
Hat Sie der Rückzug Kevin Kühnerts überrascht?
Der Rückzug hat mich durchaus überrascht. Bei allen inhaltlichen Differenzen habe ich ihn als Kollegen immer sehr geschätzt. Doch die Gesundheit geht vor. Daher wünsche ich Kevin Kühnert alles Gute und eine schnelle Genesung. Gab es Anzeichen dafür? Für mich persönlich gab es dafür keine Anzeichen. Allerdings sind seine Parteikollegen natürlich näher dran und können das wahrscheinlich besser beurteilen.
Wie belastend ist die Arbeit in der Politik?
Wie in jedem anderen Bereich kann auch die Arbeit als Abgeordneter durchaus belastend sein. Das ist natürlich eine sehr subjektive Wahrnehmung. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass sich mittlerweile immer mehr Politikerinnen und Politiker mit Hass und Gewalt konfrontiert sehen. Nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch physisch. Sobald Hass und Gewalt die inhaltliche Auseinandersetzung ersetzen, ist die seelische und körperliche Belastung enorm. Viele ziehen sich daher aus der Politik zurück. Das betrifft genauso Menschen, die sich ehrenamtlich politisch engagieren. Viele Ehrenämter werden niedergelegt, weil niemand seine Familie und sich selbst in Gefahr bringen möchte. Für eine Demokratie ist diese Entwicklung katastrophal. Vor allem Frauen möchten ihren Familien das nicht antun, was ein Grund dafür ist, dass es viel zu wenig Frauen in der Politik gibt. Gerade einmal neun Prozent sind Bürgermeisterinnen oder Landrätinnen.
Welche Faktoren spielen eine Rolle?
Politikerinnen und Politiker stehen in der Öffentlichkeit. Das bedeutet, dass die Arbeit auch öffentlich bewertet und kommentiert wird. Gleichzeitig ist man immer unterwegs, sei es in Berlin oder im Wahlkreis. Auch an den Wochenenden. Damit will ich nicht sagen, dass es belastender ist, als in anderen Berufen. Die Arbeit in Kliniken, Hospizen, in Nachtschichten - die Liste ließe sich unendlich fortführen - wird viel zu wenig wertgeschätzt. Das sind die eigentlichen Heldinnen und Helden. Dennoch ist eine gewisse Resilienz notwendig. Durch die Zunahme von Hass und Hetze in den sozialen Medien aber auch physischer Gewalt, hat sich das Bild noch einmal verändert, was für eine zusätzliche Belastung sorgt. Viele möchten daher nicht mehr in die Politik gehen. Ich mache mir vor allem um unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker Sorgen. Dabei ist die Tätigkeit in politischen Ämtern, nicht zuletzt auch in ehrenamtlichen politischen Ämtern, so wichtig und vor allem ein Privileg.
Gibt es Unterstützung für Politikerinnen und Politiker, besonders bei seelischen Beschwerden?
Eine spezifische Unterstützung ausschließlich für Politikerinnen und Politiker gibt es nicht. Bei seelischen Beschwerden müssen Politikerinnen und Politiker den gleichen Weg gehen wie alle anderen auch und sich Hilfe suchen.
Wie gehen Sie persönlich damit um?
Auch das ist etwas sehr Subjektives. Selbstverständlich gibt es auch anstrengende Tage, aber ich persönlich freue mich jeden Tag, dass ich diesen Beruf ausüben darf. Das Mandat ist eine Ehre und etwas ganz Besonderes. Ich liebe meinen Beruf und bin in den gut 20 Jahren im Bundestag bislang jeden Tag glücklich und motiviert aufgestanden.
Was kann getan werden, um die Situation zu verbessern?
Wir erleben aktuell eine hohe Unzufriedenheit bei einem Großteil der Bevölkerung. Diese Unzufriedenheit schlägt sich auch in den Wahlergebnissen nieder und extreme Parteien werden gewählt. In diesem Zusammenhang nimmt Gewalt gegenüber Politikerinnen und Politikern immer weiter zu. Das wiederum führt dazu, dass viele Menschen keine politischen Ämter mehr übernehmen möchten. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, weshalb wir ihr entsprechend begegnen müssen. Meines Erachtens müssen Politikerinnen und Politiker in erster Linie nah bei den Menschen sein und Lösungen für die Probleme finden, die die Menschen im Alltag beschäftigen. Sobald die Menschen spüren, dass das passiert, werden auch die extremen Parteien an Zustimmung verlieren. Gleichzeitig wird sich die Stimmung im Land verbessern und politische Ämter werden wieder attraktiver.
Ist der Umgangston zu rau geworden?
Die meisten würden mir sicherlich zustimmen, wenn ich sage, dass der Umgangston grundsätzlich rauer geworden ist. Das merken wir selbstverständlich auch im Bundestag. Nicht zuletzt lässt sich das auf die extremen Parteien zurückführen, die durch eine grundlegende Unzufriedenheit in der Bevölkerung immer mehr Zulauf erhalten. Seitdem die AfD im Bundestag vertreten ist, hat sich der Umgangston massiv verschlechtert. Dafür gibt es unzählige Beispiele. Gleichzeitig fällt die AfD vor allem durch frauenverachtende Aussagen und eine diskriminierende Haltung gegenüber Minderheiten auf. Aus diesem Grund müssen wir alles daransetzen, dass sich diese Entwicklung umkehrt.
Zur Person
Dorothee Bär ist am 19. April 1978 in Bamberg geboren. Sie gehört seit 2002 dem Deutschen Bundestag an und ist seit Dezember 2021 eine der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Von 2018 bis 2021 war sie Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin sowie Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Weitere Informationen gibt es auf Dorothee Bärs Internetseite .
Die Redaktion hat zu dem Thema auch die Bundestagsabgeordneten Sabine Dittmar (SPD) und Manuela Rottmann (Grüne) angefragt. Rottmann werde sich rund um den Rücktritt Kevin Kühnerts nicht äußern, hieß es aus dem Abgeordnetenbüro.
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Aber das kennt man ja schon: Schuld sind immer nur die Anderen!