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Bad Kissingen
Christian Försch, Bad Kissingen und die Einsamkeit
Mit Christian Försch können Sie über alles reden: Über Musik, über Fußball, über Italien, über Krimis, über Bad Kissingen – und neuerdings sogar über Einsamkeit.
Christian Försch, in Bad Kissinger geborener freier Autor, hat zusammen mit Walter Möbius das Buch 7 Wege aus der Einsamkeit und zu einem neuen Miteinander geschrieben.
Foto: Sebastian Wells | Christian Försch, in Bad Kissinger geborener freier Autor, hat zusammen mit Walter Möbius das Buch 7 Wege aus der Einsamkeit und zu einem neuen Miteinander geschrieben.
Siegfried Farkas
Siegfried Farkas
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:29 Uhr

Christian Försch hat schon viel geschrieben, journalistische Texte, Romane, eine Künstlerbiografie. Vor einigen Wochen erschien im Dumont Verlag ein Buch, an dem der in Bad Kissingen geborene Försch zusammen mit dem Internisten und Neurologen Walter Möbius gearbeitet hat. Es heißt: 7 Wege aus der Einsamkeit und zu einem neuen Miteinander. Ein Gespräch mit einem, der immer wieder die Hüte wechselt und das als großes Abenteuer empfindet.

Frage: Was ist der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit?

Christian Försch: Alleinsein bedeutet schlichtweg, dass man nicht mit anderen Menschen zusammen ist. Das kann beklemmend oder schön sein. Einsamkeit dagegen ist ein schmerzhaftes Gefühl. Es geht oft mit Alleinsein einher, aber nicht immer. Man kann sich auf einer Party einsamer fühlen als bei der Wanderung über einen verlassenen Bergpfad. Einsamkeit ist das Gefühl, dass eine erfüllende Bindung zum Mitmenschen fehlt. Es ist eine Alarmglocke, ähnlich wie der Hunger. Diese Alarmglocke sollte helfen, den Mangel zu beseitigen, kann sich aber auch verselbständigen. Um beim Vergleich zu bleiben: Man kann in die Küche gehen und sich ein gesundes Mahl zubereiten, man kann aber auch verkrampfen und magersüchtig werden.

Ist Einsamkeit eine Fehlleistung des Einzelnen oder eine Fehlleistung der Gesellschaft?

Försch: Es besteht eine komplizierte Wechselwirkung. Jeder hat sie schon erlebt, wenn er zum Beispiel die Schule wechseln musste. Vielleicht hat er sich schnell integriert, vielleicht auch nicht. Beide Seiten müssen Signale der Öffnung zeigen, der Einzelne muss sich an Regeln und Gepflogenheiten anpassen, aber auch die Gruppe muss helfen, indem sie den Unbekannten akzeptiert und zur Nähe ermuntert. Das Unbekannte ängstigt immer, und das muss behutsam überwunden werden. Gruppen, die unter starkem Leistungsdruck, Hierarchien, Stress und Angst leiden, sind zur Behutsamkeit kaum fähig, sondern neigen dazu, alles Fremde abzulehnen und vermeintlich Schwächere zu mobben.

Wachsende Einsamkeit in der Gesellschaft wird im Buch stark mit der Digitalisierung der menschlichen Kontakte in Verbindung gebracht. Es gab aber auch schon vor der Digitalisierung eine Vereinzelung. Wir alle kennen doch Gespräche, die eigentlich für beide Seiten nur der Austausch von Stichworten sind, um abwechselnd über sich selbst zu reden.

Försch: Ja, absolut richtig. Wir wollen auch die digitale Welt nicht verdammen, denn sie kann Menschen verbinden, wenn etwa eine Enkelin ihre Großmutter fast gratis über Skype anrufen und ihre Zuneigung mitteilen kann. Wir erleben allerdings, wie soziale Medien sich verselbständigen, den Drang zur Selbstdarstellung beflügeln, zur immer schnelllebigeren Imitation von Idolen und Moden zwingen. Es geht dabei um Bewunderung, nicht um echte Zugewandtheit. Bindung muss wachsen, hat mit Geduld zu tun. Narzissten hat es schon immer gegeben, aber ich glaube nicht, dass sie schon einmal so flächendeckend als Führungspersönlichkeiten und Ideal angesehen wurden. Egal ob in Politik, Sport oder Kulturbetrieb.

Kann man Einsamkeit überhaupt objektivieren oder messen?

Försch: Nein. Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl. Wir haben in dem Buch auch versucht, auf den erhobenen Zeigefinger zu verzichten und unser Zeitalter nicht als die apokalyptische Epoche der Vereinsamung darzustellen, auch wenn Leistungsdruck, Profitorientierung und Auflösung der Solidargemeinschaften tatsächlich Einsamkeit nähren. Wir glauben aber nicht an staatlich verordnete Lösungen. Wir wollen vielmehr den Leser ermuntern, sich mit der eigenen Einsamkeit zu beschäftigen und sie, falls sie aus dem Ruder läuft, in kleinen Schritten zu korrigieren. Einsamkeit hat jeder erlebt, sie ist manchmal notwendig, unvermeidlich, hilft auch, die eigenen Bedürfnisse besser zu erkennen. Wenn sie sich allerdings verselbständigt, wird sie gefährlich, mündet in den Teufelskreis der Vereinsamung, in dem soziale Instinkte abstumpfen und der Mitmensch als zunehmend bedrohlich empfunden wird. Die Welt ist voller Einsamer, die aneinander vorbeigehen und hoffen, dass der andere den ersten Schritt tut.

Am Ende des Buches steht, Sie, also die beiden Autoren, wären an dem gemeinsamen Projekt beinahe gescheitert. Ist das nicht ein Hinweis, dass Einsamkeit auch manches leichter macht, zum Beispiel, wenn man allein entscheiden kann?

Försch: Ja, das stimmt. Wir sehen in der Ehe, in der Politik, in der Firma, wie schwierig Kompromisse und gemeinsame Lösungen sind. Man fragt sich: „Soll ich da noch diskutieren, mich gar anpassen? Folge ich damit der Schwarmintelligenz oder den Lemmingen, die blind auf den Abgrund zu rennen?“ Allerdings haben Geschichte und Wissenschaft gezeigt, dass der Mensch in der Gruppe eher überlebt als ein Einzelkämpfer. Teams entwickeln komplexere Lösungen, selbst Genialität ist immer ein besonderer Funke auf dem Heuhaufen, den andere aufgeschichtet haben. Und egal, was wir tun, ob wir nach Ruhm, Anerkennung, Erfolg streben, im Grunde suchen wir menschliche Zuwendung, Liebe. Ein Kind, dem man reichlich Essen, aber keine Zärtlichkeit schenkt, stirbt. Und je älter wir werden, desto mehr müssen wir lernen, nicht auf Liebe zu warten, sondern diese zu geben. Eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen ist immer eine Bereicherung. Geistig wie emotional.

Sie geben im Buch Ratschläge, der Titel verspricht sieben Wege aus der Einsamkeit. Geht das nicht in Richtung Selbstoptimierung, hin zum Wunsch des Hamsters, sich an sein Rad anzupassen?

Försch: Nein. Der Hamster ist einsam in seinem Rad. Er lenkt sich nur durch Bewegung ab, aber er muss immer schneller strampeln, um seinen geheimen Zweifel zu unterdrücken, und irgendwann fällt er tot um, ohne etwas von der Welt gesehen zu haben. Uns geht es gerade darum, aus dem Hamsterrad herauszukommen, Stress und Existenzangst in Schach zu halten, auch die vielen Einflüsterungen der Konsumwelt, die uns hinter einer Karotte herjagen lassen, die uns vielleicht gar nicht bekommt. Ratgeberliteratur ist inflationär, oft verspricht sie simple Lösungen für die schwierigsten Probleme. Wir haben versucht, nichts zu verharmlosen und Wegweiser aufzustellen, keine Zauberformeln.

„Empathie ist trainierbar“ heißt es im Buch. Wie geht das?

Försch: Indem man die emotionale Intelligenz schult. Wenn man die Gefühle anderer verstehen will, muss man sich zuerst einmal mit den eigenen auseinandersetzen. Man muss seinen wahren Bedürfnissen auf den Grund gehen, sich eingestehen, dass man hinter Wut vielleicht Verletzlichkeit versteckt, hinter Ehrgeiz den Wunsch, geliebt zu werden. Danach kann man auch die emotionalen Reaktionen anderer besser einordnen, sich besser einfühlen und mitfühlen.

Ist das dann mehr als ein angelerntes, aufgesetztes Verhaltensmuster, das man abruft, wenn man es braucht?

Försch: Absolut. Es geht nicht um Manipulation, sondern um Mitgefühl. Echte Empathie bedeutet nicht, den anderen zu dechiffrieren, damit man ihn übervorteilen kann. Also zum Beispiel ihm Honig ums Maul zu schmieren, um ihm eine sinnlose Versicherung unterzujubeln. Echte Empathie bedeutet, dass man den Schmerz, aber auch die Schwächen oder die Glücksmomente eines anderen Menschen teilen kann. Das kostet Energie, ist aber auch bereichernd. Und es lässt ein tiefes Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität wachsen. Freundschaft und Liebe sind ohne Empathie unmöglich. Empathielose Menschen sind die Einsamsten überhaupt. Sie mögen supererfolgreiche Manager, Politiker, Kriminelle sein. Ihre Erfolge sind aber Ausfluss einer Gier, die diese Leere füllen will. Ein wirklich reiches Leben kann nur ein emotional reiches sein.

Roboter als Freunde und Helfer sind keine Utopie mehr. Können künstliche Intelligenz, künstliche Emotion und künstliche Zuwendung Mittel gegen Einsamkeit werden?

Försch: Ich glaube nicht. Denn es fehlt eben die wahre Empathie, das spontane Mitfühlen, das nicht einem Algorithmus folgt. Nähe ist wichtig, die Wertschätzung des Individuums, des Augenblicks. Natürlich sind bestimmte Signale universell, und man kann eine Maschine so einstellen, dass sie Trauer oder Albernheit erkennt und automatisch tröstet oder mitlacht. Aber das kann nur Gefühle vorspiegeln. Es ist wie käufliche Liebe. Ein Widerspruch in sich.

Ich habe den Eindruck, im Buch gibt es Kissingen-Bezüge bei den erfundenen Namen, ich denke da an Frau Schondra und Herrn Welsch. Trügt der Eindruck?

Försch: Oje, hoffentlich trete ich niemandem versehentlich auf den Schlips! Ich verwende beim Schreiben häufig Namen, die in mir nachhallen, ohne dass ich sie noch zuordnen könnte. In den Fallbeispielen kommen meine Eltern und ich vor, ansonsten sind keine Kissinger dabei, das kann ich garantieren. Also, Frau Schondra und Herr Welsch, ich habe mir nur Ihr Klingelschild ausgeliehen, nicht Ihr Schicksal!

Im Buch erzählen Sie eine Episode aus Ihrer Kindheit in Bad Kissingen. Gibt es für Sie noch eine Bindung an Kissingen oder ist das eher eine Bindung an die Familie, die hier lebt?

Försch: Die Bindung ist enorm, teilweise auch im Unterbewusstsein, wie Sie mir eben klar gemacht haben. Ich bin durch meine Kindheit geformt worden und sehne mich, wie alle Menschen, in gewisser Weise zurück, auch wenn ich mich manchmal ärgere, im Grunde ein kleiner unterfränkischer Ministrant geblieben zu sein. Der Wald, die Felder, die Farben und Gerüche von Sinnberg und Rhön sind heute noch eine Sehnsuchtslandschaft für mich. Wenn ich in Bad Kissingen bin, zieht es mich zuerst in den Wald, und dann sehe ich die Bilder wieder von Schnee und Lagern, die wir als Kinder gebaut und gegen „feindliche Banden“ verteidigt haben.

Der Autor Christian Försch ist ungeheuer vielseitig. Er hat deutsche Krimis geschrieben und italienische Krimis übersetzt, er arbeitet journalistisch, hat eine Künstlerbiografie geschrieben und jetzt ein Buch über Wege aus der Einsamkeit. Wie bringt er das unter einen Hut?

Försch: Ich muss das gar nicht alles unter einen Hut bringen. Ich wechsle die Hüte. Das ist für mich das größte Abenteuer beim Schreiben: Immer wieder neue Formen, neue Themen zu erforschen, mich in ein Feld einzuarbeiten, das mir völlig neu ist. Zum Thema Einsamkeit habe ich zum Beispiel nicht nur Interviews mit Betroffenen geführt, sondern auch mit Therapeuten und Sozialarbeitern, ich habe mich mit Hirnforschung, Psychologie, Medizin, Soziologie und so weiter beschäftigt und sehr viel, auch über mich selbst, erfahren.

Was ist das nächste Projekt des vielseitigen Christian Försch?

Försch: Es knüpft an Ihre Kissingen-Frage an. Seit Längerem arbeite ich an einem Buch über meine Kindheit. Ich bin in einer schizophrenen Welt aufgewachsen, im Brennpunkt des Kalten Krieges. Über meinem Kopf Kampfhubschrauber und Nuklearsprengköpfe der Amerikaner, an den Wänden die Bilder eines zur Gewaltlosigkeit mahnenden Christus. Ich fühlte mich, da meine Eltern in Winkels Zugezogene waren, als Fremder, gehörte weder ins Dorf noch ins Neubaugebiet. Dieses Gefühl der Verlorenheit hat mich lange begleitet und wohl auch zur Beschäftigung mit der Einsamkeit geführt. Heute wirken der Kalte Krieg, der Eiserne Vorhang und katholischer Fundamentalismus wie eine exotische Welt. Aber all das lebt in mir fort, verfolgt mich, macht mich manchmal wahnsinnig, weil ich das Gefühl habe, Schizophrenie und Beengtheit niemals loszuwerden. Beim Schreiben kann ich sie mir genauer anschauen – um sie vielleicht irgendwann zu überlisten.

Vita
Christian Försch kam 1968 in Bad Kissingen zur Welt. Nach Schule und Abitur in Bad Kissingen, studierte er in Würzburg, Wien und Berlin Germanistik, Philospohie und Musikwissenschaften, in Berlin zusätzlich Italienistik. Försch ist mit einer Italienerin verheiratet. Er hat zwei Kinder und lebt in Berlin und Ferrara. Als Autor von Romanen, Hörspielen, Radiodokumentationen oder Zeitungskolumnen sowie als Übersetzer ist er äußerst vielseitig. Das aktuelle Projekt 7 Wege aus der Einsamkeit und zu einem neuen Miteinander entstand zusammen mit Walter Möbius und erschien im Dumont Verlag.
 
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