
Der Countdown läuft, es sind nur noch sechs Wochen bis zu dem Spektakel, für das Bad Kissingen in ganz Europa berühmt ist: der " Kissinger Sommer ". Dafür sitzt Alexander Steinbeis noch ziemlich gelassen hinter seinem Schreibtisch. Der junge Neue - er ist 48 Jahre alt - liefert heuer zum ersten Mal als Intendant des Kissinger Sommers seine Visitenkarte ab. Und strahlt, als er sagt: "Jetzt wird"s ernst."
Vor genau einem Jahr kam er von Spree - er war 13 Jahre lang Direktor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin - an die Saale. Kurstadt statt Metropole. "Das war wie ein weißes Blatt Papier - und ich musste sofort beginnen, es zu beschreiben." Der Vertrag seines Vorgängers Tilman Schlömp war ausgelaufen, das Wasser, in das Steinbeis sprang, scheint von außen eiskalt gewesen zu sein. Denn: Er musste sofort die Stars - die großen, dafür ist der "KiSo" bekannt, nach Unterfranken bringen. "Und das, wo in der Klassik der Planungsvorlauf oft mehrere Jahre lang ist - hier hatte ich nur wenige Monate Zeit", denn im Herbst musste das Programm schon stehen.
Das Programm ist maßgeschneidert
In den ersten Wochen schloss er dazu parallel viele Bekanntschaften: Vom Einzelhändler bis zu den Politikern grüßte er sich durch, "ich wollte die Stadt erfahren, Kontakte knüpfen, wissen, was diesen Ort bewegt - das Programm muss zu Bad Kissingen passen". Er zieht den Vergleich zu einem Maßanzug - und deshalb habe er auch eine gewisse Zeit dafür gebraucht, bis die Ideen kamen, die schlussendlich in 42 Konzerten in viereinhalb Wochen mündeten.
Elektro-Beats und Kammermusik
Es sind einige Überraschungen, die auf die Klassik-Gäste zukommen. So etwa Christian Löffler, dessen Musik man eher im In-Schuppen Berghain in Berlin vermutet als auf dem Klassik-Tanker Kissinger Sommer . Doch der kann nicht nur E wie elektronisch, sondern auch E wie ernst - das ist Techno zu den Klängen des Detect Ensemble-Streichquartetts (29. Juni).
Profi in Turnschuhen
Das scheint auch privat Steinbeis' Geschmack zu treffen. Der Klassik-Experte kommt auch bei fomalen Anlässen gern mal im Hoodie mit Turnschuhen daher. Sein Erscheinen verheißt Jugend, Neues, Aufbruch. Wobei: Der Vorgänger - ein Fliegenträger - hatte mit Nigel Kennedy auch den Punk unter den Geigern nach Bad Kissingen geholt. Mit der Allzweckwaffe Till Brönner (Trompeter) wird's heuer musikalisch zwar einmal unklassisch, dafür aber jazzig, über Generationen hinweg gefällig - und vermutlich einfach nur wunderbar, wenn Brönner im Luitpoldbad unter freiem Himmel bläst (18. Juni 2022).
Wo wie gibt's was zu Essen?
Und auch in diesem Jahr stellen sich die zwei Gretchen-Fragen: Wie schaffen es die Macher, die Kissinger einzubeziehen? Und wo kriegt man nach 22 Uhr noch etwas zu essen? Zu Frage eins: Alexander Steinbeis freut sich auf die kostenfreien Prélude-Konzerte, an denen Profis sowie Kissinger Ensembles an den Wochenenden die ganze Stadt an der Musik teilhaben lassen. Und zu Frage zwei: "Wir haben alle Gastronomen angeschrieben - in der Hoffnung, dass es ihnen möglich ist, flexibler auf das Festival zu reagieren." Um der Gastro entgegenzukommen, wurde der Beginn der Abendkonzerte von 20 auf 19.30 Uhr vorverlegt, damit die Küchen nicht allzu lange warm gehalten werden müssen.
Pannen? Ja, klar!
Gab es bislang Pannen? Ja, klar! Die Offensichtlichste schon im Eröffnungskonzert. Da steht noch im Programmheft, dass die großartige Schauspielerin Gisela Schneeberger die Auszüge aus Kalmans "Die Csardasfürstin" mit dem hr-Sinfonieorchester moderieren wird. Aber: Die hat abgesagt. Absagen müssen, denn ihr kam ein Dreh-Angebot dazwischen. Was ein Glück ist für die Fans der ebenfalls famosen Schauspielerin Christine Neubauer - die springt nämlich ein (17. Juni 2022).
Das Eröffnungskonzert mit dem hr-Symphonieorchester ist übrigens das ganz persönliche Highlight für Alexander Steinbeis. Und: Dafür gibt es noch Karten. Aber er hat auch ein paar Geheimtipps, - Konzerte, die man nicht verpassen sollte (siehe unten). Und er selbst freut sich natürlich auf "sein" DSO, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin - die Berliner folgen dem Taktstock von Kent Nagano (3. Juli).
Druckablassen beim Joggen
Was er nach dem Eröffnungskonzert macht? "Vermutlich genehmige ich mir ein Gläschen", prognostiziert er. Wenn man ihn allerdings am Tag drauf beim Joggen sehen sollte, ist Vorsicht geboten. "Ich laufe gerne an der Saale, vor allem, wenn ich Druck ablassen muss." Bleibt zu hoffen, dass er das am Tag danach dann nur aus Entspannung tut. Denn wenn er bis zum Bismarck-Museum rennt, dann war der Druck groß.
Das sollten Sie nicht verpassen: Die Tipps vom Intendanten :
1. Stummfilm mit Live-Improvisation, Sonntag, 19. Juni 2022, 21 Uhr Luitpoldbad, Innenhof, Open air: Ernst Lubitschs "Die Puppe" - ein herrlich-verrückter Film mit dem improvisierten Soundtrack des Pianisten Matan Porat.
2. Wandelkonzert Patricia Kopatchinskaja and Friends, Mittwoch, 22. Juni 2022, 21 Uhr, Kurtheater: Patricia Kopatchinskaja ist eine gefeierte Geigerin - und schlüpft in Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire" auch in eine anspruchsvolle, zwischen Sprechen und Singen changierende Vokalartistin.
3. Oper konzertant, Donnerstag, 30. Juni, 19.30 Uhr, Kurtheater: Antonio Vivaldis Oper "Argippo" herrliches Barockwerk wurde erst kürzlich in Prag wiederentdeckt .
4. Franz Liszt Kammerorchester , Samstag, 2. Juli, 19.30 Uhr, Max-Littmann-Saal, 19.30 Uhr: Werke u.a. von Brahms und Liszt und ungarische Roma-Musik mit dem Sárközy-Trio.
5. Das STEGREIF.orchester, Freitag, 15. Juli, Max-Littmann-Saal, 19.30 Uhr: Schwerstarbeit für die Angestellten: Alle Stühle werden aus dem heiligen Saal getragen, der Gast erfährt, erspürt Musik komplett anders als gewohnt, denn die Musiker bewegen sich zwischen dem Publikum und spielen auswendig. Die Musik kommt von Hildegard von Bingen , die nicht nur Expertin in alternativer Medizin, sondern auch Komponistin war und Gustav Mahler .
6. Der Symphonic-Mob am 18. Juni 2022: Zum 175. Jubiläum der Saale-Zeitung veranstaltet die Zeitung zusammen mit dem Team des Kissinger Sommers den ersten bayerischen Symphonik-Mob. Die Profis des hr-Symphonieorchesters bleiben noch einen Tag länger, um mit Laien open air im Luitpoldbad vier Stücke aufzuführen (15 Uhr). Mitmachen kann jeder! Egal wie alt, egal, ob Anfänger oder Profi - und wer kein Instrument kann, der kann im Chor mitsingen. Für die optimale Vorbereitung können auf der Projektwebsite symphonicmob.de die Originalnoten der Stücke, aber auch vereinfachte Stimmen heruntergeladen werden, zudem gibt es Play-along-Files zum Mitspielen, und eine gemeinsame Probe um 13.30 Uhr vor dem eigentlichen Konzert, das um 15 Uhr stattfindet, sorgt für den Feinschliff. Anmeldungen bitte unter symphonicmob.de