Der Infanterieschule unterstellt sind die Gebirgs- und Winterkampfschule Mittenwald, die Luftlande- und Lufttransportschule Altenstadt und seit gut einem Jahr der Ausbildungsstützpunkt Spezialkräfte in Calw. Gleichzeitig ist Matz Vize-Präsident des Bundes der Infanterie. Nach zwei Jahren Pause gab es in diesem Jahr wieder einen Tag der Infanterie, wir haben in diesem Zusammenhang mit dem Kommandeur über Traditionspflege, Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten sowie Befürchtungen und Erwartungen gesprochen.
Herr General Matz, wozu dient der Tag der Infanterie?
Wir wollen hier in Hammelburg , in der geografischen Mitte Deutschlands, ein Forum bieten für aktive Soldatinnen und Soldaten, für Ehemalige und für Reservisten. Wir haben auch dieses Jahr gesehen, dass der Bedarf zum Dialog, zum Austausch, zur Pflege der Kameradschaft, zum Sich-mal-wieder-Sehen sehr groß ist. Da haben sich zum Beispiel Fallschirmjäger aus Zweibrücken in Rheinland-Pfalz und Seedorf in Schleswig-Holstein ausgetauscht. Insgesamt hatten wir zwischen 850 und 1000 Teilnehmer, wobei wir natürlich auch Kräfte und Lehrgangsteilnehmer aus dem Standort dazu nehmen. Wir haben hier auf dem Lagerberg ja 2500 Dienstposten, ich führe ungefähr 1500, dazu kommt noch einmal maximal die gleiche Anzahl an Lehrgangsteilnehmern.
Trotzdem gab es Abstriche zum üblichen Programm: Was haben Sie vor allem vermisst?
Leider konnten sich die Verbände der Infanterie nicht darstellen, also zum Beispiel die Gebirgsjäger, die auch gerne mal mit ihren Mulis kommen oder das Abseilen von Gebäuden vorführen. Verzichtet haben wir auch auf die Ausstellung der Industrie, die uns sonst Neuerungen aufzeigt. Das habe ich wegen Corona nicht gemacht.
Für wann ist der nächste Tag der Infanterie geplant, was wird dann nachgeholt?
Zum 25. Tag der Infanterie vom 12. bis 14. Juli 2023 wollen wir unter anderem mit dem Amt für Heeresentwicklung zusammenarbeiten. Dieses Amt denkt ja die Zukunft der Bundeswehr . Wir planen auch eine Industrieausstellung. Zudem gibt es schon Meldungen von Verbänden, die sich darstellen möchten, etwa die Gebirgsjäger oder das Seebataillon als Infanterieverband der Marine. Getrennt davon soll es im Mai ein Symposium geben, bei dem es ums Fachsimpeln der Kommandeure geht.
Zu Gast waren auch Vertreter anderer Nationen, unter anderem des künftigen Nato-Partners Finnland: Wie lief bisher die Zusammenarbeit mit einem blockfreien Finnland und was wird sich ändern?
Der Bund der Infanterie hat eine sehr lange Verbindung zu Finnland: Bereits im Ersten Weltkrieg wurden finnische Jäger in Hohenlockstedt in Schleswig-Hollstein ausgebildet, um in Finnland in den Freiheitskrieg zu ziehen. Bereits seit den 1950er Jahren gibt es in Hohenlockstedt eine gemeinsame Gedenkveranstaltung. Daher kenne ich viele finnische Kameraden wie den Brigadegeneral a.D. Pertti Laatikainen, Präsident der finnischen Jägerstiftung. An Nato-Übungen nehmen finnische Soldaten , ähnlich wie österreichische, schon immer teil. Ich gehe davon aus, dass wir diese Zusammenarbeiten intensivieren. Es gibt ja auch viele Finnen, die deutsch sprechen können, das ist die Voraussetzung für die Teilnahme an Lehrgängen hier in der Infanterieschule.
Aus welchen oder zumindest wie vielen anderen Staaten hat die Infanterieschule Hammelburg regelmäßig Gäste?
Wir haben in irgendeiner Form mit Vertretern fast aller Nato-Staaten Verbindung. Insgesamt waren in der langen Geschichte der Infanterieschule bereits Soldaten aus mindestens 50 Staaten zu Gast hier. Aber die intensivsten Verbindungen gibt es im Gebirgskampf mit Österreich sowie zu unseren niederländischen, französischen und US-amerikanischen Kameraden. Bis vergangenen Freitag haben zum Beispiel vier französische Soldaten an unserem Einzelkämpfer-Lehrgang teilgenommen. Aber wir hatten auch schon den Generalstabschef der pakistanischen Streitkräfte oder letzte Woche eine Delegation aus dem Kosovo hier.
Bei der Kranz-Niederlegung sagte Generalleutnant a.D. Halbauer, dass der Ukraine-Krieg die Soldatinnen und Soldaten wieder an das mögliche "scharfe Ende" ihres Einsatzes erinnert: Wie tief sitzt vor allem den jüngeren Kameradinnen und Kameraden die Angst im Nacken?
Die Infanteristen sind ja immer die, die die letzten Meter gewinnen müssen, und die gehören nicht nur uns: Wir führen die Entscheidung herbei und das eben im Angesicht des Gegners. Wenn wir die Auslandseinsätze der letzten 30 Jahre betrachten, hat die Infanterie auch die meisten Gefallenen zu beklagen: Von den 58 Gefallenen in Afghanistan zum Beispiel war ein großer Anteil Infanteristen, Gebirgs- oder Fallschirmjäger, oder diejenigen, die eng mit der Infanterie zusammen gekämpft haben, wie die Pioniere. Die Infanterie weiß, dass die Landes- und Bündnisverteidigung das scharfe Ende unseres Berufes bedeutet, darauf versuchen wir die Männer und Frauen, die hier in ihrer Führerausbildung sind, vorzubereiten. Die Infanterie spricht auch offen darüber. Und natürlich geht man mit einem mulmigen Gefühl in den Auslandseinsatz, das kenne ich selbst von meinem ersten Einsatz in Sarajewo im Jahr 1998. Aber diese Anspannung ist auch ein Stück weit Lebensversicherung, wobei das Zusammenwirken mit anderen Kameraden diese Furcht nach meiner Erfahrung immer gut auffängt.
Wie wirkt sich das in Ihrer Wahrnehmung auf die Suche nach Nachwuchs aus?
Wir haben je nach Laufbahn unterschiedliche Bewerberlagen. Am besten ist sie bei Offizieren, dort können wir aktuell aus sieben Bewerbern einen auswählen. Bei den Feldwebeln und Unteroffizieren, also mittlerer Dienst, haben wir eine Bewerberlage von vier bis fünf auf eine freie Stelle. Da lassen wir schon auch mal eine Stelle unbesetzt, weil wir auf keinen Fall unser Niveau absenken wollen. Bei den Mannschaftsdienstgraden im einfachen Dienst können wir nur aus eineinhalb Bewerbern einen auswählen. Da gibt es dann halt mal Lücken, allerdings sind die bei der Infanterie noch nicht so groß. Die Bundeswehr zahlt übrigens besser als auf dem freien Markt. Einen großen Einfluss hat auch die Region: Die jungen Leute wollen lieber heimatnah eingesetzt werden.
Bei der Diskussion um das Sondervermögen für die Bundeswehr stehen die großen Investitionen etwa für die Luftwaffe im Fokus: Was brauchen das Heer und die Infanteristen jetzt am schnellsten?
Ich habe mich nicht an den Wunschlisten beteiligt, sondern verweise auf die Forderung des Generalinspekteurs der Bundeswehr , unserem höchsten militärischen Vorgesetzten. Ja, die Luftwaffe hat den höchsten Anteil, weil fliegende Systeme teuer sind, aber das Heer ist oft der Hauptnutzer. Mich freut, dass es viele schnelle Erfolge gibt: Im Winter ist es ja für alle Soldaten gleich kalt, deshalb kann ich nicht sagen, dass nur der Fallschirmjäger warme Unterwäsche bekommt oder die, die nach Litauen gehen. In Hammelburg hat Anfang Juli die Zusatzausrüstung begonnen, von der Funktionsunterwäsche, über die Schutzweste bis zum Helm. So erkennt jeder Soldat hier auf dem Lagerberg, dass sich etwas tut. Das sind 2,5 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen. Das soll bis Ende September alle erreichen, auch in neuen und passenden Größen.
Und wenn es doch eine Wunschliste gäbe?
Für die Infanterie wünsche ich mir speziell eine schwerere Version des gepanzerten Fahrzeugs "Boxer" mit 30-Millimeter-Kanone als Unterstützungswaffe. Da werden wir voraussichtlich 2027 als Schule die ersten sein, die beliefert werden, um daran ausbilden zu können. Unabhängig vom Sondervermögen ist zum Beispiel die Erneuerung des laserbasierte Waffentrainingssystem Agdus auf den Weg gebracht. Vielleicht geht das durch die 100 Milliarden zusätzlich jetzt schneller.
Stichwort Corona: Herrscht an der Infanterieschule bereits wieder Normalbetrieb oder gibt es nach wie vor Einschränkungen im Übungsbetrieb?
Wir hatten schon relativ früh für jeden Lehrgang und jedes Gebäude Hygienekonzepte und hatten deshalb - abgesehen von der Zahl der Teilnehmer - wenig Einschränkungen. Uns begünstigt hat die Duldungspflicht, also dass sich Soldaten verpflichtend impfen lassen müssen. Ich habe eine Impfquote von 99,6 Prozent. Die 0,4 Prozent sind nicht Verweigerer sondern Kameraden, die auf Grund medizinischer Gründe nicht geimpft werden können. Für sie bieten wir jede Woche kostenlose Tests an.
Von wie vielen Mitarbeitern mussten Sie sich am Ende trennen?
Von zweien, beide noch im alten Jahr. Aber 2 von 2500 ist eine vernachlässigbare Größe. Wir behalten die Corona-Zahlen im Auge, in jeder Morgenlage schauen wir gespannt auf alle Kreise, in denen wir vertreten sind, und auf die Belegung der Intensivbetten. Wir sind auch darauf eingestellt, unsere Regeln wieder zu verschärfen.
Was wird wird von Corona bleiben?
Da gibt es einiges, ich gebe mal ein Beispiel: Wenn man bei einer Gebirgstruppe Knoten und Bunde lernt, dann kann man das mit Video-Anleitungen daheim ohne Zeitdruck üben. Durch ein Video mit Geländeprofil und anderen Informationen zu einem Geländemarsch ist es uns gelungen, die Durchfallquote beim Eingangstest um zehn Prozent zu verringern. Aber am Ende lebt Infanterie zum Zusammenwirken der Gruppe oder des Zuges, das muss weiterhin in Präsenz erfolgen.
Die Infanterieschule hat auch die fachliche Aufsicht der KSK-Ausbildung übertragen bekommen: Wie froh sind Sie, dass es derzeit keine negativen Schlagzeilen vom KSK gibt?
Ich freue mich natürlich, dass diese Art von Nachrichten gegen Null gegangen ist. Ich bin für die Ausbildung der künftigen Kommandosoldaten zuständig. Das ist zunächst ein zwölfwöchiges Qualifizierungsprogramm, das läuft auch gerade jetzt wieder in Hammelburg . Das ist ein hartes Auswahlverfahren in Begleitung mit Psychologen und Sportlehrer. Früher gab es einen Ausbilder und zehn Teilnehmer, das haben wir erweitert. Danach schließt sich eine zweijährige Ausbildung an, in allen Klimazonen, also nicht nur in Hammelburg und Calw, sondern auch im Hochgebirge, in der Wüste, im Dschungel oder in der Arktis. Die größte Herausforderung ist aktuell, dass wir noch zu wenige Freiwillige haben, die sich dieser Herausforderung stellen.