Wohl nie zuvor waren die Nüdlinger in ihrer Meinung so gespalten wie bei der Frage um den Bau der Umgehungsstraße. Bei einer Bürgerbefragung im Sommer hatte sich die Mehrheit dagegen ausgesprochen, doch der Gemeinderat hatte sich darüber hinweggesetzt und sich im Juli für die Umgehung entschieden.
Nun sollen alle wahlberechtigten Einwohner am 9. Februar in einem Bürgerentscheid verbindlich abstimmen, ob dieser Gemeinderatsbeschluss zurückgenommen werden soll. Wer für die Umgehungsstraße ist, muss mit Nein stimmen. Um diesen vermeintlichen Widerspruch zu erläutern und um ihre Gründe für den Bau der Nordumgehung noch einmal aufzuzeigen, hatte die Bürgerinitiative "Verkehrsentlastung Nüdlingen " unter Leitung von Gemeinderätin Anita Haub (Bürgerblock) in den Pfarrsaal eingeladen.
Kaum waren die Fachvorträge abgeschlossen meldete sich gleich nach Eröffnung der Diskussionsrunde Marcus Lipsius als Sprecher der gegnerischen Bürgerinitiative "Contra Umgehung" zu Wort. Er bemängelte das Fehlen einer Podiumsdiskussion, bei der beide Seiten ihre Argumente hätten austauschen können. Seine Bürgerinitiative sei nur als Zuhörer eingeladen.
Diesem Vorwurf widersprach Gastgeberin Anita Haub. Lipsius könne sich jederzeit mit seinen Argumenten zu Wort melden. Doch obwohl Moderator Tobias Eichelbrönner aus Hammelburg - "weit entfernt und deshalb objektiv" - mehrmals auch die Umgehungsgegner zur Wortmeldung aufforderte, verzichtete Lipsius. Auch andere Besucher zeigten sich von der "einseitigen Darstellung" enttäuscht, obwohl sie die Notwendigkeit einer Verkehrsentlastung in der Ortsmitte durchaus anerkannten: "Die Nordumgehung ist doch kein Allheilmittel. Gibt es denn keine Alternativen?"
"Dies ist nur eine Werbeveranstaltung der Befürworter", zeigte sich auch ein anderer Gast enttäuscht, der die von Alexander Haub und Florian Wilm zuvor in sachlichem Ton vorgetragenen Fakten, Tabellenwerte und Prognosen anzweifelte. "Eine Meinungsbildung ist hier nicht möglich."
Gemeinderätin Haub hielt dem entgegen, alle Daten seien Angaben von Experten. "Wenn man diesen Fachleuten nicht glaubt, wem soll man dann glauben?" Zweifel an den Prognosen ließ auch Wilm nicht gelten. Selbst wenn es einen umweltbewussten Wandel im Verkehrsaufkommen geben sollte, würde dies allenfalls einen Rückgang von fünf bis zehn Prozent in der Nüdlinger Hauptstraße B287 ausmachen, nicht aber die durch die Umgehung versprochenen 70 Prozent. Zu den vor Jahren im Ortskern gezählten 10 000 Fahrzeugen pro Tag sagte er: "28 Prozent sind wir Nüdlinger selbst, aber 72 Prozent wollen hier nur durchbrettern."
Dem Argument, weitere Grünflächen würden unnötig versiegelt, wurde entgegen gehalten: "Das ist doch keine Natur. Das sind landwirtschaftliche Industrieböden."
Die Mehrheit der Besucher unterstützten erwartungsgemäß die von Alexander Haub und Florian Wilm vorgetragenen Argumente, zumal sich beide in ihrem Referat bemüht hatten, bereits bekannte Gegenargumente mit Fakten zu entkräften. Stattdessen kritisierten diese Besucher die Contra-Initiative, seit 2016, als das staatliche Straßenbauamt erstmals Pläne vorgestellt hatte, bis heute keine Alternativen aufgezeigt zu haben. Dieses erst, wie von der Contra-Initiative kürzlich angekündigt, nach der Wahl tun zu wollen, "bringt doch nichts. Unsere Nachbargemeinden lachen schon über uns."
Dies bestätigte auch der langjährige Gemeinderat Ewald Kiesel. " Nüdlingen hat den stärksten Durchreiseverkehr im ganzen Landkreis." Alle Gemeinderäte hätten deshalb seit Jahrzehnten eine Umgehung gefordert. Jetzt soll sie nach 50 Jahren endlich kommen. "Niemand im Landkreis versteht die Kritiker ." Die Aufnahme der Nordumgehung in den Bundesverkehrswegeplan sei die große Chance für Nüdlingen , gab Kiesel zu bedenken. Sollten die Kritiker beim Bürgerentscheid am 9. Februar gewinnen und der Gemeinderat folglich gezwungen sein, seine Zustimmung zum Bau der Umgehungsstraße zurückzunehmen, "dann ist die Sache für die nächsten 50 Jahre gestorben."
Nach dem knapp einstündigen Sachvortrag der beiden Referenten musste schließlich Moderator Eichelbrönner auch die rege Diskussionsrunde nach einer weiteren Stunde schließen. Alle Argumente schienen ausgetauscht, zumal sich schon manche wiederholten. Die Aussprache war ruhig und sachlich verlaufen. Ob man aber die Kritiker hatte überzeugen können, blieb offen.