Verfügung. In Bad Kissingen fördern wir aktuell die Evaluation einer zweitägigen Schulung für Betriebsangehörige mit nichtorganischen Schlafstörungen, sie beinhaltet auch einen Aufenthalt in der Kissalis-Therme.
Zielgruppe dieser Studie sind Beschäftigte aus unterfränkischen Betrieben. Die Studie läuft noch und interessierte Betriebe aus Unterfranken können noch teilnehmen und sich gerne bei uns informieren. Sollten sich positive Effekte zeigen, könnte Bad Kissingen so ein Angebot auf weitere Zielgruppen ausweiten. Schlafstörungen sind schließlich in der Bevölkerung weit verbreitet.
Das Gespräch führte Benedikt Borst.
Lesen Sie auch: