Ein cleveres Kerlchen sei er schon, konstatierte sein Rechtsanwalt. Aber hätte Manuel J.* (20) aus Oberleichtersbach seine Intelligenz dazu eingesetzt, eine Ausbildung als Informatiker fortzusetzen, wäre er vielleicht nicht vor dem Kissinger Amtsgericht gelandet. Dort musste er sich unter anderem wegen Betrugs und Datenklaus verantworten. Seine Mittäter: seine Mutter (39) und sein Kumpel (18). Seine Opfer: Sparkassen-Kunden, denen er das Konto leerräumte. Oft Rentner, „weil die im Kopf so dumm sind“, wie er in einer Handynachricht notierte. Der Schaden: über 160.000 Euro . Das Geld? Hat er verballert, es ist nichts mehr übrig.
Zunächst Computerspiele angeboten und nicht geliefert
Bevor sich Manuel J. auf die sogenannten „Sparkassenfälle“ konzentrierte, übte sich der heute 20-Jährige mit 18 Jahren in fast schon alltäglichem Internet-Betrug : Auf Ebay bot er meist Computerspiele an, die von den Käufern bezahlt wurden – und die dann vergeblich auf die Lieferung der Ware warteten.
Sein Kumpel Jürgen* (damals um die 16) schaute sich diese Form der Geldeinnahme ab – und machte es Manuel nach. Auch dafür stand der Kumpel, heute 18, mit Manuel vor Gericht. Die Dritte im Bunde war Manuels Mutter . Auch sie beteiligte sich an den Ebay-Betrügereien, allerdings längst nicht in dem Umfang wie ihr Sohn.
Schwierige Kindheit des Angeklagten
Im Prozess wurde offenkundig, dass Manuel J. in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen war. Seine Mutter , 39 Jahre alt, konnte nach eigenen Angaben aufgrund verschiedener psychischer und physischer Erkrankungen noch nie arbeiten. Ihr Leben bestreitet sie Bürgergeld und Kindergeld. Aus einem anderen Verhältnis hat Manuel noch einen zehnjährigen Bruder.
Das Verhältnis zu Manuel beschrieb die Mutter als zwar eng und harmonisch, aber – sehr selbstkritisch – nicht kindgerecht. „Ich bin eher Freundin als Mutter , das ist nicht gut“, sagte sie. Und Manuel habe das Gefühl gehabt, seine Mutter unterstützen zu müssen, ihr zu helfen – so beschreibt es die Fachfrau von der Jugendhilfe. Manuels Unterstützung: Er kaufte seiner Mutter teure Haushaltsgeräte wie einen Dyson-Staubsauger, der rund 800 Euro kostet.
So richtig auf dicke Hose machten Manuel und Jürgen mit den „Sparkassenfällen“, wie sie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage bezeichnete. Die Masche ging so: Seit März 2022 bietet die Sparkasse ihren Kunden die Möglichkeit, sich über Homebanking eine digitale EC-Karte zuzulegen. Dazu wird lediglich eine TAN-Nummer benötigt. Im Anschluss kann die Karte in Mobilgeräten über die App „Mobiles Bezahlen“ für Android-Handys oder ein Wallet ( Apple ) eingepflegt und ohne PIN genutzt werden. Verfügungsrahmen pro Tag: 5000 Euro .
Im Darknet Datensätze gekauft
Manuel machte sich im Darknet schlau. Er kaufte Datensätze von Sparkassenkunden über eine Plattform, die wie ebay.de aufgemacht ist und Datensätze aller Art zum Kauf anbietet. Die Daten stammen überwiegend aus Phishing-Angriffen oder Datenleaks. Gezahlt wird in Kryptowährung, „das sind etwa so hundert bis zweihundert Euro pro Datensatz“, wie Manuel vor Gericht erklärte.
Und so lief die Betrugsmasche ab: Ein Dritter übernahm die Rolle des sogenannten „Caller“. Der rief die späteren Opfer an, gab sich als Sparkassenmitarbeiter aus und brachte die oft arglosen und häufig alten Menschen dazu, für ihn eine TAN-Nummer erstellen zu lassen und ihm die am Telefon zu übermitteln.
Bankmitarbeiter tun das nie
An dieser Stelle: Die Polizei und diverse Banken warnen immer wieder davor - Bankbearbeiter werden Sie niemals nach einer geheimen PIN oder nach der TAN-Nummer fragen - legen Sie in solchen Fällen einfach auf.
Zurück zum Fall: Die TAN-Nummer schickte der Caller dann per Handy im Telegram-Chat an Manuel. Der wiederum konnte so die digitalen EC-Karten für die Konten der Opfer erstellen – und ruck zuck hatte Manuel so quasi 5000 Euro mit jeder erfolgreich abgezockten TAN-Nummer in der Hand. 1000 Euro bekam der Caller bei Erfolg.
Ein Opfer wurde um rund 9000 Euro beklaut
Mit den digitalen EC-Karten gingen Manuel, seine Mutter und Kumpel Jürgen shoppen. Über 120 „Einkäufe“ mit dem Geld von 31 Opfern hatte die Polizei zusammengetragen. Mit der Karte eines Opfers beispielsweise kauften sie insgesamt für rund 9000 Euro ein – sie zahlten das Essen bei McDonald‘s in Werneck (7,58 Euro ) ebenso wie Elektrogeräte beim Media Markt Schweinfurt (4305,96 Euro ) oder Würzburg (1084,28 Euro ). In vielen Fällen füllten sie den Kühlschrank auf oder gingen schick essen. Insgesamt entstand hier ein Schaden von 152.852 Euro .
Zu 99 Prozent, so Manuel vor Gericht, wurden die Waren weiterverkauft. Derart zu Geld gekommen, hatte Manuel schnell auf ganz dicke Hose gemacht. Er fuhr einen Mercedes AMG (ab 60.000 Euro ) und gefiel sich in der Gönnerrolle. Bis die Polizei vor der Tür stand.
U-Haft jagte den jungen Männern Respekt ein
Ein halbes Jahr saß Manuel in U-Haft, Kumpel Jürgen drei Wochen. Das scheint bei beiden nachhaltig gewirkt zu haben. Manuel J. macht derzeit ein Langzeitpraktikum als Zahntechniker, den Ausbildungsvertrag ab September in diesem Beruf hat er in der Tasche.
U-Haft sorgt für Depressionen
Jürgen Z. hingegen hat noch nicht so richtig Fuß gefasst. Der 18-Jährige geht nicht zur Berufsschule, obwohl er es müsste, eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann ist noch in weiter Ferne. Seine Freizeit verbringe er vor dem Computer, „ich mache so gut wie nichts“. Die U-Haft war für ihn so schlimm, dass er Depressionen entwickelt habe und deshalb Medikamente nehme. Demnächst beginne eine Therapie, sagt seine Anwältin.
Beide jungen Männer wie auch die Mutter legten ein umfassendes Geständnis ab. Zuvor war ihnen schon in Aussicht gestellt worden, dass sie durchs Geständnis mit milden Urteilen rechnen könnten – alle Geschädigten als Zeugen vor Gericht zu laden, wäre ausufernd geworden.
Täter müssen Geld zurückzahlen
Manuel J. vor Gericht: „Ich habe nur das Geld gesehen und nicht nachgedacht, wie es den Geschädigten geht.“ Wie es einem geht, der weniger Geld zur Verfügung hat, wird er jetzt lernen müssen. Denn er muss im Laufe seines Lebens 164.399,54 Euro zurückzahlen – entweder den Opfern, oder der Versicherung der Bank, wenn die eingesprungen ist. Jürgen Z. steht mit 37.179,85 Euro bei den Geschädigten in der Kreide, die Mutter mit 2732,87 Euro .
"Ich bereue zutiefst jede einzelne Tat"
Die Urteile fielen wie erwartet mild aus, da nach Jugendrecht geurteilt wurde – und da steht der Erziehungsauftrag im Vordergrund. Manuel erhielt zwei Jahre Gefängnis, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Dazu muss er einen Tilgungsplan vorlegen und trägt die Kosten des Verfahrens; Jürgen Z. erhielt 15 Monate, auch auf drei Jahre ausgesetzt. Dazu muss er 160 Sozialstunden leisten, monatlich mindestens 20 Stunden, um ihn „aus dem Alltag zu reißen“, so die Richterin.
In seinem Schlusswort beteuerte Jürgen nochmals, wie leid ihm alles tue: „Ich bereue zutiefst jede einzelne Tat. Ich will mein Leben auf die Reihe kriegen und keine Straftaten mehr begehen.“
Manuels Mutter erhielt eine Gefängnisstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zu einer zweijährigen Bewährung. Außerdem muss sie 600 Euro an die Tafel in Bad Brückenau zahlen und sich auch an den Verfahrenskosten beteiligen. Sie zeigt sich wieder selbstkritisch: „Ich habe Luxus auf dem Rücken anderer genossen. Die U-Haft meines Sohnes hat mir die Augen geöffnet. Ich arbeite daran, nun ein besseres Verhältnis zu Geld zu kriegen.“
*Alle Namen geändert