Es ist eine gute Tradition des Kissinger Sommers, dass die Teilnehmer des Kissinger KlavierOlymps im folgenden Jahr zum Festival wieder eingeladen werden, wenn es deren Terminkalender erlaubt. In diesem Jahr waren das der Gewinner des Vorjahres, Mihály Berecz, der als Solist mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen das 3. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven spielte. Und es waren die Italienerin Martina Consonni und die Französin Mirabelle Kajenjeri, die sich eine Klaviermatinee im Rossini-Saal teilten.
Weiterentwicklung der Pianistinnen
Es ist immer eine spannende und interessante Sache, den jungen Leuten nach einem Dreivierteljahr wieder zu begegnen und zu schauen, ob und wie sie sich weiterentwickelt haben. Natürlich ist seit dem letzten Oktober nicht so viel Zeit vergangen, aber in dem Stadium kann es noch schnelle und nachhaltige Veränderungen geben. Obwohl man bei dem einen oder der anderen auch mal Stagnation feststellen konnte. Nur die graumähnigen Tastenlöwen verändern sich in den letzten 30 bis 50 Jahren ihrer Karriere nicht mehr – was sie berechenbar und bei aller Bewunderung auch ein bisschen langweilig machen kann. Martina Consonni und Mirabelle Kajenjeri haben sich auf jeden Fall in einer Hinsicht verändert, und zwar beide: Sie sind in ihrer Virtuosität und in ihrem Zugriff virtuoser, lockerer geworden, aber auch risikobereiter – ohne es freilich sein zu müssen.
Mit einer lockeren Virtuosität
Martina Consonni begann ihr Rezital mit Joseph Haydns Sonate C-Dur Hob XVI:50, einer der späten „Englischen Sonaten“. Sie spielte die beiden Ecksätze mit einem ganz trockenen, aber farbigen Anschlag und zielte dabei treffsicher auf die humorvollen Ansätze der Haydnschen Musik. Der zweite, langsame Satz zeigte sie als sehr bewusste Gestalterin der lyrischen melodischen Verbindungen und ihrer Verzierungen. Dieser Haydn machte nicht nur ihr großen Spaß. Franz Schuberts A-Dur-Sonate brachte sie mit einem warmen, poetischen Anschlag zum Singen, das einen kleinen Aspekt des Ungeduldigen, des Weiter—wissen-Wollens hatte. Und so unzögerlich, wie sie spielte, wusste sie auch genau, wo sie hinwollte: in die kontrast- und auch konfliktreiche Durchführung. Das Andante geriet außerordentlich liedhaft, auch wenn die harmonischen Spannungen gut verdeutlicht waren, wobei das dreimal auftauchende Thema wie eine Frage von Ferne geriet. Leicht zu spielen ist das Rondo capriccioso E-Dur op. 14 von Felix Mendelssohn-Bartholdy bestimmt nicht. Aber Martina Consonni schaffte es mit ihrer lockeren Virtuosität, aus dem einleitenden Andante ein höchst bildhaftes Lied ohne Worte zu machen, vor allem aber das Presto des zweiten Teils wirklich ernst zu nehmen und auf Höchstem zu bringen. Und trotzdem mit agogischen Mitteln diesen rasenden Elfentanz erkennbar zu strukturieren.
Bildhafte Klänge
Mirabelle Kajenjeri bediente sich zunächst bei selten zu Hörendem: bei drei Sätzen aus den 24 Préludes op. 37 des Wahl-Berliners Ferruccio Busoni. Die drei Sätze sind eine knappe Angelegenheit: Nach etwa fünf Minuten ist alles vorbei. Aber Mirabelle Kajejeri gelang es ausgezeichnet, nicht nur mit krachendem Zugriff die Ungeduld des 14-jährigen Komponisten hörbar zu machen, der zwar gute Ideen hatte, aber noch mit der Ausführung kämpfte; sondern sie zeigte im Prélude Nr. 15 auch Busonis erste Versuche, Lyrisches in Töne zu fassen. Großartig war ihr Zyklus „Miroirs“ von Maurice Ravel . Da konnte Mirabelle Kajenjeri alle Klangfarbenregister ziehen und ausdrucksstarke Bilder aus den Tasten zaubern – seien es die ständig wechselnden Aspekte des Meeres von freundlicher Harmlosigkeit bis stürmischer Gefahr in „Une barque sur l’océan“ („Eine Barke auf dem Ozean“) oder das groteske „Alborada del gracioso“ („Morgenlied des Narren“) oder das geheimnisvolle „La vallée des cloches“ („Das Tal der Glocken“), in dem ein einzelner, geradezu einsamer Glockenton (ein g‘‘‘‘) aus den verschiedensten Geräuschkulissen heraushörbar sein muss.
Ein freudiges Ende
Und dann stellte Mirabelle Kajenjeri das Programm geringfügig um. Das Konzert sollte nicht in Tristesse enden , und so spielte sie zuerst Fritz Kreislers „Liebesleid“ in der berühmten Bearbeitung von Sergej Rachmaninow als wunderbar melancholische Schnurre mit starken Trübungen des Gemüts und kam dann erst zum euphorischen Glück der „Liebesfreud“. Und sie schaffte es bestens, nicht nur den emotionalen Aspekt der Musik zu verdeutlichen, sondern auch die Aufmerksamkeit zu schärfen für die pianistischen Gemeinheiten, die Rachmaninow eingebaut hat, und auch sie nicht nach Pein, sondern nach Freude klingen zu lassen.
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