Mehr als 30 Jahre lang war Karlheinz Franz Redakteur bei der Saale-Zeitung, zuvor diente er zwölf Jahre als Soldat bei der Bundeswehr . Tausende Berichte hat der heute 72-Jährige geschrieben, ein Fall ist ihm bis heute besonders gut in Erinnerung geblieben, auch weil er die Zeiten als Soldat und Redakteur miteinander verband: Vor 25 Jahren war Hammelburg über Wochen bundesweit in den Schlagzeilen, weil Soldaten aus Schneeberg auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg ein Video mit Gewaltszenen gedreht hatten. Zeitungen titelten " Skandalvideo ", der Privatsender Sat.1 sendete Szenen daraus. Politisch schlug der Fall hohe Wellen, Verteidigungsminister Volker Rühe musste sich im Bundestag rechtfertigen.
Nachgestellte Szenen
Gedreht wurden die nachgestellten Folter-, Hinrichtungs- und Vergewaltigungsszenen bereits im April 1996: Soldaten des Gebirgsbataillons 571 aus dem sächsischen Schneeberg unterstützen damals die SFOR-Ausbildung an der Infanterieschule Hammelburg . Intern wurde das Video wohl schon 1996 gezeigt, öffentlich bekannt wurde es allerdings erst am 5. Juli 1997. Karlheinz Franz kann sich noch gut erinnern: Am 6. Juli 1997 hatte er Sonntagsdienst in der Hammelburger Redaktion. "Die Leute haben hier angerufen und uns drauf hingewiesen, dass Hammelburg in der Bild am Sonntag auf der Titelseite steht."
Analoge Version des "Screenshots"
Die Möglichkeit der Online-Recherche gab es damals noch nicht, Franz ging zur Tankstelle gegenüber und kaufte eines der letzten Exemplare. Um den Bericht zu bebildern drückte er die Zeitung einem Kollegen in die Hand und machte Fotos, die er dann in der Dunkelkammer entwickelte. Einen Tag später wurden Szenen aus dem 42 Minuten langen Video in Sat.1 gezeigt. Auch hier musste sich Karlheinz Franz mit einem analogen "Screenshot" behelfen: Er stellte die Kamera auf ein Stativ vor den Fernseher und drückte einfach mehrfach ab. Ähnlich schwierig war die Recherche: "Ich habe am Sonntag nur telefonisch einen Bereitschaftsdienst im Verteidigungsministerium erreicht." Vor Ort hätten alle Verantwortlichen Stellungnahmen abgelehnt. Der damalige Kommandeur der Infanterieschule Hammelburg , General a.D. Wulf Wedde, will auch heute auf Nachfrage nichts zum Skandal-Video von damals sagen.
Weddes amtierender Nachfolger Brigadegeneral Michael Matz kann sich gut an das Video 1997 erinnern: "Ich war im April 1980 zum Unteroffizier-Lehrgang zum ersten Mal auf dem Lagerberg. Dass ich hier mal als General der Infanterie ende, war damals zwar nicht abzusehen, aber die Hammelburger Belange haben mich immer interessiert", sagt Matz. Hammelburg habe 1997 mehrfach bundesweit die Schlagzeilen beherrscht.
"Wegschauen verhindern"
Könnte ein solcher Fall heute wieder passieren? "Ich kann nicht hinter jedem Soldaten stehen und aufpassen", betont Matz, aber: "Wir haben eine Kultur entwickelt, die das Wegschauen verhindern soll", sagt der General der Infanterie, und: "Wir Vorgesetzten leben vor, wie man sich als Soldat beispielhaft zu verhalten hat." Wie wird das konkret umgesetzt? Erst vor kurzem habe es auf dem Lagerberg einen "Tag der Werte" gegeben, nennt General Matz als Beispiel. Um möglichst viele Soldatinnen und Soldaten einzubeziehen, sei an vier Tagen über grundsätzliche Fragen gesprochen worden: Vorgesetzte thematisierten die Führungskultur, Militärseelsorger gingen auf ethische Fragen ein und die Bundesforstverwaltung informierte über die Bewahrung der Schöpfung. Zudem würden die Geschichtsausstellungen auf dem Lagerberg Impulse geben.
Klare Regeln und Sanktionen
Aber auch Matz ist klar, dass Appelle alleine nicht reichen: Jeder Bewerber und jeder Soldat werden vom Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst regelmäßig unter anderem auf ihre politische Gesinnung hin überprüft. Selbst er als General der Infanterie habe einen solchen Test noch vor kurzem machen müssen, obwohl sein Dienstende am 30. September 2024 bereits fest stehe. Ziel der Infanterieschule sei, die Soldatinnen und Soldaten nicht nur als militärische Führer, sondern auch als Ausbilder und Erzieher zu sehen. Zudem gebe es strikte Regeln und Sanktionen: So ist das Fotografieren in militärischen Liegenschaften streng verboten. Wenn etwa der Abschluss eines Lehrgangs dokumentiert werden soll, müsse das Fachmedienzentrum angefordert werden, Selfies und andere Fotos seien untersagt. Es gebe sogar Testläufe, Handys bei Übungen ganz zu verbieten. "Das hätte auch einen erzieherischen Effekt", verweist Matz auf Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg: Dort hätten sich die Privathandys russischer Soldaten zu Kriegsbeginn ins ukrainische Handynetz eingewählt und so dem Gegner in die Karten gespielt.
Bei Verstößen folgt die Strafe auf dem Fuß: "Wir können Dienstvergehen von heute auf morgen sanktionieren", betont Matz, unter anderem könne sogar der Sold gekürzt werden. Und 1997? Sieben der acht beteiligten Soldaten waren bei der Veröffentlichung bereits aus der Bundeswehr ausgeschieden. Ein Fahnenjunker wurde entlassen. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt ermittelte zwar, stellte das Verfahren aber im Februar 1998 ein. Staatsanwalt Karl-Eugen Bauner sprach von "makabren und unschönen Gewaltszenen", insgesamt wurde der Vorwurf der Gewaltverherrlichung aber fallen gelassen. Weil die Soldaten in den Videos Fantasieuniformen trugen, sei auch die Bundeswehr nicht verunglimpft worden. Letztlich blieb nur die Unterschlagung von Übungsmunition, die aber wegen des geringen Schadens nicht verfolgt wurde.
"Letztlich wurden die Hintergründe nie richtig aufgeklärt", sagt Karlheinz Franz heute. Politische Motivationen seien nicht nachweisbar gewesen. Es habe Gerüchte gegeben, dass das Video verkauft werden sollte. Seine These: "Das war eine Mischung aus Langeweile, Gedankenlosigkeit und Übereifer."