
Nach 137 Jahren ist das Ende besiegelt: Die Soldaten- und Kriegerkameradschaft Wildflecken wird aufgelöst. Zum Jahresende 2025 wird der traditionsreiche Verein Geschichte sein. Die Protokollordner und die Vereinsfahne werden im Archiv des Wildfleckener Rathauses eingelagert.
Ein schwerer Schritt für Ottmar Bohn
Für Ottmar Bohn, der den Verein seit 1978 leitete, war dieser Schritt nicht leicht. „Zwei Drittel meines Lebens habe ich den Verein geführt“, sagt er mit spürbarer Wehmut. Doch nicht nur persönliche Erinnerungen, auch das langjährige Engagement der Kameradschaft in der Marktgemeinde hinterlässt eine Lücke.
Unvermeidliche Auflösung
So aktiv die Kameradschaft in der Vergangenheit war, so unvermeidlich ist nun ihre Auflösung. In einem Pressegespräch erläutert Bohn die Hintergründe: „Wir haben einfach keinen Nachwuchs. Unser jüngstes Mitglied ist 60 Jahre alt. Niemand ist bereit, den Verein weiterzuführen.“
Bohn hatte bereits angekündigt, mit 82 Jahren kürzertreten zu wollen und für eine Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung zu stehen. „Seit der Abschaffung der Wehrpflicht kommen keine Mitglieder mehr nach.“
Im Protokoll der letzten Jahreshauptversammlung der Kameradschaft steht es schwarz auf weiß: „Mit belegter Stimme stellt Ottmar die Frage: Wer ist dafür, dass die Soldaten- und Kriegerkameradschaft Wildflecken zum 31.12.2025 aufgelöst wird?“ Die Abstimmung erfolgte per Akklamation – einstimmig beschlossen. Von 33 Mitgliedern waren 27 anwesend.
Wehmut und Erleichterung
„Es tut weh, dass ich es bin, der die Tür zuschließen und den Verein abwickeln muss“, sagt Bohn wenige Tage nach der entscheidenden Versammlung. „Einerseits bin ich erleichtert und habe etwas mehr Zeit für die Familie, aber es ist auch viel Wehmut dabei.“
Auf dem Tisch im Esszimmer liegen die alten Protokollbücher und ein Ordner mit dem Schriftverkehr. Seit dem 1. Februar hat der Verein alle Aktivitäten eingestellt – Besuche bei Jubilaren, Teilnahme an Beisetzungen und kirchlichen Veranstaltungen gehören der Vergangenheit an.
1968: Ein neuer Anfang
Fast wäre es schon einmal so weit gewesen: 1968 stand die Kameradschaft bereits kurz vor der Auflösung. „Damals habe ich den Verein gerettet – und jetzt beerdige ich ihn“, sagt Bohn mit bitterem Unterton.
Damals war Adolf Gundelach Vorsitzender und suchte händeringend nach Unterstützung. Er holte Ottmar Bohn in den Verein, der als Zeitsoldat bei der Bundeswehr in Wildflecken stationiert war und sich bereits in der Gemeinde heimisch fühlte.
Bohn wurde stellvertretender Vorsitzender und versprach, sich aktiv einzubringen und den Verein eines Tages zu übernehmen. 1978, nach Gundelachs Tod, übernahm Bohn zunächst kommissarisch, dann offiziell als 1. Vorsitzender.
Bohn engagierte sich nicht nur vor Ort, sondern auch überregional: zwölf Jahre war er im Kreisvorstand des Deutschen Soldaten- und Kameradschaftsbundes tätig.
Ein Blick in die Vergangenheit

Bevor die Vereinsunterlagen ins Archiv überführt werden, nutzt Bohn die Gelegenheit, ein letztes Mal in den alten Dokumenten zu blättern. Ein besonderer Schatz: die Gründungsurkunde aus dem Jahr 1888.
Die in Kurrent-Schrift verfassten Statuten zeigen, dass die Kameradschaft nach dem Vorbild des Kriegervereins von Silberhof gegründet wurde. Silberhof selbst existiert heute nicht mehr – der Ort wurde in den 1930er Jahren für den Truppenübungsplatz abgesiedelt.
Die Kameradschaft hatte ursprünglich das Ziel, das Gedenken an Gefallene und Vermisste zu bewahren und Hinterbliebene zu unterstützen. Protokolle und Kassenbuch sind bis 1917 erhalten. Während des Ersten Weltkriegs kamen die Vereinsaktivitäten zum Erliegen, wurden aber 1920 wieder aufgenommen.
Neugründung 1954
Bis 1934 sind die Protokolle lückenlos vorhanden, danach setzen sie erst wieder mit der Wiedergründung der Kameradschaft im Jahr 1954 ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kameradschaft am 1. August 1954 neu belebt.
Sogar die alte Vereinsfahne aus dem Jahr 1891 tauchte wieder auf – sie war während des Krieges auf einem Dachboden unter Fußbodenbrettern versteckt worden, um nicht von der Besatzungsmacht beschlagnahmt zu werden.
28 Kameraden schlossen sich 1954 „unter alter Fahne“ wieder zusammen. Die Sprache der Protokolle aus den 1950er-Jahren ist noch stark von der Vergangenheit geprägt.
Namensänderung und Satzungsreform
1972 änderte sich der Name von „Kriegerkameradschaft“ in „Soldaten- und Kriegerkameradschaft“, um auch Zeitsoldaten der Bundeswehr , die keinen Kriegseinsatz erlebt hatten, eine Mitgliedschaft zu ermöglichen. Eine größere Satzungsreform erfolgte 1980 – bis dahin galten die über 100 Jahre alten Statuten.
Abgelehnt wurde jedoch der Vorschlag, Witwen als Mitglieder aufzunehmen. Nur Frauen, die selbst als Soldatinnen gedient hatten, konnten beitreten.
Erhalten blieb aber die finanzielle Unterstützung für Hinterbliebene: So wurde Witwen ein Sterbegeld von 100 Mark als freiwillige Beihilfe gezahlt.
Neue Fahne und Reisen
1981 erhielt der Verein eine neue Fahne, die mit einem dreitägigen Fest eingeweiht wurde. In den 1980er- und 1990er-Jahren organisierte der Verein zahlreiche Reisen quer durch Europa – von Paris bis Budapest, von der Côte d’Azur bis in die Niederlande. Die Protokollbücher beschreiben diese Fahrten anschaulich.
Auch für die Bürger von Wildflecken bot die Kameradschaft verschiedene Veranstaltungen an, etwa den Kinderfasching und den Kehraus im Sportheim. Seit rund zehn Jahren wurden diese Aktivitäten nach und nach eingestellt. „Früher standen wir mit 26 Mann am Volkstrauertag – heute stehe ich allein da“, bedauert Bohn.
Letzte Aktivitäten
Doch die Kameradschaft war noch aktiv – sie nahm mit einer Fahnenabordnung am Josefstag, dem Patrozinium der Wildfleckener Kirche, sowie an der Fronleichnamsprozession teil. Auch Geburtstags- und Hochzeitsjubilare wurden besucht, Beisetzungen begleitet.
Unterstützt wurde Ottmar Bohn all die Jahre von seiner Frau Renate. Gemeinsam pflegten sie das Kriegerdenkmal in Wildflecken , versorgten es mit Blumen und gossen es täglich. 13 Jahre lang übernahmen die Bohns dieses Ehrenamt.
Wenn der Verein Ende 2025 endgültig aufgelöst wird, geht das Vereinsvermögen an den Markt Wildflecken . Die Gemeinde ist laut Satzung verpflichtet, das Geld für die Pflege und den Erhalt der Ehrenmäler in Wildflecken und Oberwildflecken zu verwenden.