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BAD KISSINGEN
Bewegte Geschichte der weißen Villa Sattler
Gegenstand des stadtgeschichtlichen Gesprächs des Curatoriums Historisches Bad Kissingen war das „Weiße Haus“ in der Kurhausstraße.
Von Werner Eberth
 |  aktualisiert: 07.10.2009 19:53 Uhr

Kreiskulturreferent Werner Eberth schilderte die bauliche Situation in der Kurhausstraße um das Jahr 1830, die damals auch „Würzburger Allee“ genannt wurde. An der Ausfallstraße nach Würzburg wurden damals bereits 364 Fremdenbetten, zum Großteil der damaligen Luxuskategorie, angeboten.

1838 besaß der Schweinfurter Fabrikant Wilhelm Sattler eine Villa in der Kurhausstraße, die er durch Zimmervermietung nutzte. Als 1839 der damalige Landrichter Julius von Rotenhan anordnete, dass jedes Kurheim wie ein Gasthaus einen Namen haben müsse, wählte er den Namen „Zum weißen Haus“, vom Landgericht ins Französische übersetzt „A la maison blanche“. König Ludwig I. hat kurz darauf bei einem Besuch in Kissingen diese Aktion missbilligt, weswegen sie in Vergessenheit geriet. Nur der Name „Weißes Haus“ hat sich bis heute erhalten. Vermutlich war die Villa Sattler weiß verputzt.

Nach dem Tod von Wilhelm Sattler 1859 wurde das Anwesen offenbar in der Familie Sattler aufgeteilt. Haupterbe war der Sohn Jenns. Nach dem Adressbuch des Jahres 1865 gehörte dann nur noch das Anwesen Nr. 93 der Erbengemeinschaft Sattler, während die Nr. 94 dem praktischen Arzt Dr. S. Gätschenberger gehörte. Nach den Grundakten im Staatsarchiv Würzburg gehörte dieses Haus 1874 dann einem Dr. Georg Ehrenburg, der es für 36.000 Gulden an den Arzt Dr. Gustav (II.) Diruf verkaufte.

Diruf war seit 1871 kgl. Badearzt in Bocklet mit einer Remuneration von 150 Gulden im Jahr und hatte sich 1874 in Kissingen niedergelassen. Nach Angaben aus der Familie machte Dr. Gustav (II.) Diruf wie sein Vater Dr. Gustav (I.) große Reisen, er arbeitete im Sommer als Badearzt in Kissingen und Bocklet und im Winter als Schiffsarzt. Die Badearztdynastie Diruf war in sechs Generationen im Bad Kissingen als Ärzte tätig.

1886 ist im Grundbuch noch als Miteigentümerin die erste Frau von Gustav Diruf, Minnie, geb. Detmold, aus Hamptonwick (Großbritannien) eingetragen. Nach der Grabinschrift am Familiengrab Diruf war sie aber bereits 1883 in Kissingen gestorben. Diruf hat dann wieder geheiratet und zwar die wesentlich jüngere Thusnelda (Nelly) Voigts aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie. Gustav Diruf selbst starb am 1. November 1909.

Da das „Weiße Haus“ ihre Lebensgrundlage war, startete die 42-jährige Witwe durch und beauftragte 1912 den Architekten Franz Krampf mit der Aufstockung und dem Umbau des Hauses. Sie gehört damit zu den „Erfolgreichen Kissinger Unternehmerinnen – dank Witwenprivileg“. Der Neubau war offenbar nur mit hoher Verschuldung möglich und hat nur in Kaiserszeiten einen guten Gewinn abgeworfen. Das Ergebnis ihres Einsatzes im Jahr 1912 wurde vor einigen Jahren unter Denkmalschutz gestellt und ist vom Verfasser der Denkmalliste Dr. Chevalley beschrieben: „Kurhotel, dreigeschossiger Mansarddachbau mit Zwerchhausgiebeln, Spätjugendstil, 1911-12 von Franz Krampf unter Verwendung des Vorgängerbaus.“

Nelly Diruf hat sich noch einen weiteren kunstgeschichtlichen Fleißpunkt verdient: Sie hat nämlich 1928 bei einer Vorsprache in der Stadtverwaltung zwei Gipsmodelle des Künstlers Michael Arnold erbeten und damit vor der sicheren Zerstörung bei der Auflösung des 1. Kissinger Heimatmuseums in der danach abgebrochenen alten Synagoge (heute Bachstraße) gerettet. Da die Gipsmodelle ohnehin zerschlagen werden sollten, war man bei der Stadt gewissermaßen froh, die beiden Büsten abzugeben.

Nelly Diruf starb 1930 in Bad Kissingen, ihr Sohn Gustav (III.) Oskar (1891-1977) – seinen zweiten Vornamen hatte er nach seinem Taufpaten und Großonkel Dr. Oskar Diruf – führte in fünfter Generation die Arztpraxis weiter. Nach Angabe seines Sohns Prof. Günther Diruf (Bamberg), war das Haus noch mit hohen Hypotheken belastet, während die Belegung gerade in der NS-Zeit (Wegfall der reichen Ausländer) zu wünschen übrig ließ. Außerdem waren noch Geschwister nach dem Erbfall auszuzahlen. Gustav (III.) Diruf bewarb sich daher um eine Praxis in Landshut und zog nach Verkauf des Kurhauses wohl schon 1934 von Bad Kissingen weg. Er ist in Landshut 1977 verstorben und dort begraben.

1937 erscheint im Grundbuch als neuer Eigentümer des Kurhauses Dr. Diruf das „Evangelische Kurhospiz“, später berichtigt auf „Christliches Kurhospiz Weißes Haus“. 1970 ist neuer Eigentümer Alfons Rockenmaier, ab 1977 zusammen mit Rainer Rockenmaier. 1979 erscheinen im Grundbuch als neuer Eigentümer Günther und Gisela Hartmann, ab 1988 letztere allein. 1998 hat das Haus Peter Reißmann erworben, heute gehört das Haus russischen Investoren, deren Geschäftsführer Vassili Ledin die Zuhörer zu einem Umtrunk und einem Imbiss einlud.

Von Anliegern wurde bedauert, dass in dem Vortrag die Nachkriegsgeschichte zu kurz gekommen sei, vor allem die Verdienste des langjährigen Verwalters des „Christlichen Hospizes“, Paul, den es 1946 aus Lauenburg bei Danzig nach Bad Kissingen verschlagen hatte. Sein Sohn Otto berichtete, dass der damalige evangelische Stadtpfarrer das von den Amerikanern beschlagnahmte Haus zur Unterbringung von Flüchtlingen frei bekommen hatte. In den ersten Jahren sei das Haus mit zahlreichen Flüchtlingsfamilien überbelegt gewesen.

Vorsitzender Hjalmar Franke dankte für den Vortrag und griff den Vorschlag auf, auch die Geschichte des anderen Anwesens von Wilhelm Sattler, heute als „Marinekurlazarett“ bekannt, vorzustellen. Als Termin ist der 15. Oktober vorgesehen.

Nelly Diruf, geborene Voigts, war eine der Kissinger Unternehmerinnen, die dank Witwenprivilegs erfolgreich waren.
Foto: Repro Eberth | Nelly Diruf, geborene Voigts, war eine der Kissinger Unternehmerinnen, die dank Witwenprivilegs erfolgreich waren.
 
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