Was war zuerst da, das motorisierte Fahrrad oder das Motorrad? Ivan Sojc, Chef des Deutschen Fahrradmuseums, kann es nicht sagen. Beide entwickelten sich parallel. Fest steht aber: Sojc hat unter seinen vielen Lieblingen in der Villa Füglein ein besonderes Exemplar: The Wall Auto-Wheel, ein Fahrrad mit Motorschieberad aus England, Baujahr 1913.
Bald radeln sie wieder durch die Rhön, die Zweiradfans. Die meisten ohne technische Hilfe, einige aber mit kleinen Kästen an Rahmen oder Hinterrad ihrer Fahrräder. Sie rauchen nicht; sie stinken nicht, surren nur, wenn ihr „Betreiber“ die Füße hochnimmt.
Bestrebungen, das Fahrrad – beziehungsweise seine Vorläufer – mit einem Motor auszurüsten, gab es schon vor 150 Jahren. Ivan Sojc weiß von einem um das Jahr 1869 entwickelten Tretkurbelrad, das mit einer Dampfmaschine betrieben werden sollte.
Das Experiment musste natürlich scheitern. Das Fahrrad war nicht ausgereift, musste noch viele Entwicklungshürden nehmen: Kugellager, Luftbereifung, Stahlfelgen und Drahtspeichen; um ein Hilfsmittel daran zu hängen, war ein stabiler Rahmen notwendig.
Ähnlich verhielt es sich mit der Motorisierung: Ab den 1880er-Jahren entwickelten sich die Verbrennungsmotoren; der Ottomotor hatte mehr Wirkung und brauchte weniger Platz. 1905 erfand Bosch die Zündkerze; Vergaser kamen auf.
Parallel zu diesen Errungenschaften machten sich die Tüftler vor allem in Großbritannien, Frankreich, den USA, Deutschland und Tschechien Gedanken, wo die Technik am besten angebracht wäre: oben oder unten am Rahmen, am Vorder- oder Hinterrad, hinter dem Hinterrad oder vor dem Vorderrad: „Durchgesetzt hat sich der Motor in der Mitte des Rahmens und mit dem Schwerpunkt möglichst weit unten“, sagt Sojc.
Skurriler Antrieb
Insofern ist das Wall Auto-Wheel von 1913 schon ein recht ausgereiftes Gerät. Ans Hinterrad eines gewöhnlichen Fahrrads, wie wir es heute kennen, wurde ein drittes Rad mit Hilfsmotor angeschraubt. Es trieb das gesamte Gefährt mitsamt Nutzer an.
Sogar in die Kurve konnte sich der Fahrer damit legen, weil die Konstruktion flexibel angebracht war. Der Tank war überm Motor befestigt. Produziert hatte das Konstrukt damals in Serie die Firma BSA aus Birmingham.
„Ich mag das Motorschieberad, weil sein Antrieb so skurril ist“, sagt der Chef des Fahrradmuseums. Gekauft hat er die Zusatzausstattung, den Viertaktmotor mit ungefähr 150 Kubikzentimeter, vor mehr als 20 Jahren – auf dem Flohmarkt einer Oldtimerveranstaltung: „Ich weiß nur noch, dass das Zubehör günstig zu haben war – natürlich ohne Fahrrad.“
Aber bekanntlich müssen die Stücke, an denen man am meisten hängt, nicht immer die teuersten gewesen sein.
Und so hat Ivan Sojc das Wall Auto-Wheel auch deswegen in sein Herz geschlossen, weil es so viele Nachteile hat. So hatte es immer noch ein immenses Gewicht und war als Randsteinboxer bekannt: „Damit durfte man natürlich nicht irgendwo hängen bleiben. Und mit einer zweiten Spur trifft man natürlich mehr Schlaglöcher als mit einer. Zumal man mit drei Rädern nicht so gut ausweichen kann wie mit zwei.“
Vielleicht trugen diese Nachteile dazu bei, dass sich das motorisierte Fahrrad nicht wirklich in der Bevölkerung durchsetzte. Schon um 1900 war das Fahrrad laut Sojc zwar in der Bevölkerung weithin akzeptiert. Doch die Eliten wandten sich schon Größerem zu – dem Motorrad und vor allem dem Auto.
Eine kleine Blüte erlebten die Hersteller von Fahrrädern mit Hilfsantrieb nur jeweils nach den beiden Weltkriegen. Damals hatten die meisten Menschen kein Geld, um sich Autos oder Motorräder zu kaufen. Auch lagen die Fabriken am Boden, hatten nicht die Kapazitäten, um technisch aufwendigere Modelle zu produzieren.
Das Fahrrad mit Hilfsantrieb blieb auf dem Markt der Mobilitäten eine Randerscheinung. Bis heute?
Ivan Sojc begrüßt den Trend umweltbewusster und sportlicher Radler, sich auf ein Gefährt mit Hilfsantrieb zu schwingen. Aber man müsse die Kirche im Dorf lassen. Solche Trends gebe immer wieder. Heißt: Den großen Durchbruch wird das motorisierte Fahrrad wohl nicht mehr schaffen.
Ivan Sojc bereitet noch für dieses Jahr eine Wanderausstellung zum Thema Kleinmotorisierung vor. „Vom Hühnerschreck zum Schluchtenflitzer“ soll sie heißen und ab Herbst in Museen und Einkaufszentren gezeigt werden. Erste Station ist Hannover-Burgdorf. Dann wird auch das Motorschieberad Wall Auto-Wheel dabei sein.