Christian Fenn hat sich seit einem Vierteljahrhundert seiner Arbeit als Streetworker bei Kidro (Kissinger Drogenhilfe ) in Bad Kissingen und im Umland verschrieben. Seine Aufgabe besteht darin, sich um Menschen zu kümmern, die illegal Drogen konsumieren.
Die Entscheidung, diesen beruflichen Weg einzuschlagen, war nicht bewusst geplant. Während des Balkankriegs studierte Fenn Soziale Arbeit und war aktiv bei Hilfsorganisationen im Einsatz. Er erlebte aus erster Hand, in welch schwierigen Verhältnissen die Menschen lebten.
Krieg, extreme Kälte und Korruption sind nur einige Beispiele. Zurück in Deutschland war ihm klar: „Ich will mit Menschen arbeiten, die große Probleme haben. Menschen, die drogenabhängig sind, haben zumeist große Probleme.“ Seine Arbeit in der Drogenhilfe kam dann eher zufällig zustande. „Die Stelle wurde ausgeschrieben und ich war der 53. Bewerber, obwohl die Bewerbungsfrist bereits zwei Wochen abgelaufen war.“ Dennoch erhielt Fenn die Stelle.
Streetworker Fenn ein Einzelkämpfer
Fenn begann seine Arbeit als Streetworker als Einzelkämpfer. „Ich hatte keinen Kontakt, kein Team. Ich musste mir die Szene erschließen.“ Die Ausgangslage war anders: „1998 waren die konsumierten Drogen ganz andere als heute. Viele der heute erhältlichen Drogen gab es damals überhaupt nicht“, erzählt er.
Ende der 1990er Jahre stand die Heroinabhängigkeit im Vordergrund. Heute geht es eher um die Polytoxikomanie, die gleichzeitige Abhängigkeit von verschiedenen Substanzen wie Benzodiazepinen und Opioiden. „Die Szene war damals anders. Menschen lagen auf dem Boden und fielen durch Türen. So etwas sieht man heute nicht mehr. Damals war es Standard, dass jemand völlig zugedröhnt war“, sagt er. Fenn hat Fälle miterlebt, bei denen Menschen an ihrer Sucht gestorben sind. Viele der Verstorbenen waren aus der Kirche ausgetreten. Fenn organisierte die Bestattungen und hielt Gedenkreden.
Drogensucht aufgrund sozialer Armut
Er hatte niemals Vorbehalte gegenüber Menschen mit Drogenabhängigkeit und selbst die gelegentlich mangelnde Hygiene bereitete ihm keine Schwierigkeiten. „Nicht jeder Drogenabhängige stammt aus einem katastrophalen Umfeld. Selbst aus wohlhabenden Verhältnissen können Menschen in die Sucht geraten und in solchen Fällen liegt die Armut oft im sozialen Bereich.“ Auch Ängste vor etwaigen Übergriffen, sei es sexueller Natur oder in Bezug auf Geldforderungen, kenne er nicht.
Das Hauptziel seiner Arbeit als Streetworker und in der Drogenberatungsstelle bestehe nicht darin, die Menschen von Drogen abzubringen, sondern ihnen Unterstützung und Hilfe in den Bereichen anzubieten, in denen sie dies wünschen. „Jeder, der zu uns kommt, tut dies freiwillig wie ein Kunde, und ein Kunde sagt uns, was er benötigt“, erklärt er.
Akzeptierende Drogenarbeit
Dieser Ansatz werde als „akzeptierende Drogenarbeit “ bezeichnet. Das Hauptziel besteht darin, die Lebensumstände der Betroffenen zu verbessern, während der Drogenkonsum akzeptiert wird. Fenn sieht die Menschen als „Drogengebraucher“, um eine stigmatisierende Haltung zu vermeiden. „Ich kann das gut akzeptieren“, betont er.
Die Menschen, die sich an Streetworker Christian Fenn (Seite 1) wenden, sei es in der Drogenberatung oder während seiner Arbeit auf der Straße, betrachten ihre Drogensucht oft nicht als ihr primäres Problem. Die Droge werde viel mehr als ein Mittel oder Werkzeug gesehen, das einen bestimmten Zweck erfüllen soll.
Oftmals sei die Wohnungssuche das vordringlichste Anliegen. Sobald jedoch Ruhe in ihr Leben einkehrt, ergeben sich oft weitere Fragen bezüglich ihres Lebenswegs, und dann kommt auch die Frage nach der Sucht auf. „Die Menschen haben auch Sehnsüchte und Wünsche, mache ganz spießige, nach Haus, Familie und einem Auto.“
Fenn unterstützt Menschen dabei, ihre Sucht zu überwinden – vorausgesetzt, sie möchten das. Er begleitet Substitutionsbehandlungen, bei denen Heroinabhängige von Ärzten Ersatzstoffe wie Methadon erhalten. Die Substitution dient dazu, Entzugssymptome zu lindern und den illegalen Heroinkonsum zu verhindern.
In den letzten 25 Jahren habe sich die Drogenszene erheblich gewandelt. Eine neuartige Entwicklung besteht darin, dass Drogen über das Internet bestellt und per Post verschickt werden. Umso wichtiger sei der Präventionsunterricht in Schulen. Für Schulen sei die Tatsache, dass Schüler „unter Drogen“ zum Unterricht erscheinen, in Therapie sind oder sogar im Gefängnis sitzen, eine ganze neue Herausforderung.
Offene Drogenszene
Als Streetworker ist er jedoch nach wie vor aktiv auf den Straßen unterwegs, denn in den größeren Ortschaften im Landkreis existiere eine offene und sichtbare Drogenszene. Er nennt es aufsuchende Drogenarbeit . Dabei sei es das Wichtigste , ins Gespräch zu kommen, zuzuhören, Interesse zu zeigen, Vertrauen aufzubauen und herauszufinden, was die aktuellen Bedürfnisse sind.
Bei Menschen mit Migrationshintergrund könne die Sprachbarriere eine Herausforderung sein, da sein Ziel nicht darin besteht, nur sachliche Informationen zu erhalten, sondern wirklich eine Verbindung zu den Menschen herzustellen. Wichtig sei, dass Kidro schnell und unbürokratisch Hilfe leisten könne, ein Schlafsack, ein Schlafplatz, die Wärmestube mit einer warmen Mahlzeit seien oft ein erster Schritt.
Für ihn als Streetworker sei es schwierig, Erfolg eindeutig zu definieren. Er versucht, Erfolg daran zu messen, ob jemand eine Wohnung findet, eine Ausbildung abschließt oder sogar länger lebt, als erwartet wurde.
In Bezug auf die Versuchung, selbst Drogen zu nehmen, sagt er entschieden: „Nein, ich verabscheue es. Ich rauche auch nicht und trinke keinen Alkohol.“
Seinen Job möchte noch möglichst lange weiter ausüben. „Warum gehen, wenn ich zufrieden bin?“ Für die Zukunft wünscht er sich, dass die Finanzierung durch Stadt und Landkreis aufgestockt und eine zweite Streetworker-Stelle ausschließlich für die Jugenddrogenberatung geschaffen wird.