In dem kleinen, hell aber doch irgendwie schummerig wirkenden Gastraum ist die Stimmung gedrückt. Gäste sind wegen des Lockdowns keine anwesend, dafür stehen angebrochene Spirituosen-Flaschen auf der Theke und warten darauf, in Kartons gepackt und mitgenommen zu werden. Kneipier Rainer Rappat nimmt Andenken von den Wänden, die ihm Gäste geschenkt haben, und erzählt Anekdoten, die er mit seinen Gästen erlebt hat. Hündin Lucy, die ihr Herrchen immer begleitet, hat es sich in einer Ecke gemütlich gemacht. "Es war immer nett, ruhig und gemütlich. Eine kleine familiäre Kneipe. Es schmerzt, das loszulassen", sagt er.
Die Corona-Pandemie und der eigene Gesundheitszustand zwingen den 61-Jährigen dazu, den "Sitzplatz" in der Schönbornstraße aufzugeben. Rappats Augen sind gerötet, immer wieder bricht die Verzweiflung durch die freundliche Fassade und Tränen laufen über die unrasierten Wangen. "Ich bin alt und inzwischen beim Malteser fest als Fahrer angestellt. Ich verdiene dort mein Geld. Ich kann doch nicht mein ganzes Gehalt in die Kneipe stecken und mich noch weiter verschulden", sagt er.
Kneipe wird zu Wohnraum
Er ringt um Fassung. Die Tränen wischt er sich mit einem Stofftaschentuch weg. Der Gastwirt hat in seinem Leben schon viel mitgemacht, wurde von Schicksalsschläge gebeutelt. Im Unglücksjahr 2020 hat er zuerst seine zwei Geschwister verloren, dann seine Gäste und dann seine Kneipe. Geschlossen ist der Sitzplatz infolge des Lockdowns schon jetzt, bis Ende des Monats räumt Rappat das Feld. Die Räume seien verkauft, der Käufer wolle sie künftig als Wohnung nutzen.
Der Sitzplatz hat aufgrund seiner Lage nur wenig Gäste aus Bad Kissingen oder Garitz angesprochen, dafür sind der Altort Garitz oder die Innenstadt zu weit entfernt. Die Kneipe liegt aber im Einzugsgebiet zweier großer Kliniken: der Marbachtalklinik am Staffelsberg sowie der Hescuro-Kliniken. Deren Patienten kamen abends nach einem anstrengenden Rehatag gern zum Entspannen in die Kneipe, erzählt Rappat. Nach Ausbruch der Pandemie habe sich das abrupt verändert. Das Coronavirus ist für die Gastronomiebranche insgesamt Existenzgefährdend. Während viele Wirte auf die staatlichen Finanzhilfen hoffen, ist für ihn jedoch keine Hilfe mehr möglich. "Seit März kommt kein Gast mehr aus den Kliniken zu mir. Ich habe hier in der Nachbarschaft nur wenige Stammgäste. Davon kann ich nicht leben", erklärt Rappat.
Abgerutscht in die Arbeitslosigkeit
Der ruhige und bescheiden wirkende Mann hat sich in seinem Leben schon durch vieles durchkämpfen müssen. Der gebürtige Würzburger ist eigentlich gelernter Lkw-Fahrer und war im Fernverkehr in halb Europa unterwegs. Er stand mitten im Berufsleben, wurde arbeitslos , jobbte anschließend als Aushilfe in der Altenpflege , im Schichtbetrieb in der Fabrik sowie in Videotheken . "Ich bin ein sozialer Mensch und brauche den Umgang zu anderen Menschen", sagt er. Das Videotheken-Geschäft gefiel ihm so gut, dass er dort fest einstieg. Erst in in der Bibrastraße, dann übernahm er seine eigene Videothek im Kellergeschoss unter der Marbach Apotheke.
Vom Videoverleiher zum Wirt
Der Laden lief. Rappat entdeckte seine Leidenschaft als Gastgeber. Er schenkte seinen Kunden Kaffee und Bier aus und organisierte Autogrammstunden mit gefragten Pornodarstellerinnen wie Kelly Trump und Gina Wild . Doch die erfolgreiche Videothek-Zeit ging vorüber. "Das Internet hat das Geschäft kaputt gemacht", klagt er. Vor neun Jahren verkaufte er die Videothek und übernahm die Kneipe.
Rappat: "Anfangs ist die richtig gut gelaufen". Doch das Geschäft im Sitzplatz lies allmählich nach, bis ihn die Corona-Krise in die Knie zwang. "Der Umgang mit den Gästen war mir immer das wichtigste. Die Freundlichkeit und die lieben Worte", erzählt er wehmütig. Viele seiner Gäste sind für ihn zu Freunden geworden, in der Zeit, in der sie in der Stadt waren. An Wochenenden unternahm er mit ihnen in seiner Freizeit Ausflüge in die Region, von der Rhön bis nach Würzburg. "Ich habe ihnen meine Heimat gezeigt. Mir hat das Spaß gemacht und die Gäste haben sich gefreut , sind weiter zu mir gekommen und haben mich weiterempfohlen. Das hat mir Auftrieb gegeben und mich bestärkt", sagt der Gastwirt .
Kein realer Abschied möglich
Die Kneipe ist voller Erinnerungen an seine Gäste: Bilder, die sie für ihn gemalt haben, Selbstgebasteltes, Fotos, Collagen. Auch wenn er die Andenken jetzt in Kisten packen muss - "Wegschmeißen kann ich nichts. Ich kann doch nicht mein Herz zerreißen." Dass er wegen des Lockdowns seine Gäste nicht real in der Kneipe verabschieden kann, schmerzt. Immerhin erhält er in sozialen Netzwerken viel Zuspruch. "Das bestätigt mich." Und das spendet Trost in einer für Rainer Rappat sehr schweren Zeit.