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BAD KISSINGEN
Bismarcks Kissinger Grundpfeiler der Sozialversicherung
Peter Rauch
 |  aktualisiert: 27.06.2014 18:55 Uhr

„Die deutsche Sozialversicherung wurde eigentlich in Bad Kissingen begründet“, sagt Prof. Peter Deeg und findet, dass das „viel zu wenig bekannt“ ist. Nicht zuletzt deswegen hat der Chef der Deegenberg-Klinik für den 9. Juli an die 20 Vertreter der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) in die Kurstadt eingeladen. Er selbst gehört dem GVG-Rehaausschuss schon länger an und weiß, dass sich die Kollegen gern andernorts in der Praxis umsehen. Bei dem Treffen will Deeg die Gäste auch ins Bismarck-Museum lotsen, denn der Reichskanzler soll in der Oberen Saline seine Reform der Arbeiterversicherung ausgebrütet haben.

1883 führte Otto Fürst von Bismarck die Krankenversicherung ein und 1884 die Unfallversicherung. Ab 1889 konnten die Arbeitnehmer sich erstmals gesetzlich für das Alter und gegen Invalidität absichern. Doch wer glaubt, dass diese Gesetze aus reiner Menschenfreundlichkeit entstanden, der irrt. Denn Kaiser Wilhelm I. und sein Reichskanzler fürchteten damals das Erstarken der Sozialdemokraten. Bismarck entwarf 1878 sogar ein „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, das auch durch ging. Etwa 1000 Sozialisten wurden ausgewiesen. Für Bismarck waren sie, historischen Quellen zufolge, „Ratten“, die vertilgt werden sollen.

In diesem Zusammenhang sehen nahezu alle Historiker Bismarcks Sozialgesetzgebung in einem anderen Zusammenhang: Die Versicherungsgesetze waren als Kampfmittel gegen die Arbeiterbewegung gedacht, der man so die Basis im Volk entziehen wollte. Während diese Gesetze damals als plötzliche Wohltat des Staates verstanden wurden, gehört das System der Sozialversicherung heute mit zu den Grundpfeilern des Wohlfahrtsstaates. Doch ist es nun tatsächlich wahr, dass Bismarck die Grundgedanken seiner Reform in Kissingen entwickelte?

15 Mal war der Reichskanzler jedenfalls hier zur Kur. Zum ersten Mal kam er im Juli 1874 und stieg in einer Unterkunft in der heutigen Bismarckstraße ab. Bei den nachfolgenden Aufenthalten zog er es vor, außerhalb der Stadt in der Oberen Saline zu logieren. Laut Geschichtsbuch war er dort im Oktober 1893 zum letzten Mal wohnhaft. Da waren all seine Versicherungsgesetze schon durch. Immerhin soll er insgesamt 66 Wochen in Kissingen gewesen sein. Nicht umsonst titelte die „Wiener neue Freie Presse“ damals: „Der Mittelpunkt des Deutschen Reiches ist nun nach Kissingen verlegt.“

Am 14. August 1880 hat Bismarck sich in der Oberen Saline bei einer Unterredung mit dem Präsidenten des Reichskanzleramts, Karl von Hohmann, über eine Reform der Versicherungsgesetze ausgetauscht. Das kann man auf einer der Tafeln in der Bismarckwohnung lesen, die unter Federführung von Stadtarchivar Peter Weidisch entworfen wurden.

Der Präsident soll ihm die Denkschrift des Industriellen Louis Baare mitgebracht haben, heißt es weiter. Baare wollte das seiner Ansicht nach unzureichende Haftpflichtgesetz von 1871 abändern und eine unter staatlicher Aufsicht stehende Versicherung gegen Arbeitsunfälle einführen. Laut Weidischs Tafeln gibt es Auszüge dieses Schriftstücks mit Randbemerkungen Bismarcks, aus denen hervorgeht, dass ihm Baares Vorstellungen einleuchteten.

Von Kissingen aus lud er den Industriellen zu einem Gespräch ein. Einen Tag nach der Rückkehr aus dieser Kur ließ Bismarck, nach Weidischs Ausführungen, das preußische Staatsministerium zusammenrufen und verkündete, dass nun auf Grund der Baare'schen Denkschrift die „Herstellung einer Vorlage über diesen Gegenstand“ in Angriff genommen werden soll.

 
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