„Es ist genug“. Christian Zoll zieht die Stirn kraus, faltet entschlossen die Hände, um zu unterstreichen, dass es jetzt Zeit ist, der Politik ade zu sagen und jüngeren Leuten in Stadtrat und Kreistag „Platz zu machen“. 42 Jahre lang saß er jetzt im Stadtrat, davon zwölf Jahre als Oberbürgermeister auf dem Chefsessel (1990 bis 2002). Auch im Kreistag wollten ihn die Bürger immer wieder mitregieren sehen.
Zoll hat in der Stadt Vieles vorangebracht. Die Umplanung der US-Kaserne zu einem zentrumsnahen Gewerbestandort war für die Stadt wegweisend. Dort entstanden kurz darauf die städtische Musikschule und ein neues Domizil für die Jugend. Auch die Stadtfeuerwehr bekam während Zolls Amtszeit eine neue Feuerwache. Musste man auf die Theatertage, die ebenfalls unter seiner Regentschaft aus der Taufe gehoben wurden, später wegen des zu großen Defizits wieder verzichten, mutierte der Kissinger Winterzauber hingegen zum Erfolgsschlager im Veranstaltungsprogramm der Stadt.
Auch der Umbau des Tattersalls zum Kultur- und Kongresszentrum und die Schaffung des Museumsstandorts Obere Saline sind Zoll'sche Erfolge. Die Grundsteinlegung für die Heilbadelandschaft nennt der heute 73-Jährige freilich als einen der größten politischen Meilensteine seiner Amtszeit.
Im Kreistag engagierte Zoll sich zum Beispiel sehr, als es um Bau und Betrieb der Mülldeponie bei Wirmsthal ging. Aber auch eine neue Bundesstraße 286 hat Zoll damals, wie etliche andere Lokalpolitiker, dringend gewollt und sich immer wieder mit Elan an den entsprechenden Stellen zu Wort gemeldet.
2008 hatte er sich schon vorgenommen, dass es sein letzter Wahlkampf ist, sagt der scheidende Politiker im Gespräch mit der Main-Post. „Eigenartigerweise ist es nun ein Abschied ohne Wehmut“, behauptet er und hebt den Kopf mit entschiedenem Ruck nach oben. Er will, dass man ihm abnimmt, dass er, der leidenschaftliche Homo politicus, jetzt ohne großen Schmerz seitlich von der Bühne abgeht. „Vom Kopf her ist es aber noch nicht beendet“, sagt er plötzlich. Bleibt da doch ein bisschen Wehmut? – „Der Kopf muss sich erst neu arrangieren“, versucht er zu erklären.
Zoll studierte damals in Heidelberg und Berlin Wirtschaftswissenschaften und hätte mit seinem Abschluss im Jahr 1968 wohl auch anderswo eine aussichtsreiche Karriere machen können. Aber es zog ihn zurück in die Heimat, wo er die Chance sah, sich selbstständig zu machen. 1970 gründete er die Christian Zoll KG und baute das Behlert-Haus. „Aber der Erfolg kam nicht“, sagt er im Rückblick leidenschaftslos, „und dann kam die politische Karriere als Oberbürgermeister dazwischen“. Zu diesem Zeitpunkt war er, über seine Frau Lilo, schon 14 Jahre lang in der Geschäftsführung des Kurhauses Tanneck tätig gewesen.
Als er im Jahr 1972 in die Politik ging, war alles für ihn noch „Neuland“, sagt er und muss schmunzeln. Unter OB Hans Weiß (1972 bis 1984) galt es zunächst „aufzuarbeiten“. Weiß war jedoch als Senatspräsident oft in München, dann galt das Motto 'Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse'. „Das Spiel im Stadtrat war dann leichter“ gesteht er und lehnt sich in Gedanken an diese Jahre amüsiert zurück.
Georg Straus habe sich später als OB um einen „anderen Regierungsstil im Rathaus“ bemüht, sagt er anerkennend. Auch er selbst wollte einen „neuen Stil“ finden, „gleichwohl ich der Ära Weiß und der Ära Strauß Vieles zu verdanken habe“, resümiert er freundlich.
„Ja, man wird politisch weise mit der Zeit, das bringt auch das Alter“, bilanziert heute der Mann, den man früher auch als den „jungen Wilden“ der Kissinger Politik hätte bezeichnen können. 1978 kandidierte er zum ersten Mal gegen Weiß für das Oberbürgermeisteramt. 1984 trat er erneut an, diesmal gegen Straus. Wieder scheiterte er.
Heute sieht der 73-Jährige das sehr entspannt. „Die ersten zwölf Jahre meiner Tätigkeit im Stadtrat waren meine Lehrlingszeit.“ 1990 gelang es ihm, den Chefsessel im Rathaus zu erklimmen. „Die Amtszeit als Oberbürgermeister war prägend“, sagt er und macht eine kurze Pause. „Da ist so Manches nicht spurlos an mir vorbeigegangen.“
Es gräbt sich halt ein, wenn man „unschön aus dem Rennen ausgebremst wird“, spielt Zoll auf das damalige Agieren der CSU vor der Wahl 2002 und auf die Kandidatur von Karl Heinz Laudenbach an. Viel will er allerdings nicht dazu sagen. Es ist Vergangenheit. Auch darüber, dass man in der Laudenbach-Ära im Zusammenhang mit Kostensteigerungen beim Bau der KissSalis Therme gegen ihn ermittelte (und das Verfahren einstellte), will er sich nicht auslassen. „Die Geschichte der KissSalis Therme, wie sie sich wirklich zutrug, müsste man neu aufschreiben“. Seine Stimme wird plötzlich lauter. „Da müsste ich noch 20 Jahre leben, so umfangreich ist die.“
Dass er sich bei diesem Thema vornehm zurückhält, passt zu dem Mann, der seine Haltung im politischen Amt so beschreibt: „Wenn man als ehrenwerter Mensch entscheidet, ist alles gut. Honorabel muss man bleiben, um glaubwürdig zu sein.“
Die Politik im Kreistag hatte für ihn, den leidenschaftlichen Stadtpolitiker, immer eine „andere Dimension“, gibt Zoll zu. „Dennoch tat ich bewusst sehr viel für den Kreistag.“ Vor allem, als es um eine neue Kreisdeponie ging, hat er sich im Gremium „sehr stark engagiert und beteiligt“. Bereits unter Landrat Magnus Herrmann wurde das Thema aufgegriffen, in der Ära Marko Dyga stand der Bau der Deponie bei Wirmsthal zur Diskussion. Landrat Herbert Neder habe das Projekt 1990 „geerbt“ und, nach Zolls Ansicht, aus misslichen Umständen schließlich das Beste gemacht.
Dann kommt der Herzblut-Politiker wieder auf Bad Kissingen zurück. Der Kurort hat Tradition. „Die Stadt machte sich einen Namen, das muss man erhalten“, sagt Zoll mit Blick auf die Staatsbad GmbH, die während seiner Amtszeit als OB gegründet wurde. Der Staat möchte immer mehr Aufgaben auf die Stadt verlagern. „Das ist gut, es muss modernisiert werden. Aber es muss einen Ausgleich geben.“
Jetzt fiebert der Herzblut-Kissinger darauf hin, dass die Stadt Weltkulturerbe wird. Und wenn dann die geplanten neuen Hotels stehen, gehe man in eine neue Ära. Was die Vergangenheit angeht, scheint Zoll abgeklärt. – Halt! Ein unerfüllter Wunsch treibt ihn noch immer um: Das Tagungszentrum auf dem Salinenparkplatz hätte er gern noch realisiert. Da hellt sich sein Gesicht plötzlich auf: Bad Kissingen hätte ein weiteres Standbein gehabt. Doch dann winkt er ab: Schnee von gestern. Alles gut so.