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LKR Bad Kissingen
Besser neu fairhandeln: Auswirkungen von Ttip und Ceta auf den Landkreis Bad Kissingen
Vom Handelsabkommen "Ceta" sind auch Landwirte und Bürger im Landkreis betroffen. Die ÖDP will das Abkommen nun mit einem Volksbegehren verhindern.
Frank Vogler von 'Voglers Hofprodukten' sorgt sich um die regionale Landwirtschaft, sollten die Handelsabkommen Ceta und Ttip beschlossen werden. Foto: Benedikt Borst       -  Frank Vogler von 'Voglers Hofprodukten' sorgt sich um die regionale Landwirtschaft, sollten die Handelsabkommen Ceta und Ttip beschlossen werden. Foto: Benedikt Borst
| Frank Vogler von "Voglers Hofprodukten" sorgt sich um die regionale Landwirtschaft, sollten die Handelsabkommen Ceta und Ttip beschlossen werden. Foto: Benedikt Borst
Markus Klein
 |  aktualisiert: 19.08.2022 23:30 Uhr
Waldemar Bug, Kreisvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) für den Landkreis Bad Kissingen und Bürgermeister von Burkardroth, blickt besorgt in die Wirtshausrunde in der "Fränkischen Schmankerlstube" in Kleinbrach, bevor er ausholt: "Die kommunale Wasserversorgung ist gefährdet, die regionale Landwirtschaft wird durch Gentechnik und Preisdruck gezwungen, möglichst billig zu produzieren, mittelständische Unternehmen bekommen Konkurrenz aus Nordamerika, soziale Errungenschaften, Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte sind in Gefahr."

Und zwar wenn, so Bug, das Freihandelsabkommen Ceta ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") zwischen der Europäischen Union und Kanada ratifiziert werde. Das Abkommen gilt als Vorreiter für Ttip ("Transatlantic Trade and Investment Partnership"), ein sehr ähnliches Abkommen mit den USA, das aber noch nicht ausverhandelt ist.


Bayerisches Schlupfloch

Über das Ceta-Abkommen muss aber - so ist es jedenfalls bislang geplant - noch im Bundestag und im Bundesrat abgestimmt werden. Die bayerische ÖDP will nun mit einem Volksbegehren gegen Ceta vorgehen. Dazu lud Bug in der vergangenen Woche den bayerischen Landesvorsitzenden der ÖDP, Klaus Mrasek, nach Kleinbrach ein. Zwar ist weder auf EU- noch auf Deutschland-Ebene ein Volksbegehren möglich, doch habe Mrasek ein "Schlupfloch" in der bayerischen Verfassung entdeckt: Laut Artikel 70 kann der Freistaats gegen EU-Beschlüsse vorgehen, wenn ein EU-Gesetz in die kommunale Selbstverwaltung eingreift. Laut Mrasek ist das bei Ceta der Fall, denn durch das Abkommen könnte beispielsweise die kommunale Wasserversorgung privatisiert werden. Das Volksbegehren, das auch von mehreren Bürgerrechts- und Umweltorganisationen unterstützt wird, soll die bayerische Regierung dazu verpflichten, im Bundesrat gegen das Abkommen zu stimmen. Wenn es nicht durch den Bundesrat kommt, ist es vom Tisch.


Regionale Landwirtschaft

Die rund 15 ÖDP-Mitglieder in Kleinbrach diskutieren viel über den unfairen Welthandel und die geheimen Schiedsgerichte, vor denen Staaten von Unternehmen verklagt werden können. Doch auch die Auswirkungen des Abkommens auf Unternehmen und Bürger aus der Region werden angesprochen. Aber fühlen die sich auch betroffen?

Frank Vogler, Geschäftsführer eines Familienbetriebs in Wartmannsroth, der Eier und Nudeln aus regionaler Produktion anbietet, hat "Befürchtungen was den landwirtschaftlichen Sektor betrifft", wie er sagt. "Gentechnik brauchen wir hier nicht!"

Und die Einführung von genetisch verändertem Saatgut wäre durch Ceta möglich. In den USA und Kanada gibt es Firmen, die solche Samen herstellen und patentieren. Die sind billiger, doch muss anders als in der traditionellen Landwirtschaft das Saatgut jedes Jahr erneut von der Firma gekauft werden. Die Auswirkungen der Genprodukte auf Mensch und Umwelt sind unklar. Er habe bereits eine Petition gegen Ttip und Ceta unterschrieben, sagt Vogler, und könne sich vorstellen, auch das Volksbegehren zu unterstützen.


Chancen und Risiken für Bauern

Denn: "Einen Mehrwert für die Landwirtschaft sehe ich nicht." Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass durch den Abbau von Handelsschranken durch Ceta und Ttip die Wirtschaft in der EU um 0,08 Prozent wachsen würde und 250 000 Arbeitsplätze entstünden. "Das ist ein Witz", meint Vogler. "Außerdem kann es nicht sein, dass die Verhandlungen im Geheimen stattfinden. So wird die EU zum Handlanger der Industrie." Stefan Karch, Landwirt in Eltlingshausen, fürchtet eine Aufweichung von Qualitätsstandards durch die Abkommen. "Außerdem werden Billigimporte den ohnehin schwierigen landwirtschaftlichen Markt belasten", meint er. Denn die nordamerikanische Konkurrenz könne wegen größerer Flächen und Gentechnik billiger produzieren. Auch er sehe "für die Landwirtschaft keine Bereicherung."

Der Bayerische Bauernverband (BBV) ist etwas zuversichtlicher: "Für die bayerische Landwirtschaft bieten die geplanten Handelsabkommen Chancen für den Verkauf von Agrarerzeugnissen und hochwertigen Lebensmitteln ins Ausland", so Bauernpräsident Walter Heidl, "doch müssen die Sorgen von Bevölkerung und Bauernfamilien ernst genommen werden. Der BBV begleitet die Verhandlungen deshalb wachsam und kritisch. Die Standards unserer Landwirtschaft müssen unter allen Umständen verteidigt werden." Ob der BBV das Volksbegehren unterstützen wird, ist noch nicht entschieden.


Lieber "Fairhandel" als Freihandel

Die ÖDP sieht eine deutliche Verschlechterung für die regionale Landwirtschaft wie auch für die globale Situation: "Die Flüchtlingskrise wird schlimmer, wenn sich die Schere zwischen Armen und Reichen weiter öffnet", meint Waldemar Bug in Kleinbrach. "Wir können so nicht weiterwirtschaften." Ceta und Ttip würden die Ungleichheit noch verstärken. Deshalb stellt die ÖDP neben der Kritik an den Abkommen auch einen Gegenentwurf vor: "Statt mehr Freihandel brauchen wir ein Fairhandelsabkommen", sagt Mrasek. In diesem sollten sich Staaten zu den Arbeitsschutzvorschriften der Vereinten Nationen, zu existenzsichernden Mindestlöhnen und zur stetigen Verbesserung des Umweltschutzes verpflichten, um am internationalen Handel teilnehmen zu dürfen. Die Idee dazu habe er ebenfalls aus der Bayerischen Verfassung. Denn in Artikel 151 heißt es: "Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl." Zum Abschluss in Kleinbrach rät Mrasek allen, sich einmal mit der Verfassung zu beschäftigen. "Da stecken viele Errungenschaften drin. Die sollten wir nicht aufgeben."





Kommentar: "Mehr Demokratie in der EU"

Das Brexit-Referendum sollte uns nicht davon abhalten, mehr direkte Demokratie zu fordern. Denn nur weil die Bürger Großbritanniens eine Entscheidung getroffen haben, die vielen nicht passt, heißt das nicht, dass man die Bürger nun lieber gar nicht mehr fragt. Gerade um die Europäische Union zu festigen wäre mehr Mitbestimmung und Transparenz wünschenswert; um nicht den euroskeptischen Eindruck weiter zu verstärken, dass "die da oben eh machen was sie wollen." Und der wird nachvollziehbar, wenn Handelsabkommen wie Ttip und Ceta mit immensen Auswirkungen auf jeden Bürger in der EU hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Abkommen, die Intransparenz weiter fördern (wie etwa bei den Schiedsgerichten zum Investitionsschutz), die Verflechtungen von Industrie und Politik vorantreiben und die Meinung des Bürgers außen vorlassen. Sie mögen (kleinere) wirtschaftliche Vorteile bringen, die Demokratie in Europa fördern sie so mit Sicherheit nicht. Da helfen nur aufmerksame Bürger, die gegen die Intransparenz vorgehen und Mitbestimmung fordern.
 
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