
Den Bad Kissingern muss man Johannes R. Köhler nicht vorstellen. 30 Jahre Stadtrat, engagiert bei rotem Kreuz und dem Kissinger Kunst- und Kulturkreis, jahrelang im Vorstand der "Lebenshilfe für geistig Behinderte " und - natürlich - erfolgreicher Komponist. Jahrzehntelang stand er in der Öffentlichkeit, wenn er wollte, könnte er sich auch zum Brötchenholen das Bundesverdienstkreuz oder die Bundesverdienstmedaille am Band umhängen. Tut er aber nicht, da bleibt er bescheiden. Und tatsächlich musste er für diese Erzählung ein bisschen überredet werden. Die Erzählung darüber, wie es ist, sich mit 87 Jahren mit Corona zu infizieren . Und wie es ist, wenn Ehefrau Barbara mit ihren 85 Jahren auch am Virus erkrankte . Diese Geschichte macht Mut. "Ich fühle mich wie neu geboren", sagt Johannes R. Köhler.
Plötzlich Fieber
Es war in den ersten Oktobertagen, als Barbara Köhler plötzlich Fieber bekam. "Es war kurz nach ihrem 85. Geburtstag", sagt ihr Ehemann . Natürlich, man fragt sich jetzt mit dem Wissen um Abstand, Superspreader und Maskenschutz sofort: Wurde da vielleicht ein ausschweifendes Fest gefeiert? "Nein", sagt der Komponist. "Wir feiern diesen Geburtstag nicht mehr. Vor fünf Jahren wurde an diesem Tag unser geliebter Sohn Achim beerdigt." Achim Köhler starb urplötzlich, nichts hatte die Eltern darauf vorbereitet, dass für sie ein ungeschriebenes Naturgesetz nicht gelten wird - nämlich das, dass Kinder nach ihren Eltern sterben.
Schützenhilfe aus dem Himmel
Drei Jahre nach dem fürchterlichen Verlust schlossen die Köhlers ihren Musikladen in der Unteren Marktstraße. Egal, wie viel sich für sie durch den völlig neuen Alltag ohne "Musik zum Streicheln" veränderte, eins blieb: "Die Verbindung zu unserem Sohn . Die Seele", sagt Johannes R. Köhler, "verlässt zwar den Körper, aber ich bin mir sicher, dass sie in der Nähe derer bleibt, die leben".
So glaubt er auch fest daran, dass er "da oben im Himmel" einen sitzen hat, der auf Barbara und ihn aufpasst. "Das macht mein Sohn ."
Schwere Halluzinationen
Der scheint wirklich gut aufgepasst zu haben. Denn nach Barbara Köhler bekam auch er Fieber - hohes Fieber . "Wir wurden getestet, waren positiv." Was folgte, waren Quarantäne und ein Fieberdelirium, das Johannes R. Köhler noch heute beschäftigt und von dem viele Corona-Patienten in den unterschiedlichsten Varianten berichten. "Ich lebte in einer tiefen Schlucht mit Höllenfeuer, einmal schwebte mein rechter Arm getrennt von mir im Zimmer." Das Thermometer zeigte da knapp 40 Grad an.
Quälende Kopfschmerzen
Was ihn quälte: "Ich hatte Gichtanfällen in allen Gelenken, dazu kamen mörderische Schmerzen wie Stromschläge im Kopf." Dagegen halfen Schmerztabletten. Doch um der Seele gut zu tun, griff Johannes R. Köhler zu einem anderen Heilmittel : einem dicken Rollkragenpullover seines Sohnes . "Ich fühlte mich dadurch wie durch einen Schutzmantel gestärkt. Ich trage ihn jetzt auch - ich fühle mich darin geborgen und durch unseren Sohn geschützt."
Ein gläubiger Mensch, kein Kirchgänger, sei er schon immer gewesen. "Wir haben aber seit fünf Jahren eine starke Verbindung nach ,oben", weil da unser Kind ist." Diese Verbindung, sagt er, erlösche nie - vielleicht auch, weil die Köhlers in ihrer Küche ein Foto von ihrem Buben stehen haben, vor dem sie jeden Tag ein Kerzlein anzünden.
Gute Konstitution
Nach einiger Zeit ging es beiden besser, das Fieber sank, der Geschmack kehrte zurück und auch der Appetit. "Jeden Tag rief das Gesundheitsamt bei uns an, wir gaben die Temperaturen durch." Er schreibt es auch zum großen Teil der guten körperlichen Konstitution zu, dass er und seine Frau das Virus gut überwanden. "Wir essen sehr viel Gemüse, dazu Knoblauch und gutes Öl." Da muss Barbara Köhler lachen: "Wir haben in den letzten Wochen so viel Knoblauch gegessen, dass die Menschen automatisch Abstand zu uns halten mussten."
Jetzt viele Antikörper
Am Freitag vergangener Woche wurde das Blut des Ehepaars untersucht. "Wir haben jetzt so viele Antikörper gegen Corona, dass uns nach Adam Riese nichts mehr passieren sollte." Einen Rat hat er an Menschen, die jetzt in ähnlicher Situation sind wie die Köhlers noch vor wenigen Wochen: "Bleibt ruhig und geratet nicht in Panik. Und kontrolliert euren Atem." Sobald sie gemerkt hätten, dass sich da etwas verändere, hätten sie sofort die 112 gerufen und wären ins Krankenhaus gegangen.
Jetzt kann er seinen Versandhandel wieder betreiben und freut sich drauf, seine CDs zu versenden. "Es blieb so viel liegen, so hat ein Mann aus New York zum Beispiel 20 CDs mit ,Musik zum Streicheln" bestellt - die konnte ich gestern endlich verschicken." Und Barbara Köhler kann sich wieder der Buchhaltung widmen - wie seit 65 Jahren.
Tatsächlich ist es eine wunder-bare Geschichte, die die Köhlers erzählen können. Zwei betagte Menschen, von Corona gebeutelt, überleben dieses Virus anscheinend ohne weitere Blessuren.
Fast meint man, da hätte jemand auf sie aufgepasst.