zurück
Bad Kissingen
Das Bad Kissinger Jugendamt muss immer öfter eingreifen
Der Trend zu mehr Inobhutnahmen von Kindern macht auch vor dem Landkreis nicht halt: 33 Kinder wurden heuer bereits aus Familien geholt.
Gibt es akute Gefahren, dann zieht das Jugendamt des Landkreises Bad Kissingen die Notbremse: Als letzte Möglichkeit werden  Kinder aus den Familien geholt, um sie zu schützen.  Foto: Photographee.eu/fotolia       -  Gibt es akute Gefahren, dann zieht das Jugendamt des Landkreises Bad Kissingen die Notbremse: Als letzte Möglichkeit werden  Kinder aus den Familien geholt, um sie zu schützen.  Foto: Photographee.eu/fotolia
| Gibt es akute Gefahren, dann zieht das Jugendamt des Landkreises Bad Kissingen die Notbremse: Als letzte Möglichkeit werden Kinder aus den Familien geholt, um sie zu schützen. Foto: Photographee.eu/fotolia
Ralf Ruppert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 03:40 Uhr
Jugendamtsleiter Siegbert Goll nahm in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses kein Blatt vor den Mund: "Der Trend geht nach oben", kommentierte er die Probleme in den Familien. Auf dem Land sei die Situation in der Jugendhilfe nicht mehr so weit weg von der in Großstädten wie früher: "Die Qualität ist ähnlich, die Quantität zum Glück noch geringer." Sprich: Es gibt Extremfälle, aber nicht ganz so viele. Dem bundesweiten Trend kann sich der Landkreis deshalb auch nicht bei den so genannten Inobhutnahmen entziehen: 33 Kinder wurden heuer bereits in den ersten neun Monaten aus Familien geholt.
84 200 Mädchen und Jungen wurden im Jahr 2016 deutschlandweit zu ihrem eigenen Schutz in Obhut genommen. Laut Statistischem Bundesamt entspricht das einem Zuwachs von 8,5 Prozent gegenüber 2015. Die Gesamtzahl der Fürsorgemaßnahmen hat sich seit dem Jahr 2013 fast verdoppelt. Im Landkreis Bad Kissingen gab es sogar genau eine Verdopplung in diesem Zeitraum: Laut Siegbert Goll schritt das Jugendamt im Jahr 2012 in 18 Fällen, 2013 in 19, 2014 in 32, 2015 in 26 und 2016 in 38 Fällen ein. Extrem verlängert hat sich auch die durchschnittliche Verweildauer: 2013 waren es noch 24,6 Tage, im vergangenen Jahr bereits 61,6 Tage. Danach kehren die Kinder entweder zurück zu ihren Erziehungsberechtigten oder werden bei einer Pflegefamilie oder im Heim untergebracht.
"Die Hürde ist sehr, sehr hoch", verweist Siegbert Goll darauf, dass sich das Jugendamt eine Inobhutnahme nie leicht mache. Zunächst kämen ambulante Maßnahmen zum Einsatz. Erst wenn sich die Situation zuspitze und das Wohl der Kinder gefährdet sei, würden die Kinder stationär untergebracht. "Zum Teil sehen die Eltern das sogar ein", berichtet Goll. Immer schwieriger werde es auch, Heime zu finden: "Wir suchen oft bundesweit."
"Wir kommen in der stationären Jugendhilfe immer öfter an die Grenze der Handlungsfähigkeit", berichtete Karl-Heinz Friedel aus der Praxis. Friedel vertritt den Paritätischen Wohlfahrtsverband im Jugendhilfeausschuss. "Manche Kinder sind selbst in Gruppen mit sechs Jugendlichen nicht mehr steuerbar", sagt er, und: "Das ist beängstigend." Der Landkreis gehe mit seinen Präventionsangeboten den richtigen Weg, aber: "Selbst die Frühen Hilfen kommen noch relativ spät." Erzieher und Lehrer müssten bereits in Kita und Schule sensibilisiert werden. "Es ist wichtig, dass sich Kinder da richtig wertgeschätzt fühlen", sagt Friedel, und: "Das Ruder reißen wir nicht mehr rum, aber wir können vieles abmildern."
"Gesellschaftliche Entwicklungen können wir nicht aufhalten, es geht um Reparaturen", sagte CSU-Kreisrat Walter Gutmann. "Es wird immer schwieriger - bis hin zur Aussichtslosigkeit - manche Dinge noch zu regulieren", sagte Landrat Thomas Bold (CSU). Auch deshalb sei es wichtig, "so niederschwellig wie möglich" zu arbeiten. Als Beispiel nannte Bold etwa den "Elterntratsch" im Euerdorfer Kindergarten.
"Wir hören die Zahlen, und das Erschreckende ist, was dahinter steckt", sagte auch SPD-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Görner. Der Trend im Jugendhilfe-Haushalt zeigt steil nach oben: 2016 schoss der Landkreis 7,23 Millionen Euro in der Jugendhilfe zu. Der Ansatz für das laufende Jahr beträgt bereits 9,62 Millionen Euro, für das Jahr 2018 rechnet Jugendamtsleiter Siegbert Goll sogar mit einem Defizit von 10,02 Millionen Euro.

Rückläufig sind die Ausgaben für die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen, das Defizit sinkt um 7,5 Prozent von 433 00 auf 401 000 Euro. Die Tagespflege stagniert bei 203 000 Euro, die Förderung des Kreisjugendringes bei 94 000 Euro. Kaum ein Defizit bleibt bei den unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen: Die Kosten für aktuell 40 Jugendliche werden bis auf 89 500 Euro erstattet.

Steigerung Jeweils rund 7500 Euro mehr will das Jugendamt in der integrations- und der berufsbezogenen Jugendsozialarbeit ausgeben. Die Jugendsozialarbeit an Schulen wird um 10 000 Euro aufgestockt. In 29 Fällen wurde heuer die Familienbegleitung aktiv, in 16 Fällen Familien-Hebammen, die Kosten für 2018 steigen auf 249 200 Euro. Eine ähnliche Größenordnung hat die sozialpädagogische Familienhilfe, die heuer in 53 Fällen zum Einsatz kam. Für 89 Pflegekinder wandte der Kreis 792 000 Euro auf.

Stationär Die Heimerziehung kostet den Kreis im kommenden Jahr 2,04 Millionen Euro. Um 313 500 Euro auf 2,1 Millionen Euro steigen die Kosten für die Eingliederung seelisch behinderter Kinder an. rr
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Kissingen
CSU
Familienhilfe
Förderung
Heimerziehung
Jugendsozialarbeit
Jugendämter
Karl Heinz
Kinder- und Jugendhilfe
Millionen Euro
Pflegefamilien
Pflegekinder
Statistisches Bundesamt
Thomas Bold
Walter Gutmann
Wolfgang Görner
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top